Der Historiker und ehemalige Cambridge-Professor Robert Tombs warnt in einem Kommentar im „Telegraph“ vor einem historischen Versagen Europas und Großbritanniens im Umgang mit der Ukraine. Deren Behandlung werde, so Tombs, als eine der beschämendsten seit dem Münchner Abkommen von 1938 gelten.
Während die Tschechoslowakei damals zur Aufgabe gedrängt wurde, habe man die Ukraine ermutigt, sich jahrelang gegen die russische Invasion zu verteidigen – nur um sie nun mit der Aussicht zu konfrontieren, am Ende das hinzunehmen, was Kremlchef Wladimir Putin und möglicherweise US-Präsident Donald Trump aushandelten.
Tombs: Europa handelt zu langsam – und Russland nutzt das aus
Im Gegensatz zu den 1930er-Jahren, als Pazifismus und der Völkerbund noch echte Hoffnungen boten, gebe es heute keine entsprechenden Illusionen. Dennoch reagierten europäische Staaten langsam und zögerlich, während Russland von dieser Passivität profitiere. Frankreich verspreche Waffenlieferungen in der Zukunft, kaufe aber gleichzeitig russisches Gas. Großbritannien kündige minimale Aufstockungen seines Verteidigungsetats an, obwohl es offiziell seine mangelnde Verteidigungsfähigkeit einräume.
Russland verletze europäischen Luftraum, betreibe Cyberattacken und umgehe Sanktionen mit „Schattenflotten“. Europa hingegen „interzeptiere“ nur – sprich: beobachte –, weil es weder ausreichend Schiffe noch Personal habe. Tombs sieht darin ein Symptom tiefer liegender Probleme.
„Jetzt steht der Wolf vor der Tür“
Die eigentliche Ursache liege, so der Autor, in einer kulturellen und strukturellen Erosion westlicher Gesellschaften. Wo liberale Demokratien einst durch Zusammenhalt, Opferbereitschaft und Flexibilität stärker gewesen seien als autoritäre Regime, dominierten heute ein überdehnter öffentlicher Sektor, hohe Abhängigkeit vom Staat, überbordende Regulierung und der Verlust gemeinsamer Identität.
Tombs’ düsteres Fazit: Die warnenden Stimmen seien lange ignoriert worden, „doch jetzt steht der Wolf vor der Tür“.