Patienten zu Hause behandeln, bei denen eigentlich die Indikation für eine stationäre Therapie vorliegt: Diese Möglichkeit können psychiatrische Kliniken erst seit 2018 unter bestimmten Voraussetzungen nutzen. Stefanie Wagner arbeitet bei der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Peißenberg in diesem Bereich, der „Stationsäquivalenten Behandlung“. Sie sieht in ihm diverse Vorteile.
Peißenberg/Landkreis – „Wir behandeln Patienten/-innen mit fast allen psychiatrischen Erkrankungen, die aus verschiedenen Gründen auf ihre häusliche Umgebung angewiesen sind, daheim im eigenen Umfeld“, erklärt Wagner (38). Die Fachgesundheits- und Krankenpflegerin bei der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen am Standort Peißenberg schätzt an ihrer Aufgabe, dass sie selbstständig arbeiten kann und eine hohe Eigenverantwortlichkeit hat.
Ihr Team der „Stationsäquivalenten Behandlung“ (StäB) wurde vor etwa zwei Jahren ins Leben gerufen. Es umfasst derzeit zehn Mitarbeiter vom Arzt bis zur Kunsttherapeutin und soll vergrößert werden. Es ist im Landkreis Weilheim-Schongau rund um die Uhr verfügbar. Die kbo-Lech-Mangfall-Klinik hält dort 30 StäB-Plätze für die zeitlich begrenzte akutpsychiatrische Behandlung bereit.
30 StäB-Plätze werden angeboten
So werde „eine Versorgungslücke“ geschlossen, konstatiert Dr. Florian Seemüller, Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken Garmisch-Partenkirchen, Peißenberg und Murnau. Die Nachfrage nach dem Angebot sei im Landkreis „stetig steigend“, erklärt StäB-Leitung Sabine Kuehnel und ergänzt: „Aktuell haben wir sogar eine kleine Warteliste, versuchen aber allen gerecht zu werden. Der Großteil unserer Patienten hat kleine Kinder im Haushalt, was schon verdeutlicht, dass hier unsere StäB zügig und umfassend gebraucht wird.“
„Auf Station weiß man in der Regel, was einen erwartet, daheim bei den Patienten/-innen nimmt man den Menschen in seinen Lebensumständen wahr, stößt auch immer wieder auf unvorhergesehene Umstände“, erklärt Wagner. Man tauche bei der StäB mit der Zeit gewissermaßen ins Familiensystem der Patienten ein und erlebe den Menschen in seiner Interaktion. „Dies ist ein großer Vorteil dieses Behandlungskonzeptes. Unsere Patienten/-innen brauchen sich nicht in allen Belangen zu erklären, da man vieles selbst direkt vor Ort miterlebt“, erläutert Wagner.
Für viele Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ist es laut einer Mitteilung der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken etwa schwierig, sich im Alltag zurechtzufinden. Wagner steuert dem entgegen: „Eine meiner Aufgaben ist es, den Menschen bei ihrer Lebensführung im Alltag Sicherheit und Struktur zu geben. Dies kann sehr individuell ausgeprägt sein, wie beispielsweise in einer depressiven Phase einen Einkauf zu bewältigen oder die Betreuung der Kinder zu übernehmen.“ Die Mehrzahl der Patienten, die das Team betreut, leidet unter Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.
Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen
Wagner berichtet von einer Patientin, die es zunächst seltsam empfunden habe, dass die Therapeuten zu ihr kamen. Aber bereits nach kurzer Zeit sei klar geworden, dass das Zuhause den Rahmen bot, um sich zu öffnen und Ängste oder Vorbehalte abzulegen. Immer wieder macht Wagner die Erfahrung, dass sich Patienten bei der „Stationsäquivalenten Behandlung“ schneller öffnen als im klinischen Umfeld.
Zur Versorgung im Rahmen der StäB gehören Angebote sehr verschiedener Art: medikamentöse und pflegerische genauso wie sozialpädagogische und ärztliche. In Bezug auf Inhalte, Flexibilität und Komplexität entspreche die stationsäquivalente einer vollstationären Behandlung mit dem Ziel einer Symptomreduktion und des Erhalts bzw. der schnellen Wiederherstellung psychischer und gesellschaftlicher Funktionen der Betroffenen, so die kbo-Kliniken. Die Stäb solle den selbstverantwortlichen Umgang der Patienten mit ihrer Erkrankung fördern. Werde diese im häuslichen Umfeld bewältigt, unterstütze das „den Erhalt größtmöglicher gellschaftlicher Teilhabe und der Selbstbestimmung“.
Erhalt der Selbstbestimmung
„Mich erfüllt die Zeit mit den Patienten/-innen während eines Hausbesuchs, bei dem die volle Konzentration auf ihnen liegt, mit hoher Zufriedenheit“, stellt Wagner fest. Man benötige aber hohe Fachkompetenz, sicheres Auftreten, Strukturiertheit, Entscheidungsfreude, Beobachtungsgabe sowie Verantwortungsbereitschaft, „um das jeweilige Befinden der Patienten/-innen einzuschätzen, um sie ihrer Eigenständigkeit zu übergeben“.
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Jeder Patienten-Besuch im Rahmen der kbo-StäB dauert laut der Mitteilung etwa eine Stunde. Alle Betreuten werden täglich behandelt. Für Notfälle wurde eine 24-Stunden-Rufbereitschaft eingerichtet. „Bei Bedarf bieten wir weitere Termine an und es gibt ein geeignetes Nachsorge-Setting“, so Wagner, die an einem normalen Arbeitstag bis zu fünf Menschen betreut. Zu den Hausbesuchen kommt sie übrigens mit einem Auto ohne Klinik-Logo, um einer Stigmatisierung der Patienten entgegenzuwirken.