Nach der Phase der Verliebtheit geraten Liebende leicht in die Falle, die Sexualität zur Kampfarena zu machen. Für ihn gibt es nicht mehr genug Intimität, für sie fehlt es an Zärtlichkeit – oder umgekehrt. Beide erleben Frust statt Erfüllung. Die Beziehung steht auf der Kippe.
Was einst als romantisches Abenteuer begann, weicht bald der harten Realität von Erwartungen und Enttäuschungen. Während einer sich nach mehr Sex sehnt, fühlt sich der andere emotional vernachlässigt – ein Teufelskreis, der die Beziehung vergiftet.
Das Fordern-Verweigern-Machtspiel
Fast jeder kennt den Machtkampf um Sex und Liebe – ein zeitaufwendiges, nervenaufreibendes Spiel, das die Nächte lang und die Nerven blank werden lässt. Die Regeln scheinen uns in die Wiege gelegt zu sein. Schon im Sandkasten trainieren wir unbewusst für die späteren Beziehungsduelle:
Da ist Klein Karlchen, der einen seit Monaten unbeachteten, schrumpeligen Ball hinter seinen verschränkten Armen umklammert und laut kreischt: „Den kriegt niemand!“ Plötzlich wird dieser alte Ball zum Objekt allseitigen Begehrens. Während wirklich schöne Spielsachen ungenutzt herumliegen, entbrennt ein erbitterter Kampf um das Nichts.
Der ehemals kindliche Machtkampf spiegelt sich später im Erwachsenenleben wider und ist der unangefochtene Spitzenreiter unter den Sex- und Machtspielen: „Ich habe etwas und gebe es nicht her!“ „Nicht jetzt, nicht dir, nicht so, sondern anders; vielleicht irgendwann einmal, nur unter ganz besonderen Bedingungen…“ Das kann für Liebende zur emotionalen Achterbahnfahrt werden.
Manchmal ist es unmöglich, herauszufinden, was zuerst war – das Fordern oder das Verweigern, ganz wie bei der Huhn-und-Ei-Frage. Klar ist jedoch, dass Fordern und Verweigern wie zwei Seiten derselben Medaille zusammengehören und immer gemeinsam vorkommen.
Vier Arten, wie wir unsere Beziehungen durch Machtkämpfe sabotieren
In der Liebes- und Beziehungswelt gibt es vier Hauptformen des Fordern-Verweigern-Kampfes. Diese Dynamiken laufen oft unbewusst ab.
1. Etwas wollen, was der andere nicht will
Das Dilemma beginnt oft damit, dass einer etwas verlangt, das der andere nicht möchte, zum Beispiel Analsex, lange Vorspiele, schnelle Quickies oder einfach mehr Zärtlichkeit. Ein Partner fordert, der andere verweigert, und schon ist die Bühne für Konflikte bereitet.
Sonntagnachmittag. Nichts steht auf dem Plan. Peter sitzt auf der Couch und vertieft sich in seine Illustrierte. Marion hingegen zieht sich im Schlafzimmer aus, in Vorfreude auf einen romantischen Nachmittag. Splitternackt schleicht sie sich an ihn heran, schmiegt sich an ihn und setzt ihre Verführungskünste ein. Peter wirft nur einen kurzen Blick auf sie und erkennt die Situation. Wortlos öffnet er die Balkontür und setzt sich draußen hin, um weiterzulesen. Der Balkon ist vom Innenhof aus gut einsehbar, und unten tummeln sich die Sonntags-Familien in der Sonne. Enttäuscht und verletzt zieht sich Marion ins Schlafzimmer zurück. Ihre Verführungsstrategie ist gescheitert und die Tränen fließen. Doch statt sich ihrem Schmerz hinzugeben, greift sie zu ihrem Rache-Heft und klebt eine besonders große Rabattmarke ein.
"Frauen im Kommen. Der weibliche Weg zu sexuellem Glück." von Regina Heckert
2. Etwas nicht geben wollen
Eine andere Variante dreht sich um das Vorenthalten. „Ich habe etwas, du kriegst es nicht“, lautet die unausgesprochene Botschaft. Das kann den eigenen Körper, die Liebe oder Berührungen betreffen. Wenn ein Partner sich emotional oder körperlich zurückzieht, führt das oft zu noch mehr Forderungen vom anderen, was wiederum mehr Verweigerung nach sich zieht.
Sieben Verehrer seit elf Monaten. Zufrieden zwinkert sie ihrem schönen Spiegelbild zu. Nur sie weiß, dass keiner davon als Partner taugt oder für Sex in Frage kommt. Höchstens als Notnagel zum Ausgehen oder als offenes Hintertürchen für einsame Tage – doch vor allem als langfristige Energiespender für das ach so weibliche Spiel des Begehrt-Werdens. Franz ist einer der Fische an ihren vielen ausgeworfenen Angelhaken. Zwischen Hoffnung und Enttäuschung hat er sich durch die vergangenen Monate gehangelt. Zweimal war er sogar fest entschlossen, loszulassen und sich anderweitig umzuschauen. Doch genau dann klingelte das Telefon, und sie verkündete mit verlockender Stimme, dass sie in drei Wochen zu Besuch kommen würde. Sein Herz trommelte in wilder Vorfreude. Volltreffer: Franz ist wieder eingefangen. Die kluge Fischersfrau weiß genau, wann sie neue Köder auswerfen und wann sie die Leine wieder einholen muss. Einen Tag vor dem ausgemachten Termin sagt sie ab – schon zum dritten Mal.
3. Mehr von etwas wollen
Die dritte Form ist das ständige Verlangen nach mehr – mehr Körperlichkeit, mehr Komplimente, mehr Nähe, mehr Intimität. „Ich will unbedingt dreimal täglich Sex,“ kann eine solche Forderung sein, die zur Verweigerung führt. Der Partner fühlt sich bedrängt und reagiert mit Rückzug, was die Spirale weiter antreibt.
Wochen ohne Sex. Micha sitzt auf der Couch, sexuell völlig ausgehungert, und fragt sich: „Wie viele Jahre werde ich das noch mitmachen?“ Seine sehr attraktive Frau, verführerisch in reizvoller Wäsche, räkelt sich in seinen Armen. „Ich brauche heute einfach nur Zärtlichkeit,“ haucht sie und schließt die Augen, um sich ganz seinen absichtslosen Berührungen hinzugeben. Micha seufzt innerlich. Er weiß, was kommt – oder vielmehr, was nicht kommt. Ihre Hingabe bleibt auf Zärtlichkeiten beschränkt, während sein Verlangen schon wieder unbeantwortet bleibt.
4. Etwas anderes wollen
Manchmal möchten beide Partner dasselbe, aber auf unterschiedliche Weise. Der eine sehnt sich nach liebevollem, langem Vorspiel, während der andere schnellen, leidenschaftlichen Sex bevorzugt. Auch hier kann das Fordern-Verweigern-Spiel schnell eskalieren, wenn die Bedürfnisse und Wünsche nicht aufeinander abgestimmt werden.
Lustvoll wälzt sie sich im Bett hin und her. Ihr Herz schlägt hektisch, ein Kloß sitzt ihr im Hals, und ungenutzte Lust pulsiert durch ihren Körper – ein Zustand zum Verrücktwerden. Jetzt schnarcht er auch noch! Der reinste Hohn! Nach dem üblichen Quickie („Sorry, Schatz, ich stand so unter Druck!“) ist er nach einem langen Arbeitstag sofort eingeschlafen. Zwischen Wut und Ohnmacht peitscht sie die Schlaflosigkeit. Zornestränen brechen sich trotz aller Unterdrückungsversuche Bahn. Nur nicht schluchzen! Ihn bloß nicht wecken! Das kann er absolut nicht vertragen, denn morgen muss er wieder früh raus – aus den gleichen Federn, die sie bis dahin durchtränkt hat mit den Tränen einer langen schlaflosen Nacht.
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Machtkämpfe beenden, aber wie?
Diese alltäglichen Tragödien spiegeln wider, was viele Paare hinter verschlossenen Türen erleben. Das Bett, einst ein Ort der Nähe und Intimität, wird zur Arena für Machtkämpfe um die schönste Sache der Welt, wobei es nur Verlierer gibt. Ohne eine ehrliche Kommunikation bleibt das Fordern-Verweigern-Spiel eine gefährliche Dynamik, die Beziehungen auf Dauer zerstören kann. Es braucht Offenheit, Verständnis und die Bereitschaft, gemeinsam neue Wege zu finden, um sexuelles Begehren und Zärtlichkeit in Einklang zu bringen.
Manchmal gelingt das nur mit therapeutischer Hilfe, denn der Kampf um die Erfüllung von Bedürfnissen stammt oft aus der frühen Kindheit. Auch Tantra kann Paare unterstützen, wieder einen guten Weg zueinander zu finden.
So oder so ist Mut gefragt und die Bereitschaft, sich den eigenen Bedürfnissen und denen des Partners zu stellen. Mit Empathie und Offenheit können Paare lernen, ihre intimen Momente wieder zu genießen und eine erfüllte Sexualität zu erleben. Das Ziel? Weg von Machtspielen, hin zu einer echten, liebevollen Verbindung.
Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.
