Herzinfarktgefahr - Experte warnt: Mentaler Stress gefährlicher als Cholesterin

Können psychosoziale Faktoren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen? Wenn ja, wie?

Neben den oben bereits benannten klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren führen Faktoren wie der „Mentaler Stress“ sowie eine breites Feld an psychosozialen Risikofaktoren zu einer vermehrten Belastung des Herzens durch unterschwellig getriggerte Entzündungsprozesse.

Hierbei reichen die Risiken von zeitlichen umschriebenen starken emotionalen Belastungen (Erdbeben, Spiel meiner „Lieblingsmannschaft“) bis hin zu dauerhaft anhaltenden Stresssituationen, wie die zum Beispiel die langjährige Pflege an Demenz erkrankter Angehöriger, aber auch Armut, Einsamkeit oder intensive Lärmexposition, zum Beispiel durch nächtlichen Flugbetrieb.

Wenn auch das Ausmaß der individuellen Reaktionsbereitschaft auf entsprechende Stressoren unterschiedlich ausfällt, lässt sich jedoch grundlegend festhalten, dass sowohl akute als auch chronische Stressoren dazu führen, dass zelluläre Entzündungsprozesse aktiviert werden und über die Jahre zunehmen und unter anderem über diesen Weg zu einer zunehmenden Schädigung der Gefäßwände führen.

Darüber hinaus führen die dauerhafte Überaktivierung der körpereigenen Stressreaktion ohne adäquate Ruhe- und Erholungsphasen zu einer chronischen Erhöhung der Spannung im sympathischen Nervensystem (Antreiber) mit der Folge einer Erhöhung von Blutdruck und Herzfrequenz und einer Abnahme der gesunden Variabilität der Herzfrequenz von Schlag zu Schlag.

Im Weiteren führt die ständige überhöhte Kortisolausschüttung in der Folge zu Blutdruckerhöhung, Blutzucker- und Cholesterinerhöhung einschließlich dem sich längerfristig einstellenden Übergewicht. Begleitet werden diese Veränderungen oftmals von vermehrter innerer Anspannung, Unruhe, erheblichen Ein- und Durchschlafstörungen, die je nach individuellen Voraussetzungen in ein Burn out, Depressionen, Angststörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfall und Herzinfarkt einmünden können.

Wichtig ist hierbei im Gegensatz zu den einfach benennbaren und einfach quantifizierbaren biologischen Risikofaktoren, wie der Cholesterinerhöhung, dass sogenannte negative Lebenserfahrungen (Trennung, Scheidung, Tod naher Angehöriger) wie auch Schwellen- und Umbruchsituationen, wie zum Beispiel ein Jobwechsel, verbunden mit einem Umzug in eine andere Stadt, Verlust des bisherigen sozialen Netzes in einem sehr komplexen, sich wechselseitig verstärkenden Prozess wirksam werden.

So ist eine sehr bekannte „gefährliche“ Schwellensituation, der Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand, der oft umfangreiche Anpassungen erfordert.

Welche Rolle spielt die Psychokardiologie in der Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Je nach Studie wird der Anteil psychosozialer Ursachen bzw. Stressoren an der Entstehung bzw. dem Ausbruch eines Herzinfarktes auf eine Größenordnung zwischen 30-50 Prozent geschätzt.

Hierbei geht es um unterschiedliche Patientengruppen bzw. –konstellationen. So bietet sich für viele Menschen mit ungeklärten Angst- und Panikstörungen das Herz gewissermaßen als Bühne an, auf der sie ihre nicht benennbaren Ängste zur Darstellung bringen können und auf unbewusste Weise auch nach einem Gesprächspartner über das Unaussprechbare, das Unsagbare zu suchen.

Leider braucht es oftmals einige Zeit bis die sich regelmäßig wiederholenden Attacken von Engegefühl im Brustkorb und begleitender Atemnot, von der Hausärztin über das Rettungsdienstpersonal bis hin zu den Mitarbeitern in den Notaufnahmen bzw. Rettungsstellen der Kliniken als Angst- und Panikstörung einordnen lassen und einer entsprechenden psychosomatischen bzw. verhaltenstherapeutischen Behandlung zugeführt werden können.

Ein anderer großer Patientenkreis betrifft Menschen mit depressiven Störungsbildern, für die das Risiko eines Herzinfarktes infolge der Depression deutlich erhöht ist. Dies hat verschiedene Gründe. Eine wesentliche Ursache dürfte darin bestehen, dass sowohl die Arteriosklerose als Grundlage der Herzkranzgefäßverengung wie auch die verschiedenen Formen über stumm im Hintergrund ablaufende Entzündungsprozesse befördert werden. Hier gilt aus Sicht der Psychokardiologie sowohl unter den Patienten als auch bei den verschiedenen ärztlichen Berufsgruppen, das Bewusstsein für das erhöhte Herzkreislaufrisiko zu schärfen.      

Aus der anderen Perspektive betrachtet, kommen auf den Patienten mit einem durchgemachten Herzinfarkt sehr viele organisatorische, psychosoziale und emotionale Veränderungsprozesse zu. Etwa 15-25 Prozent der Infarktpatienten durchlaufen im Anschluss an ihren Herzinfarkt eine depressive Störung, die oftmals nicht erkannt wird, weil die persönlichen Veränderungen als Folge des Herzinfarktes betrachtet werden.

Hier gilt es sehr früh im Anschluss an das Infarktereignis nachzufragen, ob der Patient oder seine Angehörigen Veränderungen wahrgenommen haben: eine vermehrte Ängstlichkeit, innere Anspannung, Unruhe, Antriebslosigkeit, grundlose Traurigkeit, Stimmungsschwankungen usw.

Bei gezieltem Verdacht auf das Vorliegen eines psychischen Störungsbildes kann mithilfe von eigens dafür entwickelten Fragebögen ergänzend eine weitere Eingrenzung und Unterstützung der Diagnose vorgenommen werden.

Gibt es bestimmte Lebensstiländerungen oder Techniken, die helfen können, den mentalen Stress zu reduzieren und somit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken?

Die allererste Regel lautet: Akzeptanz! Nur, wenn der Patient, das was passiert ist (Herzinfarkt, Wiederbelebung, Stentversorgung, Bypass-OP, Medikamente) akzeptiert, kann eine selbstwirksame Verpflichtung zur Veränderung eingegangnen werden.

Der nächste Punkte besteht darin, welchen Beitrag der Patient aus seiner Sicht an der Entstehung des Herzinfarktes selbst sieht und übernimmt, um auf dieser Grundlage Ziele und Wege für einen Veränderungpslan zu entwickeln.

Für viele Patienten mit einem überlebten Herzinfarkt entstehen existentielle Ängste vor einem nächsten Ereignis, wenn das Vertrauen in das eigene Herz abhandengekommen ist und diese Zuversicht durch entsprechende Expositionstherapie Schritt für Schritt wieder aufgebaut werden muss.

Oft stehen tiefgreifende Fragen der Neubewertung der Lebensprioritäten an, die bisweilen auch mit existentiellen Sinnkrisen verbunden sein können. Hier heißt es, zunächst zu stützen und zu stabilisieren bevor es zu einer tiefergreifenden Bearbeitung der Ursachen kommen kann. Dies beginnt oft im Rahmen eines mehrwöchigen stationären Behandlungsprozesses, der dann im weiteren Verlauf im Rahmen ambulanter psychotherapeutischer Begleitung fortgesetzt werden muss.

Für den Patienten gilt es schrittweise sehr viele Fragen neu zu beantworten: welchen Beitrag hat er selbst mit seinem bisherigen Lebensstil zum Herzinfarkt geleistet, ist seine bisherige Tätigkeit für ihn noch bewältigbar bzw. geeignet, welche Rolle nimmt er zukünftig im Familienverbund und Freundeskreis ein? Viele Fragen, die es schrittweise zu beantworten gilt, mit dem Ziel die aktiven schützenden Ressourcen des Patienten, ebenso wie sein soziales Netz zu erweitern. Weiterhin sollte seine Stress-Resilienz und Flexibilität im Umgang mit neuen Belastungen weiter entwickelt werden.     

Wo muss ich lernen, mich besser abzugrenzen, weil es tatsächlich nicht um mein Problem und meine Verantwortlichkeit geht. In jedem Fall sollte jeder Patient aus der Fülle der verfügbaren Entspannungsverfahren mindestens 1 Verfahren (zum Beispiel Autogenes Training, Atemmeditation etc.) vertieft lernen, um diese täglich einzusetzen und zwar nicht nur im Krisenfall einer Angstattacke, sondern als fest verankertes Ritual. Durch die funktionell bildgebenden Verfahren (fMRT) haben wir gelernt, dass unter regelmäßiger Anwendung von Entspannungsverfahren der Mandelkern ("Alarmzentrale") kleiner wird und gleichzeitig die Verbindungsbahn zwischen rechten und linken Hirn wächst.

Welche aktuellen Forschungsergebnisse gibt es im Bereich der Psychokardiologie, die für eine breite Öffentlichkeit von Interesse sein könnten?

Eine US-amerikanische Forscherguppe um Viola Vaccarino hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Vorhersagegenauigkeit klassischer Stresstesttuntersuchungen, wie sie üblicherweise in der Kardiologie seit vielen Jahren eingesetzt werden (Fahrradbelastungs-EKG, medikamentöse Stressbelastung usw.) im Vergleich zu mentalen Stressbelastungen bei der bereits bestehenden koronaren Herzkrankheit beschäftigt.

Die entsprechende Studie untersuchte die Verläufe von 918 Patienten, mit bekannter, aber stabiler koronarer Herzkrankheit, um im mehrjährigen Verlauf vorausschauend zu untersuchen, wie ihre Herzen auf körperliche und mentale Belastungen reagierten. Die Patienten durchliefen zu Beginn den gewohnten Stresstest mittels Belastungs-EKG oder Medikamenten, um zu prüfen ob es unter dieser Belastung zu unbemerkten Mangeldurchblutungen am Herzmuskel kam, die wiederum klinisch relvevante Herzatttacken bis hin zum Herzinfrakt auslösen kann.

Nachfolgend wurde die selbe Patientengruppe einem, wie oben beschriebenen „Mentalen Stresstest“ unterzogen. Interessanterweise zeigten nicht alle Patienten eine Reaktion unter mentalem Stress, doch diejenigen, bei denen das Herz auf mentalen Stress empfindlich reagierte, zeigten in den nächsten Jahren deutlich höhere Raten an nicht-tödlichen und tödlichen Herzattacken. Dieses Konzept ist gegenwärtig noch Gegenstand der Klinischen Forschung, aber dennoch lässt sich bereits zu diesem Zeitpunkt sagen, dass nicht nur Bluthochdruck und Cholesterin Gegner eines gesunden Herzens sind, sondern dass wir für die Zukunft lernen müssen, gelassener und souveräner mit dem erlebten Stress umzugehen!

Stressbelastete Phasen besser vorausplanen, regelmäßige Pausen zum Auftanken der eigenen Ressourcen, Urlaub und Wochenende nicht erst dann, wenn die Erschöpfung keine Alternative mehr zulässt und tägliches Anwenden eines Entspannungsverfahrens (Atemmeditation, AutogenesTraining etc.).

Zum Abschluss sei noch eine mutmachmachende Forschungsanekdote beschrieben: an einer Gruppe von knapp 100 Probanden wurde das Medikament Isoproterenol zur Steigerung der Herzfrequenz infundiert. Die Herzfrequenz stieg bei allen Teilnehmern vom Ausgangniveau auf über 90 Schläge pro Minute an, während lediglich bei einer Teilnehmerin die Herzfrequenz nach einem kurzen Anstieg durch den Medikemanteneffekt unter 50 Schläge pro Minute sank: sie meditierte!