Arbeiterführerin im Portrait - Kämpferin oder Risiko? Deshalb will VW-Gewerkschafterin Cavallo einen „heißen Winter“
„Kein Mitarbeiter bei Volkswagen kann sich mehr sicher fühlen”, sagt Daniela Cavallo, nachdem sie interne Pläne des VW-Managements veröffentlicht hat. Großer Überblick - Kahlschlag bei Volkswagen! Was das jetzt für Mitarbeiter bedeutet - Volkswagen will drei Werke schließen: Diese Standorte sind jetzt in Gefahr">Mindestens drei von zehn deutschen Werken sollen schließen. Zehntausende Arbeitsplätze stehen auf der Kippe. Lohnverzicht und Spardruck stehen im Raum. Doch die 49-jährige Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats will davon nichts wissen. Sie fordert mehr Lohn für die Angestellten.
Viele Experten unterstellen der als einfühlsam und ruhig geltenden Cavallo, VW und seinen Mitarbeitern zu schaden. In der Krise mehr Lohn, das passe nicht zusammen. Wer Cavallo und VW versteht, erkennt aber: Es passt eben doch.
Jahrzehntelang garantierten die IG Metall und der von ihr geführte Betriebsrat, dass sich Mitarbeiter bei VW sicher fühlten. Der VW-Haustarifvertrag sichert Mitarbeitern überdurchschnittliche Bezahlungen. “Pfründe”, sagen die einen. “Gerechten Lohn für gute Arbeit”, sagen die anderen.
Cavallos Vorgänger erstritten die Leistungen mit harten Arbeitskämpfen. Dass sie damit die deutschen Standorte unwirtschaftlich machten, bemängelt der Vorstand seit Langem. Experten schreiben ihnen eine Mitschuld an der Krise zu.
Nun, da die VW-Kürzungspläne Cavallo in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit stellen, passt es zur VW-Tradition, wenn auch sie hart verhandelt. Seit Frühjahr 2021 besetzt sie die Top-Position der mächtigen Arbeitnehmervertretung. Erstreitet sie nun eine gute Lösung für die Mitarbeiter, liefert sie ihr Meisterstück. Dabei passen harte Verhandlungen eigentlich gar nicht zu ihr.
Die ungewöhnliche Karriere einer Arbeiterführerin
1975 in Wolfsburg geboren, wuchs die Tochter eines italienischen Gastarbeiters zwischen Deutschland und Italien auf – wobei sie Wolfsburg ihre Heimat nennt. Ihr Vater war 1969 aus Kalabrien ins Land gekommen und hatte bei VW angefangen. Der Tochter empfahl er dringend die Ausbildung beim Traditionskonzern. Das sei eine lebenslang sichere Bank.
Cavallo folgte dem Rat. Sie ließ sich zur Kauffrau für Bürokommmunikation ausbilden und absolvierte berufsbegeitend ein Wirtschaftsstudium. Nicht gerade der bis dahin übliche Werdegang eines Arbeiterführers in der IG Metall. Aber ein Weg, der zeigt: Sie weiß, wovon sie spricht.
Ein mitfühlender Familienmensch und ein führungsstarker Stratege
Ihr Vorgänger Bernd Osterloh, dessen Stellvertreterin sie jahrelang war, warnte bei seinem Ausscheiden davor, Cavallo angesichts ihrer ruhigen Art und Ausstrahlung zu unterschätzen: „Sie ist führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele da noch wundern werden“, sagte Osterloh damals. Der kämpferische Gewerkschaftsführer war bekannt für Krawall und beinharte Auseinandersetzungen mit dem Management.
Cavallo hingegen zofft sich eigentlich nicht mit den Unternehmenschefs, jedenfalls nicht öffentlich. Sie ist auch sonst anders; schon als Betriebsrätin nahm sie Elternzeit in Anspruch, damals ungewöhnlich. Cavallo ist verheiratet und hat zwei Töchter. Familienleben ist ihr wichtig und schon von daher reagierte sie zornig, als das Management bei einer Mitarbeiterversammlung angesichts der Kürzungspläne von der “Volkswagen-Familie” sprach: Familienmitglieder lasse man nicht im Stich, so Cavallo. Nun hat sie Gelegenheit, sich als Familienanwältin zu präsentieren.
“Erbitterter Widerstand" im Kampf auf scheinbar verlorenem Posten
Nun kann sich Cavallo in die Linie legendärer VW-Gewerkschafter einreihen. Dies vermutlich auch dann, wenn angesichts der aktuellen Fülle von Hindernissen und Widrigkeiten irgendeine Art von Triumph einer Seite kaum zu erwarten ist.
Nachdem VW schon Anfang September harte Einschnitte verkündet hatte, begannen zähe Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite. Cavallo hatte bis dahin bereits eine Verringerung der Stellen bei VW via Fluktuation, Vorruhestand und Abfindungen mitgetragen. Nun aber kündigte VW-Markenchef Thomas Schäfer das Abkommen, das seit 1994 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen hatte. Damit ist der Weg frei, ab 2025 Leute zu entlassen.
Daniela Cavallo kündigte “erbitterten Widerstand” gegen die umfassenden Streichungen an. Die Arbeitnehmer dürften nicht für falsche Managemententscheidungen haften. Ins gleiche Horn stieß gerade ein Regierungssprecher für Olaf Scholz, der Fehlentscheidungen der Konzernleitung anprangerte, obwohl ja die gesamte Industrie in Schwierigkeiten steckt, keineswegs nur VW.
Ähnlich äußerte sich Stephan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident. Das Land hält 20 Prozent der Stimmrechte des VW-Konzerns, die Mehrheit liegt indirekt bei den Familien Piech und Porsche. Aufgrund des VW-Gesetzes aber kann gegen die Staatsbeteiligung keine weitreichende Entscheidung getroffen werden.
Selbst SPD-nahe Experten kritisieren: Cavallo schade VW und seinen Mitarbeitern
Am Dienstag wandte sich nun der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, gegen eine Einflussnahme der Politik auf das Geschehen bei VW: “Die Politik muss sich aus den unternehmerischen Entscheidungen strikt heraushalten", sagt er. „Entscheidungen bei Volkswagen müssen ausschließlich auf der Grundlage getroffen werden, was den Konzern wieder wettbewerbsfähig und innovativer macht”. Den Gewerkschaften schrieb der als SPD-nah geltende Fratzscher ins Stammbuch: “Sie können nicht einerseits sieben Prozent mehr Gehalt fordern und andererseits Kosteneinsparungen bei Volkswagen kategorisch ablehnen”. Damit würden sie ihren Mitgliedern “Schaden zufügen”.
Daniela Cavallo ist sicherlich zu klug, die Vorhaben der Unternehmensführung als völlig unbegründet abzutun. Denn die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. “Wir sind an den deutschen Standorten nicht produktiv genug und liegen aktuell bei den Fabrikkosten 25 bis 50 Prozent über dem, was wir uns vorgenommen haben”, teilte das Management mit. Damit seien einzelne deutsche Werke “doppelt so teuer wie der Wettbewerb".
Schuld sind hohe Arbeitskosten, aber auch der Standort: hohe Steuern, teure Bürokratie und anderen Belastungen wie die Strompreise. Die Tarifpartner beeinflussen nur einen kleinen Teil davon.
Cavallo spielt hart und effektiv - aber braucht VW das jetzt?
Für Cavallo muss es nun darum gehen, die Auswirkungen auf die Stammbelegschaft von 120.000 Leuten möglichst erträglich zu halten. Die Arbeiterführerin neuen Stils jedenfalls ergriff bereits geschickt die Initiative, indem sie Anfang der Woche die aus Gewerkschaftssicht toxischen Pläne der Konzernleitung kurzerhand selbst Mitarbeitern und Öffentlichkeit präsentierte.
Der zu erwartende Proteststurm trat ein und präsentierte Management wie Politik ein Beispiel dafür, auf welche Art von Granit sie bei den kommenden Verhandlungen bei der Betriebsratschefin beißen. Ob bekannte Gewerkschaftsrituale bei dieser Konfliktlage allerdings zum Erfolg führen, wird sich auch Daniela Cavallo fragen müssen. Für innovative Ansätze wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.