„Sie haben keine Angst vor mir?“, fragt Kevin die Kanzlerkandidaten der AfD etwas provozierend. Der 22-jährige Berliner hat dunkle Hautfarbe. Sein Vater stammt aus Afrika und ist vor Jahren illegal eingewandert. Kevin war an einer Elitesportschule und verdient sein Geld mittlerweile auf Social Media. „Um Hautfarbe geht es nicht“, erklärt Alice Weidel etwas überrascht. „Ich finde, dass sie supergut aussehen. Meine Kinder sind ja auch etwas dunkel. Nehmen Sie das als Kompliment. Ich möchte, dass Sie eine gute Ausbildung machen und sich hier wohlfühlen.“ Sich „hier“ wohlfühlen? Vielleicht hat Alice Weidel nicht richtig zugehört: Kevin ist in Deutschland geboren. Deutschland ist seine Heimat. Kevin hat zwar dunkle Haut, aber er ist nicht zugereist. Die Antwort lässt dann doch tiefer blicken, als Weidel vielleicht meint.
Viel Platz für Unions-Argumente
Am Abend vor der Wahl haben ProSieben und SAT.1 die Kanzlerkandidaten zum Speed-Dating mit dem deutschen Bürger eingeladen. Zehn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen haben jeweils drei Minuten Zeit, den politischen Kandidaten ihre persönlichen Fragen zu stellen - im 1:1, direkt und ungeschönt. Olaf Scholz , Robert Habeck und Alice Weidel sind gekommen. Friedrich Merz hat abgesagt. Das ist ein echtes Versäumnis. Es hätte viel Platz für die Argumente der Union gegeben: Weidel verspricht allen mehr Geld, mehr Lohn, mehr von allem. Habeck generiert sich als Lernender, Zuhörer, neigt den Kopf zur Seite und bleibt oft unkonkret. Scholz gibt den Staatsmann, der auf seine eigenen Erfolge verweist. Tatsächlich wird er von vielen der zehn Fragenden am Ende der rund zwei Stunden für seine Antworten gelobt.
Weidels einfache Antworten
Knapp 60 Millionen Deutsche sind wahlberechtigt. Ein Drittel dieser Menschen ist noch immer unentschlossen, wen sie wählen wollen, heißt es. Die fünf Frauen und die fünf Männer geben nach ihrem Kurzgespräch an, bei ihrer Wahlentscheidung mittels dieser Treffen mit Politikern weitergekommen zu sein. Grundsätzlich waren sie von den Politikern positiv überrascht. Die alleinerziehende Liska, 31, sagt stellvertretend: „Es sind alles nur Menschen. Ich hatte das Gefühl, dass ich Vertrauen in die Politiker haben kann.“ Die meisten der Frager erklären hernach aber auch: Die Antworten von Alice Weidel sind mir zu einfach.
„Der Staat ist übergriffig“
Der Rentnerin Jutta, 70, verspricht Alice Weidel, dass sie unter Führung der AfD von ihrer Mindestrente keine Steuern mehr zahlen müsste. Für die Bundeswehr-Reservistin Swantje, 25, hält Weidel die Aussicht parat, dass die AfD die Wehrpflicht wieder einführt. „Dann können sich die Männer wieder mit der Bundeswehr identifizieren“, lautet Weidels merkwürdige Logik. Eine Wehrpflicht würde zudem dazu führen, dass die Bürger wieder strategisch denken. „Der Ampelkoalition ist das verloren gegangen.“ Und Thorsten, ein Gastronom aus dem Ahrtal, bräuchte im Falle einer AfD-Regierung, keinerlei Dokumente mehr für den Staat auszufüllen. Die Dokumentationspflicht würde abgeschafft. Weidel erklärt: „Ich bin kein Typ, der lange drumherum redet. Sie müssen nichts mehr ausfüllen. Das ist ein Misstrauen. Weg damit! Ich werde mit dem eisernen Besen durch den Verordnungsdschungel durchgehen. Der Staat ist übergriffig.“ Thorsten selbst glaubt nicht an derart pauschale Versprechen.
„Schmutzkübel über mir ausgekippt“
Manchmal wird ein Faktencheck eingeblendet, wenn Alice Weidel in den Gesprächen falsche Zahlen nennt. Etwa erzählt sie, dass 40 Prozent der Rentner Mindestrente beziehen, tatsächlich sind es 20 Prozent. Paul Ronzheimer, einer der Moderator des Speed-Datings und stellvertretender Bild-Chefredakteur, konfrontiert Weidel zum Ende der Sendung damit, dass zahlreiche Experten erklärt hätten, Weidels Versprechen ließen sich mit dem aktuellen Bundeshaushalt nicht finanzieren. Kontert Weidel: „Ich brauche keine Experten. Ich bin selbst Volkswirtin. Ich möchte, dass das Land wieder zukunftsfähig wird. Ich möchte, dass es den Menschen und vor allem den Kindern besser geht. Ich mache das, obwohl seit Jahren die Schmutzkübel über mir ausgekippt werden.“ Am Ende muss mal wieder die Opferrolle herhalten.