60 Jahre lang war sie die gute Seele des Hauses: Ende Dezember verlässt Anneliese Reinthaler das Notariat Miesbach. In sechs Jahrzehnten hat sie dort viele Veränderungen erlebt.
Miesbach – Auf der Schreibmaschine musste jedes Wort stimmen. Sonst musste Anneliese Reinthaler von vorne anfangen – die Urkunden durften schließlich keinen Fehler enthalten. Seit 60 Jahren arbeitet Reinthaler im Notariat Miesbach. Am 30. Dezember hat die 78-Jährige ihren letzten Arbeitstag.
Von der Stenotypistin zur Inspektorin
Eigentlich wollte Anneliese Engelhard, wie sie mit Mädchennamen hieß, Lehrerin werden. Doch ohne Abitur blieb ihr dieser Wunsch verwehrt. Nachdem sie das Internat in Dietramszell besucht hatte, machte die Schlierseerin eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin. „Die Juristerei hat mich schon immer interessiert. Ich habe einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“ 1963 absolvierte Reinthaler schließlich die Prüfung mit Note „sehr gut“. Ein Jahr später nahm sie eine Stelle im Notariat Miesbach als Stenotypistin an.
„Sie zeigte von Anfang an besonderes Interesse an der sachlichen Seite ihrer Arbeit“, schrieb ihr damaliger Chef Hans von Bomhard in einem Arbeitszeugnis. Deshalb übernahm Reinthaler bald verantwortungsvollere Aufgaben wie Grundbucheinsichten und Urkundengeschäfte. Dass sie ohne eine entsprechende Prüfung als Notargehilfin arbeiten durfte, hatte die Schlierseerin ihrem guten Abschluss zu verdanken. „Das war schon etwas Besonderes.“ 1970 absolvierte sie schließlich die Inspektorenprüfung. Als Inspektorin setzte Reinthaler unter anderem Urkunden, Kaufverträge, Überlassungen und Schenkungen auf. 1972 machte sie einen kurzen Urlaub, als sie als Assistentin für die Olympischen Spiele in München tätig war.
Mehr Digitalisierung, längere Urkunden
Obwohl sich die Inhalte nicht veränderten, entwickelte sich die Arbeit weiter. In den 1960er-Jahren waren Urkunden nur vier bis fünf Seiten lang. Im Notariat erlebte Reinthaler den ersten Kopierer, elektrische Schreibmaschinen und schließlich den ersten Computer. „Das hat die Arbeit sehr erleichtert“, erinnert sich die 78-Jährige. Fehler konnten leichter ausgebessert und Urkunden schneller erstellt werden. Dafür wurden sie länger: Mittlerweile umfassen Urkunden zehn bis 15 Seiten. Unter anderem, weil die rechtliche Absicherung zugenommen habe, sagt Reinthaler. Auch personell erlebte die Inspektorin einige Veränderungen: Neun Notare und eine Notarin durchlief sie in ihrer Karriere.
Nach der Geburt ihrer drei Kinder war die Inspektorin in Teilzeit für das Notariat tätig. Ganz verabschieden wollte sie sich nie. „Ich habe nie überlegt, was anderes zu machen.“ Mit 63 hatte sie schon einmal erwägt, in Pension zu gehen. „Ich wollte aber nicht. Ich dachte, dann geht mir was ab.“
Fernreisen nach China, Vietnam und Hawaii
An ihrer Arbeit gefällt ihr besonders, dass sie mit verschiedenen Menschen zu tun hat. „Es war nie langweilig.“ Einige Momente sind ihr besonders im Kopf geblieben: Vor 20 Jahren etwa wollte ein Landwirt unbedingt, dass Reinthaler seinen Vertrag für die Übergabe beurkundete. „Ich konnte ihn überzeugen, dass der Notar das kann und richtig macht“, erinnert sich die Schlierseerin lachend. In den vergangenen acht Jahren kümmerte sich die Inspektorin um Vereinsangelegenheiten: Satzungsänderungen, Anmeldungen beim Vorstandswechsel, Vereinsgründungen und -löschungen standen auf ihrer Agenda. Die Arbeit mit den Vereinen machte ihr Spaß. „Ich bin selber eine Vereinsnudel.“ Das Vertrauen, das ihre Klienten in sie legten, ehrte Reinthaler. Die Schweigepflicht war für die 78-Jährige natürlich oberstes Gebot.
Das Geld, das sie sich über die Arbeit im Notariat hinzuverdiente, gab Reinthaler vor allem für Fernreisen aus. China, Island, Kanada, Vietnam und Hawaii hat die Schlierseerin schon bereist. Für ihre Pension hat die 78-Jährige schon neue Ziele: 2025 will sie nach Australien, Singapur und Indonesien reisen. Mit ihren drei Enkelkindern, dem Turnsport und ihrer Leidenschaft für Schafkopf und Skat wird ihr im Ruhestand nicht langweilig. Der Abschied von den Kollegen fällt Reinthaler dennoch schwer. „Ich gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge.“
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