Wie Erdogan davon profitiert - Frieden zwischen Kurden und Türkei? Worauf es nach dem PKK-Aufruf jetzt ankommt

Seit Jahrzehnten kämpfen der türkische Staat und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gegeneinander. Nun hat der PKK-Gründer, Abdullah Öcalan, in einem historischen Aufruf eine Waffenruhe gefordert. Der Aufruf weckt die Hoffnung auf ein Ende des blutigen Konflikts. 

Wer ist die PKK und wofür steht sie?

PKK ist die Abkürzung für Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch: Partiya Karkerên Kurdistanê). Sie ist eine militante Gruppierung, die mit Waffengewalt gegen den türkischen Staat kämpft. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet, hauptsächlich als Reaktion auf die politische, soziale und kulturelle Unterdrückung der Kurden in der Türkei. Zu Beginn ihrer Gründung war sie eine politische Organisation, die Kurden zu vereintem Widerstand gegen die türkische Regierung aufrief. Später wandelte sie sich in eine militante Bewegung, die zunehmend gewaltsame Mittel einsetzte, um ihre Ziele zu erreichen und dafür auch Terroranschläge auf Zivilisten verübt. 

Das türkische Militär geht militärisch gegen die PKK vor. Laut der International Crisis Group sind bisher etwa 40.000 Menschen im Kontext des Konflikts getötet worden. Heute hat die PKK ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen und ist auch in der Türkei, in Syrien und in Europa präsent. Mittlerweile plädiert die PKK nicht mehr ausdrücklich für einen unabhängigen kurdischen Staat, sondern für weitgehende Autonomie und Rechte für Kurden innerhalb der bestehenden Staaten. 

Wieso kommt der Aufruf jetzt?

Dass Öcalan nun dazu aufruft, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen, geht auf eine Initiative des ultranationalistischen Regierungspartners von Erdogan, der MHP, zurück. Ihr Chef, Devlet Bahceli, bisher eigentlich ausgesprochener Gegner einer Aussöhnung mit der PKK, hatte im Oktober eine Freilassung Öcalans ins Spiel gebracht, sollte die PKK ihre Waffen niederlegen und sich auflösen. 

Experten sehen dafür mehrere Gründe. Zum einen sei die PKK im Irak durch die türkischen Angriffe geschwächt und damit in einer Position, über eine Waffenniederlegung zu verhandeln. Auch in der kurdischen Bevölkerung wachse die Forderung nach einem Ende der Kämpfe. Zudem ist seit dem Übergriff der Hamas auf Israel, der Schwächung des Irans und des Umsturzes in Syrien in der Region ein Machtvakuum entstanden - sowohl Kurden als auch die Türkei wollten das gestalten. 

Was verspricht sich Erdogan von Verhandlungen?

Für die türkische Regierung wäre eine Entwaffnung der PKK eine historische Errungenschaft und handfestes politisches Kapital. Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte Erdogans angestrebte Verfassungsänderung spielen, um erneut als Präsident kandidieren zu können. Dafür braucht er etwa die Stimmen der prokurdischen Partei. Eine Kooperation mit den Kurden in der Region könnte Ankara im Sinne eines Machtausbaus attraktiv erscheinen, sagt etwa Politikprofessorin Arzu Yilmaz. Das sei nicht erste Wahl, weshalb die Türkei besonders am Aufbau einer starken Regierung in Syrien interessiert sei, die die Kurden dort in ihrem Einfluss beschneidet. 

Wird die PKK dem Aufruf folgen?

Eine direkte Waffenniederlegung ist praktisch ausgeschlossen, auch wenn Öcalan weiter große symbolische Macht in der PKK besitzt. Der Aufruf wird darum maximal als möglicher Auftakt zu Verhandlungen wahrgenommen. Die PKK dürfte auf Gegenleistungen bestehen. Die Türkei geht regelmäßig militärisch gegen PKK-Stellungen im Irak und in Syrien vor. Die Kurdenmiliz YPG, die Ankara als Ableger der PKK betrachtet, kontrollieren in Nordsyrien ein großes Gebiet. Ob es auch mit Blick auf Nordsyrien Zusicherungen gibt, ist unklar. In Öcalans Erklärung heißt es unter anderem: „Alle Gruppen müssen die Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen.“ Welche Gruppen er neben der PKK meinte, ließ er offen. 

Ohnehin bleiben noch einige Fragen offen. Die Analystin Gönül Tol schrieb auf der Plattform X, unklar sei noch der Status der Kurden in Syrien, was die Kurden überhaupt als Gegenleistung erhielten und was mit den Kämpfern nach der Entwaffnung geschehe. 

Welche Auswirkungen hätte ein neuer Friedensprozess auf die Rechte der Kurden in der Türkei?

Die Kurden in der Türkei fordern seit Jahrzehnten eine gesellschaftliche und politische Gleichstellung. Das wird auch jetzt vorgebracht: Verhandlungspunkte könnten die Anerkennung des Kurdischen als Nationalsprache oder die Änderung der Verfassungsartikels 66 sein, der besagt, dass jeder türkische Staatsbürger Türke ist. 

Weitere zentrale Forderung der kurdischen Seite ist die Beendung der Einsetzung von Zwangsverwaltern. In von der prokurdischen Partei regierten Provinzen in der Türkei werden immer wieder Bürgermeister durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Nicht zuletzt wird auch eine Beendung der Isolationshaft von Öcalan gefordert. 

Ob das Schicksal des seit 2016 inhaftierten Erdogan-Kritikers und ehemaligen Chefs der prokurdischen Partei, Selahattin Demirtas, Teil von Verhandlungen sein könnte, ist unklar. 

Woran könnte der Prozess scheitern?

Zweifel daran, dass der Prozess gelingt, schürt eine neuerliche Repressionswelle der Regierung gegen die Opposition, einschließlich der Kurden. Im Zuge dessen wurden bereits Hunderte mit dem Vorwurf der Terrorunterstützung festgenommen.

Ein tatsächlicher Friedensprozess muss neben der PKK auch andere kurdische Gruppierungen und Akteure einbeziehen, denn die Kurdenfrage geht über den bewaffneten Kampf zwischen PKK und der türkischen Regierung hinaus. Beobachter sagen auch, ein ernsthafter Friedensprozess könne nur mit einer zumindest teilweisen Demokratisierung einhergehen. Dass sie unter Erdogan geschehen kann, bezweifeln viele.