Der Mann, der vergeben konnte
Auf dem Gelände der Asklepios-Klinik in Gauting fanden am Montag Drehaufnahmen für den Film „Codename: Kräutergarten“ von Walter Steffen statt. Interviewt wurde dabei der 100-jährige Nick Hope, der nach dem Krieg im dortigen DP-Lager wohnte. Er dürfte der letzte Zeitzeuge sein.
Gauting – Niemand käme auf die Idee, dass Nick Hope 100 Jahre alt ist. Wie er da vor dem alten Haus der Asklepios-Klinik an der Robert-Koch-Allee in Gauting sitzt, mit blauem Anzug, schickem Hut und hellwachen Augen, könnte man ihn auch für 70 halten. Er hat sich unglaublich gut gehalten, zumal für einen, dem die Nazis nach dem Leben trachteten. Hier, im alten Haus der Asklepios Klinik, das nach dem Krieg als Lager für die Überlebenden des Holocaust diente, kam er 1945 allmählich wieder zu Kräften, gab seiner künftigen Frau Nadja den ersten Kuss und sah so etwas wie eine Zukunft vor sich. Jetzt, fast 80 Jahre später, gibt er dem Gautinger Autor Dr. Gerd Holzheimer und Regisseur Walter Steffen bei laufender Kamera geduldig Antwort auf alle ihre Fragen. „God bless Germany“, sagt er etwa, trotz allem, was er erdulden musste. „Der Mann ist ein Wunder, voll mit Liebe“, findet Steffen.
Eigentlich heißt Nick Hope Nickoliay Choprenko und stammt aus der Ukraine. Den – symbolisch gemeinten – englischen Namen nahm er an, als er 1961 in die USA auswanderte, wo er bis heute lebt, bei San Francisco. Sein Schicksal zeigt, wie leicht Menschen in die Fänge der Nazis geraten konnten – der junge Choprenko war weder Jude noch im Widerstand. Hopes Sohn George (57), der bei dem berühmten Regisseur Francis Ford Coppola für Spezialeffekte zuständig war, findet, dass das Leben seines Vaters längst hätte verfilmt werden sollen. Jetzt ist es so weit, zumindest in Teilen.
Nickoliay Choprenkos Schicksal nimmt im Alter von 17 Jahren eine dramatische Wendung. 1942 greifen ihn die deutschen Besatzer in seiner Heimat, der Ukraine, auf. Sein Vergehen: Er hat keinen Pass bei sich. Vor die Alternative gestellt, ihn sofort zu hängen oder in ein Lager zu schicken, entscheiden sich die Besatzer für Letzteres – Nazi-Deutschland braucht schließlich Zwangsarbeiter. So kommt er in die Munitionsfabrik nach Geretsried. Als sich dort eine Explosion ereignet, wird er zu Unrecht der Sabotage verdächtigt und wird ins KZ Dachau verlegt. Im Außenlager Allach arbeitet er unter ständigen Misshandlungen im Flugmotorenbau bei BMW. Er gehört zu den vielen Tausend Häftlingen, die die Nazis im April 1945 beim so genannten Todesmarsch in Richtung Süden treiben. „Da hat er nur noch 45 Kilo gewogen“, erzählt sein Sohn am Rande des Drehs. Bei Wolfratshausen wird Choprenko befreit und findet sein Heil schließlich in Gauting.
Seine Fähigkeit zu vergeben, wird nach dem Krieg auf die härtest mögliche Probe gestellt. Nickoliay Choprenko zieht mit seiner Frau nach Ludwigsfeld bei Dachau, in einen der modernen Bungalows, die genau auf dem ehemaligen Arbeitslager errichtet wurden. Wie es der Zufall will, begegnet er seinem ehemaligen Vorgesetzten, einem üblen Sadisten namens Eisenbart, der ihn mehrfach wegen angeblicher Verfehlungen fast zu Tode prügeln ließ. Und was tut Choprenko? Er besucht den Mann in seinem Haus und sagt: „Ich bin gekommen, um dir zu vergeben.“ Er reicht ihm sogar die Hand.
„Das hat mich befreit“, sagt der gläubige Christ am Montag bei den Dreharbeiten in Gauting. „Seitdem lebe ich in Gott.“ Es ist genau diese Szene, die sein Sohn in einem 15-minütigen Streifen verfilmt hat. Und es ist ein Schlüsselmoment im Leben seines Vaters und der ganzen Familie. Diese Episode macht Nick Hope zu einem Protagonisten in dem neuen Film von Walter Steffen, „Codename Kräutergarten“. Der Titel spielt auf eine Plantage im KZ Dachau an, wo Häftlinge für den „deutschen Volkskörper“ biolgisch-dynamische Pflanzen züchten mussten und dabei zu Tode geschunden wurden.
Ausgangspunkt war der so genannte Apfelpfarrer Korbinian Aigner, der in der berüchtigten Plantage heimlich Apfelbäume züchtete, darunter den bekannten Korbiniansapfel. Doch der Blick von Steffen und Gerd Holzheimer, auf dessen Recherchen der Film großteils beruht, weitet sich allmählich hin zu mehreren Menschen, die dem „abgrundtief Bösen“ (Steffen) ihre Menschlichkeit entgegensetzen: Abba Naor, nach dem die Aula des Otto-von-Taube-Gymnasiums benannt ist und der einen Zweitwohnsitz in Gauting hat. Die Roma-Familie Stojka aus Wien, die fast völlig ausgelöscht wurde (siehe Kasten). Und eben Nick Hope. Den Kontakt zwischen Filmemacher Steffen und dem Zeitzeugen Hope stellte Dr. Björn Mensing her, in den 1990er-Jahren Seelsorger an der Christuskirche in Gauting und inzwischen Pfarrer an der evangelischen Versöhnungskirche am KZ Dachau.
Der Anstoß zu dem Film stammt von Gerd Holzheimer, der schon oft mit Steffen zusammengearbeitet hat und der für ihn ein „Herzbruder“ ist. „Für mich ist all das eine große Bereicherung“, sagt er. Holzheimer ist es gewesen, der einst auf den Apfelpfarrer Korbinian Aigner aufmerksam wurde. Und der Klinge-Preisträger ist nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera tätig. Am Montag fällt ihm die Aufgabe zu, mit dem sichtlich bewegten Nick Hope durch das einstige Lager zu spazieren und ihn zu befragen.
Besonders freut er sich, dass in dem Film auch junge Menschen zu Wort kommen, etwa Schüler des Otto-von-Taube-Gymnasiums, die mit ihrer israelischen Austauschklasse auf dem Friedhof jüdische Inschriften entziffern. Der Film soll im Frühjahr 2025 herauskommen – zum 80. Jahrestag der Befreiung.