Analyse zu Unions-Versprechen - Bürgergeld, Steuern, Bundeswehr: Große Kanzler-Pläne von Merz dürften schnell platzen
Die CDU hat sich mit Blick auf die Wahlen vor einem halben Jahr ein neues Grundsatzprogramm gegeben. Es dient jetzt angesichts der vorgezogenen Bundestagswahl als Richtschnur für das, was Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz anstreben wird, wenn er im kommenden Jahr tatsächlich eine Regierung anführen wird.
Doch wie realistisch ist das, was Merz anstrebt? Und wie wahrscheinlich ist es, dass er es mit einem roten oder grünen Koalitionspartner durchsetzen kann, der ziemlich sicher an seiner Seite Platz nehmen wird?
Die meisten Vorhaben, die die CDU zurückdrehen möchte, wie etwa das Bürgergeld oder den Atomkraftausstieg , sind Kernelemente der jetzigen Regierung gewesen. Wenn Parteien der alten Regierung auch Teil der neuen sein sollten, ist es unwahrscheinlich, dass solche Maßnahmen komplett neu aufgesetzt werden. Der Blick ins Grundsatzprogramm zeigt, was die CDU verändern will:
1) „Niedrigere Steuern auf kleine und mittlere Einkommen“
Es ist eine Lebenslüge der deutschen Politik, dass die verhältnismäßig wenigen Superreichen in Deutschland – es gibt rund 400.000 Einkommensmillionäre – so zur Kasse gebeten werden können, dass es dem großen anderen Teil der Deutschen, die weniger verdienen, etwas bringt. Das Problem ist: So viele Reiche gibt es nicht, wie es bräuchte, damit die weniger Reichen etwas davon haben.
Der ehemalige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat vorgerechnet, was eine Steuerreform, bei der 400.000 Steuerpflichtige rund 41 Millionen Steuerzahler entlasten sollen, bedeutet: Selbst wer den Spitzensteuersatz für die Topverdiener um 10 Prozent erhöhte, würde den Rest nur um 200 Euro im Jahr entlasten.
Die Basis derjenigen, die mehr Steuern zahlen soll, zu verbreitern, würde natürlich deutlich mehr bringen. Doch dann ist auch schnell die Fachkraft bei Zeiss oder Mercedes darunter – und die will auch die CDU ja gern als Teil der besonders Fleißigen besserstellen.
Es bleibt also eine Steuersenkung im Vertrauen auf den belebenden Effekt auf den Konsum und damit auf die Wirtschaft und ohne sich das Geld anderswo herzuholen. Angesichts eines Haushalts, in dem bisher mindestens zwölf Milliarden fehlen, ist der Raum für derartige Gedankenspiele jedoch denkbar gering, vor allem, wenn man an der Schuldenbremse festhalten will. Aber dazu mehr beim Punkt 5 zur Bundeswehr.
2) „Der Grundsatz ‚fördern und fordern‘ muss immer gelten“
So steht es im Programm der CDU und Merz hat es bereits mehrmals wiederholt. Er nimmt damit vor allem das Bürgergeld aufs Korn, für das die Ausgaben seit den Reformen unter SPD-Sozialminister Hubertus Heil deutlich gestiegen sind. Heil setzte damit ein zentrales Anliegen der SPD um, die Partei wird sich weigern, es wieder zurückzudrehen.
Mit den Grünen hätte es Merz da einfacher. Die Aussichten für einen für beide Seiten gesichtswahrenden Kompromiss sind aber intakt. Dazu könnte gehören, dass das Bürgergeld für Ukrainer abgeschafft und durch die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber ersetzt wird. Ein effektives Kontrollsystem, das Missbrauchsfälle verhindert, dürfte ebenfalls mehrheitsfähig sein.
3) „Wir können nicht auf die Kernkraft verzichten“
Auch Merz kann die fünf noch intakten Atommeiler nicht einfach wieder anschließen. Er müsste ein entsprechendes Gesetz durch den Bundestag bringen und – schwieriger – die technischen und personellen Möglichkeiten schaffen.
Von fehlenden Ingenieuren bis zu ausgemusterten Brennstäben: Die Atomindustrie in Deutschland liegt im Koma , es würde Jahre brauchen, sie wieder instand zu setzen.
4) „Deutschland braucht weniger Bürokratie“
Es gibt niemandem im politischen Spektrum, der diesen Satz aus dem CDU-Grundsatzprogramm nicht unterschreiben würde. Das Problem liegt im konkreten: Welche Behörde soll verschwinden? Wo braucht es weniger und nicht mehr Mitarbeiter im öffentlichen Dienst?
Hier würde Merz gegen eine Wand laufen, wenn er Antworten lieferte, was er deswegen nicht tut. Und er weiß: Ein Großteil der Bürokratie kommt inzwischen aus Brüssel.
Die EU hat sich in eine Regelungswut manövriert, der kein Mitgliedsland Einhalt gebieten kann. Und an ihrer Spitze sitzt mit Ursula von der Leyen ausgerechnet eine Parteikollegin von Friedrich Merz.
5) „Aufrüstung und Rückkehr der Wehrpflicht“
„Wir rüsten unser Land gegen äußere Bedrohungen – dazu gehört auch, die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurückzunehmen“, steht im Grundsatzprogramm.
Doch Ankündigung und Umsetzung sind zweierlei: Es war die CDU als regierende Partei, die unter Angela Merkel, 16 Jahre lang, das vereinbarte Nato-Ziel von Verteidigungsausgaben, die bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen sollen, unterschritten hat.
Und es war auch unter Angela Merkel, als der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Wehrpflicht aussetzte. Seine Nachfolgerin war Ursula von der Leyen, die anschließend Kommissionspräsidentin geworden ist.
Merz muss sich anhören, dass es seine Partei gewesen ist, die maßgeblich für den bescheidenen Zustand der Bundeswehr verantwortlich ist. Erhebliche Mehr-Ausgaben für die Verteidigung dürften mit der aktuellen Version der Schuldenbremse unvereinbar sein. Allerdings hat Merz hier signalisiert, dass er Veränderungen will: Die Schuldenbremse sei ein technisches Thema und selbstverständlich zu reformieren, hatte er gesagt. Offen zeigte er sich für eine Reform, wenn diese etwa Investitionen, dem Fortschritt oder den Lebensgrundlagen der jungen Generation diene. Gilt das auch für die Bundeswehr? Unklar.
6) „Wir bekämpfen Extremismus mit voller Härte“
Das soll laut Grundsatzprogramm auch für den politischen Islam gelten. Das klingt markig, hat aber in der Praxis ein Problem: Die Freiheit der Religionsausübung ist im Grundgesetz garantiert – an ihr will niemand rütteln, auch Merz nicht.
Der Islam ist ausgerechnet eine der Religionen, die Staat und Religion nicht trennt. Prediger werden zu Staatsführern ausgerufen, und die Keimzelle für terroristische Aktionen liegt in einem fanatisch ausgelegten Religionsverständnis. Für eine Gesellschaft, die Religionsfreiheit als ihren Grundwert akzeptiert, ist der Umgang mit religiösen Eiferern schwierig.
Die Staatsbürgerschaft „am Ende einer gelungenen Integration“ zu verleihen, wie es im Grundsatzprogramm heißt, läuft auf das Zurückdrehen der Reform zur doppelten Staatsbürgerschaft hinaus – was ein zentrales Anliegen der Grünen gewesen ist. Werden sie Merz’ Koalitionspartner, wird es schwierig, hier eine neue Linie zu fahren.
7) „Eine Schuldenunion lehnen wir ab“
Das ist der Anspruch, den die CDU an die EU stellt. Das Problem: Die EU ist längst eine Schuldenunion. Die meisten Länder, unter ihnen auch immer wieder Deutschland, verfehlen das Schuldenziel, das in den Maastricht-Verträgen vorgegeben ist.
Treiben sie es zu arg, hilft ihnen, wie in der Staatsschuldenkrise 2012 geschehen, die unabhängige Europäische Zentralbank, indem sie faktisch Geld druckt. Die CDU und Merz haben darauf keinen Einfluss.