Wegen 50.000 Messerattacken in London: ARD-Doku wirft brisante Frage für uns auf
„Das ist ein Zombiemesser“, erklärt Sandra Campbell und deutet auf die gezackte Schnittfläche, die tödliche Wunden produziert. Campbell ist von der Organisation „Word4Weapons“, die 60 Container in London aufgestellt hat. Dort werden allerdings weder Plastik noch Kleidung gesammelt, sondern Messer aller Art. Eltern und Jugendliche werfen dort kiloweise Messer anonym hinein, die ihnen und anderen lebensgefährlich werden könnten. Zehntausende Messer sind auf diese Art in zehn Jahren aus dem Verkehr gezogen worden.
Küchenmesser. Jagdmesser. Säbel. Macheten. Manchmal ist auch eine Pistole dabei. Als Campbell eine dieser Boxen bei laufender Kamera öffnet, sind 800 (!) Messer darin. „Nicht die Waffe ist gefährlich, sondern der Mensch, der sie einsetzt“, sagt Campell in der sehenswerten und erschreckenden BR-Doku „Tödliche Messer“. London ist die Hochburg für Messergewalt. 2024 gab es allein dort 50.000 Messerattacken.
ARD-Doku: 29.000 Messerangriffe in Deutschland
„Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Monaten und Jahren eine Zunahme der Messerkriminalität sehen“, sagt der Kriminologe Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und bezieht sich auf Deutschland und die Kriminalstatistik. 2024 gabe es hierzulande rund 29.000 derartiger Vorfälle im Jahr.
90 Prozent der Täter sind männlich. Die große Mehrheit hat eine ausländische Herkunft. Baier ist der Meinung, dass in Deutschland die falschen Stellschrauben gedreht werden. Mit der Härte des Gesetzes würden die Ursachen jedenfalls nicht bekämpft, sagt er. Es müsse vielmehr darum gehen, männliche Rollenbilder, zu denen immer öfter Gewalt als Merkmal zählt, zu ersetzen. „Politik setzt zu sehr auf Abschreckung und Härte“, erklärt Baier. „Mit dieser Politik wird es nicht gelingen, Waffen zu reduzieren.“
Es braucht mehr als nur verschärfte Gesetze
In England und London gibt es bereits seit mehr als einem Jahrzehnt massive Probleme mit der Messergewalt. Die Politik reagiert dort mit hohen Strafen, etwa Freiheitsstrafen bereits für Zehnjährige, Verboten und Polizeieinsätzen. Das aber hilft nur begrenzt. Nun sollen in London Präventionsprogramme die Wende bringen.
Experten und Sozialarbeiter sind sich einig: Es braucht mehr als nur verschärfte Gesetze. Notwendig seien nachhaltige und langfristige Programme, Investitionen in Problemviertel und eine enge Einbindung der Jugendlichen in die Gesellschaft. Messerverbotszonen, wie sie in Deutschland existieren, bringen nach Meinung von Experte Baier langfristig wenig. Das sei eher Symbolpolitik.
Scheckkarten mit integriertem Messer
In Deutschland stehen Würzburg (Juni 2021), Mannheim (Mai 2024) und Aschaffenburg (Januar 2025) als Synonyme für Messergewalt. In Stuttgart wurden als Reaktion auf solche Vorfälle nun Waffenverbotszonen eingerichtet. Polizeihauptkommissar Andreas Kunz erläutert: „Wir stellen eine Steigerung von Auseinandersetzungen mit Waffen fest, überwiegend mit Messern.“ Oft würden verbale Auseinandersetzungen eskalieren.
154 Waffen haben die Stuttgarter seit Einrichtung der Zonen eingesammelt. Darunter waren Schlagringe mit integriertem Messer, Scheckkarten mit integriertem Messer und Halsketten mit integriertem Messer. Ein Messer in der Tasche zu haben, ist vielerorts gesellschaftsfähig geworden. Kriminologe Baier nennt drei Hauptgründe, warum Menschen zu Messergewalt greifen. Erstens: Gewalt in der Familie, zweitens: Alkohol- und Drogenkonsum, Drittens: Cliquen, in denen eine Affinität zur Gewalt herrscht.
Deutschland ist schlecht vorbereitet
Auf Deutschland rollt offenbar eine Lawinen von Vorfällen mit Messern zu. In den sozialen Medien kursieren unzählige Videos, die verstörende Schlachten zwischen rivalisierenden Gangs und einzelnen Jugendlichen zeigen - ausgetragen mit Macheten, Schwertern, Küchenmessern, wie die BR-Doku zeigt.
Der einfache Zugang und die hohe Verbreitung der Messer führen demnach zu einem fatalen Teufelskreis der Bewaffnung. Politiker täten gut daran, die Folgen dieser Gefahr nicht zu unterschätzen und am Beispiel Großbritannien zu lernen, um für die rasante Zunahme an Messerkriminalität gerüstet zu sein. Mit der Reduzierung der Zuwanderung ist es sicher nicht getan. Das Problem gärt bereits im Inneren und muss auch dort gelöst werden.