Krieg in Nahost: Irans Führer möglicherweise vor Israel-Angriffen geflohen
Der Oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, könnte wegen der israelischen Angriffe auf zahlreiche Ziele das Land verlassen haben. Es droht ein Machtvakuum.
Teheran - Die Führung der Islamischen Republik Iran ist schwer angeschlagen. Bei zahlreichen Angriffen des israelischen Militärs wurden mehrere ranghohe Kommandeure der Revolutionsgarden getötet. Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei drohte daraufhin mit Vergeltung. „Die Streitkräfte werden mit Entschlossenheit handeln und das niederträchtige zionistische Regime zugrunde richten“, hieß es in einer Erklärung im iranischen Staatsfernsehen.
Doch wo sich Chamenei aufhält, ist unklar. Die Sicherheitsvorkehrungen sollen massiv verschärft worden sein, in den sozialen Medien kursieren Gerüchte, wonach er das Land verlassen habe. Von dort aus soll er die Entwicklungen des Krieges verfolgen und weiter alle wichtigen Entscheidungen treffen.
Krieg in Nahost: Chamenei hat den Iran möglicherweise verlassen
Die italienische Tageszeitung Corriere della Sera spekuliert, Chamenei habe sich möglicherweise in seine Heimatstadt Maschhad im Nordosten des Landes zurückgezogen. Seine Anhänger seien sich jedoch sicher, dass er in der Hauptstadt geblieben ist, bei seinem Volk. Sicher ist nur, dass große Unruhe im Umfeld Chameneis herrscht. Das strikte Vorgehen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu lässt vermuten, dass es das Ziel Israels ist, den Obersten Führer des Iran zu beseitigen.
Seit dem Tod von Hassan Nasrallah, dem ehemaligen Führer der libanesischen Hisbollah, sind die Sicherheitsvorkehrungen rund um Chamenei erheblich verschärft worden. Dessen Schutz ist hauptsächlich Aufgabe einer Spezialeinheit der Revolutionsgarden, dem „Vali Amr Protection Corp“. Eine namentlich nicht genannte iranische Quelle soll gegenüber Corriere della Sera gesagt haben, dass großes Misstrauen herrschen würde: „Niemand traut mehr irgendjemand“, wird die Quelle zitiert. Der israelische Geheimdienst Mossad soll über gute Verbindungen in die Revolutionsgarden verfügen.
Krieg zwischen Iran und Israel: Chamenei hat seit 27 Jahren das Land nicht mehr verlassen
Der Iran soll zum Schutz des 86 Jahre alten geistlichen Führers aufgerüstet haben: Wärmebildkameras, Ganzkörperscanner, strenge Kontrollen an Ein- und Ausgängen zu öffentlichen und privaten Veranstaltungen. Jedem öffentlichen Auftritt geht eine akribische Vorbereitung voraus, heißt es. Seit Chamenei 1989 zum Obersten Führer des Iran ernannt wurde, hat er offiziell das Land nicht mehr verlassen.
Chamenei gilt als Asket, er soll Luxus verabscheuen. Es heißt, er lehne kostbare Geschenke ab oder verkaufe sie und spende den Erlös an Bedürftige. Er präsentiert sich als Hüter der Werte der Islamischen Revolution von 1979: soziale Gerechtigkeit, nationale Unabhängigkeit und islamische Herrschaft. Doch tatsächlich ist sein Politikstil eher autoritär und repressiv. Sein Handeln zielt darauf ab, das Überleben des Regimes und den Erhalt der persönlichen Macht zu sichern.
Krieg in Nahost: Bei Ermordung Chameneis droht Machtvakuum im Iran
In der Vergangenheit ließ er politische Gegner inhaftieren, foltern und ermorden. Jegliche Versuche, den Iran liberaler aufzustellen, erstickte er im Keim - häufig mit extremer Gewalt. Zwischen 2009 und 2023 ließ er mehr als 20.000 Menschen verhaften und etwa 500 ermorden.
Eine mögliche Ermordung Chameneis durch das israelische Militär hätte weitreichende Folgen. Die iranische Verfassung sähe dann die Einleitung eines Verfahrens zur Wahl eines anderen Geistlichen als Obersten Führer vor. Als Favorit gilt der Lieblingssohn des Ajatollahs, Mojtaba. Sollte er tatsächlich gewählt werden, könnte das eine Erbmonarchie begründen. Gleichzeitig droht aber auch ein Machtvakuum.
Chamenei hat enormen Einfluss auf den Irak, den Libanon, Syrien und den Jemen. Dort unterstützt er seit Jahrzehnten Milizen. Bei dessen Tod bestünde die Möglichkeit, dass der Iran in Kämpfe verwickelt wird, die in der Region Chaos verbreiten könnten. Ein Militärputsch oder gar ein Bürgerkrieg ist nicht auszuschließen. Auch die Reformisten könnten versucht sein, die Macht zu übernehmen und dafür den Westen um Unterstützung bitten. (fmü)