Reisen in Krisenzeiten: Wie Israels Nachbarland Jordanien um seinen Tourismus kämpft
Jordanien ist mit Sehenswürdigkeiten wie Petra oder Wadi Rum ein Sehnsuchtsort für Reisende und liegt doch aktuell mittendrin im Konflikt im Nahen Osten.
Wer in diesen Tagen eine Reise nach Jordanien plant, hat zurecht viele Fragen: Wie sicher ist die Lage in dem Land, das sich auf über 300 Kilometern eine von einer der Hauptstraßen sichtbare Grenze zu Israel und dem besetzten Westjordanland teilt? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im Fall eines erneuten iranischen Angriffs auf Israel wieder zu einer Sperrung des Luftraums oder gar zu einer Reisewarnung kommen kann? Und kann man eine Reise in die Wüstenlandschaften von Wadi Rum, in die historische Felsenstadt Petra und an den tiefsten Punkt der Erde am Toten Meer überhaupt guten Gewissens genießen, wenn im Nahen Osten Krieg herrscht?
Zumindest auf die letzte Frage geben Menschen, die in Jordanien im Tourismus arbeiten, eine klare Antwort. Menschen wie Fadi Alsoud, der als englischsprachiger Guide Gäste durchs Land führt, Raed Abushakra, der früher in Frankfurt lebte und nach der Rückkehr in seine Heimat im Vertrieb des Sun City Camp am Rand der filmreifen Landschaft von Wadi Rum anheuerte und sich hier sicher fühlt. Oder Fathi Ajouri, Sales Manager im Kempinski Hotel Aqaba, einem der Luxushotels am Roten Meer, dessen Poollandschaft sich trotz direktem Blick über die Grenze nach Israel alle Mühe gibt, den Gästen ein Gefühl von Unbeschwertheit in schwierigen Zeiten zu vermitteln.

Reisen nach Jordanien: Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige
Der wichtigste Unterschied zwischen Jordanien und anderen arabischsprachigen Ländern liegt für Gästeführer Alsoud klar auf der Hand. „Wir haben zwar kein Öl – aber wir haben Petra, das Tote Meer, einige der wichtigsten christlichen Pilgerstätten und dazu die wohl am besten erhaltenen Römerspuren außerhalb Italiens. Unser Öl ist der Tourismus“, sagt der 30-Jährige, der aus der Mosaik-Hauptstadt Madaba stammt, Tourismus und Geschichte studiert hat und als freiberuflicher Gästeführer im Wochentakt die spektakulärsten Orte des Landes zu sehen bekommt.

Was er mit seinem Vergleich sagen will, zeigt besonders anschaulich die Felsenstadt Petra im Südwesten des Landes. Die 1812 wiederentdeckte Stadt mit ihren monumentalen in Sandsteinfelsen gemeißelten Bauten gehört nicht nur zu den faszinierendsten Welterbestätten der Welt, sondern nach einer 2007 veröffentlichten Liste der New Open World Foundation auch zu den „Sieben neuen Weltwundern“ – oder um es in den Worten des 21. Jahrhunderts auszudrücken, zu den „most instagramable“ Orten des Landes.

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Zögernde Gäste: Der Krieg in Israel hält Reisende aktuell auch von Jordanien ab
Und gerade für die Tourismuseinnahmen in Jordanien bietet Petra eine wichtige Leitzahl. Da sich kaum ein Reisender den Besuch der Felsenstadt entgehen lässt, wurde mit dem Jordan-Pass ein Weg ins Leben gerufen, um unkompliziert an ein touristisches Visum zu kommen, das Reisende auch gleich mit kostenlosen Eintritten in verschiedenen Sehenswürdigkeiten des Landes versorgt. Zwischen 70 und 80 Jordanische Dinar (JD) kostet das Kombiticket pro Person, je nach Anzahl der Tage, die man in Petra verbringen will. Wenn man davon ausgeht, dass die Felsenstadt in Spitzenzeiten 5.000 Besucher pro Tag anlockt, sind das umgerechnet fast eine halbe Million Euro.
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In den aktuellen Krisenzeiten sind in der archäologischen Stätte, deren Besuch mit einem Besucherzentrum etwas außerhalb beginnt, und nach einem kurzen Fußweg durch die beeindruckende Felsenschlucht über das aus dem dritten Indiana Jones-Film bekannten Schatzhaus Khazne al-Firaun in die Stadt führt, deutlich weniger Menschen unterwegs. Kaum Influencerinnen, die schon kurz nach Sonnenaufgang in wehendem Kleid vor den Prachtbauten posieren, kaum Familien, die für keine fünf Minuten Kamelreiten mit Fotoshooting Schlange stehen und kaum Busgruppen, die von Kreuzfahrtschiffen über die Hafenstadt Aqaba am Roten Meer auf Jordaniens beliebteste Attraktion zusteuern. Verwaist ist Petra auch im April 2024, wenige Tage nach den iranischen Angriffen auf Israel, nicht. Dass Jordanien gerade trotzdem ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Tourismuseinnahmen fehlen dürfte, ist dennoch kaum zu übersehen.

Sicherheit von Reisen nach Jordanien: Normalität im Alltag, wenig Andrang an Touristen-Highlights
Dabei fühlt sich das Leben im Land auch Tage nach dem Angriff, der für einige Stunden eine Schließung des Luftraums und für wenige Tage zumindest eine Aktualisierung der Reisewarnungen des Auswärtigen Amts nach sich zog, erstaunlich normal an. Café-Betreiber brühen an Straßenständen auf heißem Sand nach Kardamom duftenden Kaffee auf, Schulkinder ziehen über die Straßen, auf den Routen in die Hauptstadt Amman stockt unterwegs zurück aus der Römerstadt Jerash, die etwas nördlich der Hauptstadt liegt, wie gewohnt der Feierabendverkehr.
Obwohl an den wichtigsten archäologischen Römerstätten des Landes, in Jerash und rund um die Zitadelle der Millionenstadt Amman, derzeit deutlich weniger Reisende unterwegs sind als gewöhnlich. Einzelne Reisegruppen aus Australien und den USA und auch etliche Menschen aus Jordanien und den Golfstaaten folgen ihren Guides durch den berühmten Hadriansbogen aus dem 2. Jahrhundert, durch Säulengänge und in die beeindruckenden römischen Amphitheater des Geländes. Für die Musiker, die im größeren der beiden für Trinkgeld jordanische Klassiker auf Dudelsack und Trommel zum Besten geben, stellen die Gruppen dankbare Zuhörer dar, während sie die weitestgehend leeren Ränge fotografieren.

Sicherheit von Jordanien-Reisen: Auch Reiseveranstalter sehen zurückhaltendes Buchungsverhalten
Den Unterschied zum vergangenen Jahr, als Jordanien mit rund 6,4 Millionen Touristinnen und Touristen eine neue Rekordzahl aufstellte, nimmt auch Yvonne Herrmann wahr. Die 40-Jährige ist Reisespezialistin beim Krefelder Reiseveranstalter „Erlebe Fernreisen“ und selbst vor Ort, um sich über die Lage im Land ein Bild zu machen. „Einige unserer Kundinnen und Kunden, die eine Reise hierher geplant haben, sind gerade zögerlich oder verschieben“, erklärt sie, betont aber auch, dass ihre Agentur vor Ort, die für Reiseleiter, Fahrer und Programmplanung sorgt, ihr seit Wochen versichert, dass vor Ort alles getan werde, um für die Sicherheit der Kundschaft zu sorgen.
Dass solche Signale bei Reisenden auch tatsächlich ankommen, zeigen vor allem die klassischen Ferienresorts am Roten Meer, etwa in der Grenzstadt Aqaba und am Toten Meer, wo aus Lautsprecherboxen an Poolbars laute Musik dröhnt, während Touristinnen und Touristen Cocktails schlürfen und aus dem Infinity-Pool beobachten wie Ausflugsboote Gäste zum Tauchen und Schnorcheln zu den Korallenriffen bringen. Am Toten Meer unweit der Hauptstadt Amman bieten Privatstrände am tiefsten Punkt der Erde Zugang zu dem salzhaltigen Gewässer, das für „Floating“ – also das Schweben auf dem Wasser – und die hautpflegende Wirkung des hier gewonnenen Schlamms bekannt ist.

Risiko von Jordanien-Reisen: Weniger Menschenmassen, Gefühl von Sicherheit
Gerade die Menschen, die hier an den Küsten unterwegs sind, verhalten sich unbeschwert, genießen ihren Urlaub, nicht wenige reisen sogar als Familien mit Kindern an. Doch Beschäftigte wie Fathi Ajouri wissen auch, dass die Effekte des Kriegs im Nachbarland langfristig potenziell schlimmere Folgen haben könnten als vor einigen Jahren die Corona-Pandemie.
Jordanien-Expertin Herrmann dagegen verlässt das Land mit einem guten Gefühl. „Den Unterschied, den ich zu einer Reise im vergangenen Frühjahr vor allem feststelle, ist, dass das Reisendenaufkommen an besonders belebten Orten wie Petra oder Wadi Rum deutlich geringer ist, was sich aber auch positiv auf den Besuch auswirkt. Gerade an den Orten, die besonders nah an Israel liegen, hat man von einer Zögerlichkeit der Reisenden wirklich kaum etwas bemerkt“, fasst sie die einwöchige Rundreise durchs Land zusammen, auf die sie gemeinsam mit anderen Vertreterinnen von deutschen Reiseveranstaltern aufgebrochen ist. Was sie davon mit nach Hause nimmt, ist vor allem die Erkenntnis, dass sie Kundinnen und Kunden aktuell weiterhin empfiehlt, ins Land zu reisen. Denn eine Reisewarnung gibt es für Jordanien nach wie vor keine, und auch die Kunden, die zuletzt trotz allem ihre gebuchten Reisen angetreten haben, seien begeistert gewesen von dem Land, der Freundlichkeit und Gastfreundschaft seiner Menschen und seinen faszinierenden Sehenswürdigkeiten.

Wüstengebiet Wadi Rum in Jordanien: Das Leben geht hier seinen gewohnten Gang
Ein weiteres Highlight darunter ist auch das Landschaftsschutzgebiet Wadi Rum, in dem über die vergangenen Jahre Wüstencamps aus dem Boden geschossen sind, um die Nachfrage von Reisenden aus aller Welt zu decken, die hier auf den Spuren des historischen Lawrence von Arabien und mehreren Kino-Blockbustern wandeln und einige Nächte in der Wüste verbringen wollen. Eins davon, das ganz am Rand des Schutzgebiets liegt und an diesem Wochenende mit Reisegruppen aus Großbritannien, Frankreich oder Australien fast ausgebucht ist, ist das Sun City Camp, in dem auch Verkaufsmitarbeiter Raed Abushakra zugegen ist und Herrmann und ihren Mitreisenden in fließendem Deutsch erklärt, dass sich am Leben in der Wüste in den vergangenen Monaten wenig verändert hat.
„Natürlich ist uns auch hier bewusst, dass die aktuelle politische Situation unserer Nachbarländer auch Jordanien betrifft“, erklärt Abushakra, der das Zögern auch bei seinen Kundinnen und Kunden wahrnimmt. Doch auch bei ihm und seinem Team sei das Vertrauen in die Regierung des Landes und das Tourismusministerium groß, dass im Land selbst der Frieden gewahrt bleibt. Oder wie Reiseleiter Alsoud es ganz pragmatisch ausdrückt: „Warum Jordanien sicher ist? Weil die Jordanier nicht im Traum auf die Idee kämen, ihr Land aufs Spiel zu setzen!“

Mit Beduinen unterwegs: Wie die Natur Jordaniens die politische Lage vergessen lässt
Es herrscht also eine gewisse, auf eine irgendwie beruhigende Art gelassene, „Abwarten und Tee trinken“-Haltung, in dem Land, das sich mit seinem reichen historischen und kulturellen Erbe, genau wie mit seinen erstaunlichen Landschaften über die Jahre zum Touristenmagneten entwickelt hat. Das verdeutlicht kaum einer so gut, wie der Beduinenguide, der sich mit tiefer Stimme und gebrochenem Englisch als Khalid vorstellt und berichtet, dass er früher – bevor er anfing, Reisende auf Wanderschaft durch das Biosphärenreservat Dana zu begleiten – beim Militär war.
Mühelos und schwindelfrei führt er über die steinigen Pfade, erklärt die Pflanzen und Steine entlang des Wegs und behält den Überblick über ein Labyrinth aus Natur und Felsen, das für den Rest der Gruppe bereits nach einer halben Stunde wirkt, als fände man nie wieder zurück zu dem kleinen Bus, der einen über die schmale Straße entlang der Steilklippen hierher gebracht hat. Als er den perfekten Ort erreicht hat, um den Sonnenuntergang über dem Tal abzuwarten, schichtet er Holz auf, füllt Wasser aus einer Plastikflasche in eine Kanne, die er geschickt an einem Ast übers Feuer baumeln lässt und aus gesammelten Kräutern und Blättern Tee zubereitet.
Als „good life“ bezeichnet er diesen Traumberuf, der ihm erlaubt, jeden Tag in der Natur unterwegs zu sein, sich immer wieder eine Zigarette anzustecken und Vogelstimmen imitierend scheinbar mit den großen und kleinen Vögeln zu kommunizieren, die über den Himmel kreisen, ohne sich irgendeines Problems der Menschen in diesem Land bewusst zu sein. Dass dieses gute Leben auch die Wandergruppe aus Deutschland ansteckt, ist mit einer der Gründe, dass die Woche in Jordanien sich am Ende irgendwie unwirklich anfühlt und einen zutiefst dankbar macht, wenige Tage zuvor trotz etwas mulmigem Gefühl in Frankfurt den Flieger bestiegen zu haben. (saka)
Die Recherche wurde unterstützt von Visit Jordan.