Rasputiza steht vor der Tür: Ukraine und Russland bereiten sich auf Eiseskälte vor

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Die Ukraine bereitet sich auf Raketen- und Drohnenangriffe Russlands im Winter vor. Als Verteidigung wolle sie Russland „so hungrig und frierend machen, dass sie keine Lust mehr haben zu kämpfen“.

Kiew – Erbitterte Kämpfe ohne klare Gewinner auf gefrorenem Boden. Der Winter ist da – doch eine Winterpause oder gar ein Ende des Ukraine-Kriegs scheint nicht in Sicht. Auch für Friedensverhandlungen zeigen sich bislang weder die Ukraine noch Russland bereit. Beide pochen auf ihre Besitzansprüche – und kämpfen trotz hoher Verluste und Eiseskälte weiter an der Front.

„Ukrainische und russische Streitkräfte setzen ihre Kampfeinsätze in der Ost- und Südukraine fort, obwohl das regnerische Wetter das Tempo der Kampfeinsätze wahrscheinlich weiter verlangsamen wird, bis die Winterbedingungen vollständig einsetzen“, schreibt das Institute for the Study of War (ISW) in seinem Lagebericht. Beide Seiten versuchen, wichtige Gebiete vor der traditionellen Winterflaute zu erobern. Beide befinden sich in einem Wettlauf mit der Zeit, denn in den Kampfgebieten im Süden und Osten der Ukraine sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt.

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Ein russischer T-72 Panzer: Der Ukraine-Krieg entwickelt sich nach Angaben des Oberbefehlshabers der ukrainischen Armee zu einem Stellungskrieg (Symbolbild). © IMAGO / Ray van Zeschau

Krieg in der Ukraine: Trotz Winter erbitterte Kämpfe um die Krim gegen Russland

Die ukrainischen Truppen treiben dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek zufolge ihre wichtigste Gegenoffensive immer noch in Richtung Süd-Saporischschja voran. Dort hatte Kiew geplant, die russischen Linien zu durchbrechen und die sogenannte „Landbrücke“ zu durchtrennen, die die besetzte Krim mit Westrussland verbindet. Da die Ukraine durch russische Verteidigungsanlagen behindert wird, kommt sie dort nur langsam voran.

Ukrainische Einheiten greifen auch über den Fluss Dnjepr – auf Ukrainisch Dnipro genannt – an der Südfront von Cherson an. Kiews Streitkräfte haben mehrere kleine Stützpunkte am russisch besetzten Ostufer des Flusses errichtet, das seit der Befreiung Chersons im November 2022 einen Großteil der südlichen Frontlinie bildet. Die Wasserstraße stelle ein erhebliches Hindernis dar. Doch jeder anhaltende ukrainische Erfolg dort sei eine Bedrohung für die russischen Stellungen in der besetzten Südukraine und entlang der engen Zufahrt zur Krim. Die Halbinsel gilt als eines der wichtigsten strategischen Ziele des Konflikts. Der pensionierte Generalleutnant Ben Hodges, der ehemalige Kommandeur der U.S. Army Europe, sagte gegenüber Newsweek, dass die Krim das „entscheidende Terrain“ des Krieges sei.

Trotz Verlusten Russlands kaum Veränderungen an der Front im Ukraine-Krieg

Unterdessen greifen russische Streitkräfte immer noch im Nordosten der Oblast Luhansk und rund um die Stadt Awdijiwka in der Oblast Donezk. Russland versucht, die Stadt zu umzingeln. Die Soldaten nutzten hierzu Taktiken, die laut einem ukrainischen Abgeordneten auf eine „Wiederholung der Situation mit Bachmut“ hindeuten. Er bezog sich dabei auf die zermürbende und blutige Eroberung der zerstörten Stadt Donezk Anfang des Jahres.

Das britische Verteidigungsministerium deutete am Samstag (18. November) an, dass die Front in den kommenden Monaten noch statischer werden könnte. „Während das kältere Winterwetter in der Ostukraine einsetzt, gibt es kaum unmittelbare Aussichten auf größere Veränderungen an der Front“, sagte das Ministerium Newsweek zufolge: „In der letzten Woche fanden die heftigsten Bodenkämpfe in drei Gebieten statt: auf der Kupiansk-Achse im Oblast Luhansk, um Avdiivka im Oblast Donezk und am linken Ufer des Flusses Dnipro im Oblast Cherson, wo ukrainische Streitkräfte einen Brückenkopf errichtet haben.“ Laut dem britischen Ministerium habe keine Seite in irgendeinem dieser Bereiche wesentliche Fortschritte erzielt. Russland erleide weiterhin besonders schwere Verluste rund um Awdijiwka.

Winter werde Kämpfe zwischen Ukraine und Russland nicht stoppen

Laut Spiegel herrscht in der Ukraine wieder Rasputiza. Der russische Begriff bedeutet „Zeit der Wegelosigkeit“ und bezeichnet jene Wochen, in denen heftige Regenfälle im Herbst oder Tauwetter im Frühjahr die Erde in tiefen Schlamm verwandeln. Kriegsfahrzeuge können die Straßen nur schwer befahren. 

Trotzdem werden die Kämpfe im Winter nicht aufhören, prognostizierte das ISW. „Die frostigen Wetterbedingungen im Winter werden wahrscheinlich die Wiederaufnahme aktiverer Kampfeinsätze veranlassen, und anhaltendes Regenwetter wird die ukrainischen oder russischen Angriffe wahrscheinlich nicht stoppen.“

Letztes Jahr startete Russland eine weitgehend erfolglose Winteroffensive, die jedoch den Grundstein für die Eroberung Bachmuts im Spätfrühling legte. In diesem Jahr erwartet Kiew mehr Angriffe rund um Awdijiwka, da der Herbst zum Winter werde: „Wir erwarten die dritte Welle der Offensive – einen Versuch, Awdijiwka einzukreisen“, sagte der ukrainische Militärsprecher Oleksandr Shtupun laut Newsweek. „Wir warten, wir bereiten uns vor.“

Krieg im Winter: Ukraine rechnet weiterhin mit russischen Angriffen

An der Heimatfront erwartet die Ukraine einen weiteren Winter intensiver russischer Raketen- und Drohnenangriffe auf lebenswichtige Energieinfrastruktur: „Wir haben fast die Hälfte des Novembers hinter uns und müssen damit rechnen, dass der Feind die Zahl der Drohnen- oder Raketenangriffe auf unsere Infrastruktur erhöhen könnte“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj: „Russland bereitet sich auf die Ukraine vor. Und hier in der Ukraine sollte sich alle Aufmerksamkeit auf die Verteidigung konzentrieren, auf die Reaktion auf Terroristen, auf alles, was die Ukraine tun kann, um den Winter zu überstehen und die Fähigkeiten unserer Soldaten zu verbessern.“

Wolodymyr Fitio, ein Sprecher des ukrainischen Militärs, sagte unterdessen, dass die Kiewer Streitkräfte ihre eigenen Winteraktionen planen. Die „Hauptaufgabe“ des Militärs in der kalten Jahreszeit werde darin bestehen, die Logistik Russlands zu stören, „sodass sie hungrig und frierend sind und keine Lust mehr haben zu kämpfen“, sagte er. „Daher sollte der Feind mit Überraschungen aus der Luft rechnen.“

Es gab laut Newsweek Spekulationen darüber, dass ein Winterstopp im Krieg neue Möglichkeiten für Friedensgespräche eröffnen könnte. Aber weder die Ukraine noch Russland würden Anzeichen eines Kompromisses zeigen. Die Ukraine strebe immer noch die vollständige Befreiung aller von Moskau besetzten Gebiete an, während Präsident Wladimir Putin Kiew wiederholt aufgefordert habe, die „neue territoriale Realität“ der Besetzung großer Teile des Südens und Ostens des Landes anzuerkennen.

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Winterpause im Ukraine-Krieg mit Friedensverhandlungen nicht wahrscheinlich

„Es ist schwierig, im Winter Offensivoperationen durchzuführen“, sagte Oleg Ignatow, leitender Russland-Analyst des Think-Tanks Crisis Group, gegenüber Newsweek. „In Awdijiwka sehen wir, dass auch die Russen nicht über genügend Ressourcen zum Angriff verfügen. Ihre Offensivoperationen sind nicht erfolgreich.“

Doch trotz der Belastung für den Kreml gebe es keine Anzeichen für eine Entspannung, sagte Ignatow. „Russland will Verhandlungen. Aber Russland will Verhandlungen, weil es glaubt, dass es durch Verhandlungen erreichen kann, was es von diesem Krieg will“, sagte er. „Das bedeutet nicht, dass Russland bereit ist, Kompromisse einzugehen.“ Keine Seite sei zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen bereit, fügte Ignatow hinzu. Beide Seiten würden feststecken: „Für die Russen geht es darum, wer zuerst blinzelt. Und sie werden nicht zuerst blinzeln.“ (Lisa Mariella Löw)

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