Gastbeitrag von Datev-CEO Prof. Robert Mayr - Steuerlast muss gesenkt werden, denn: „Deutschem Mittelstand geht es schlecht"

Dem deutschen Mittelstand, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft, geht es schlecht! Die Umsätze bei den KMU (Kleinen und Mittleren Unternehmen) fallen. Weil gleichzeitig die Löhne der Angestellten steigen, bleibt kein Geld mehr übrig für Investitionen. Das zeigen die aktuellen Daten von Millionen Unternehmen und Arbeitnehmenden, die DATEV in ihrem erfasst hat. Ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht.

Das beruht auf vielen, inzwischen angehäuften strukturellen Problemen. Deutschland hat in der Vergangenheit Wachstum mit Exporten generiert, die aber brechen ein, weil Konkurrenten besser oder wegen hoher Energiekosten in unserem Land viel billiger, manchmal sogar effizienter sind. Auch die Innovationskraft hat deutlich nachgelassen.

Bei kritischen Technologien sind Deutschland und Europa inzwischen weit abgeschlagen. Das belegt der Critical Technology Tracker des Australian Strategic Policy Institutes. Und auch selbstgemachte Probleme sind ein sehr großes Hemmnis: Genannt sei hier zuallererst die überbordende Bürokratie. Deren Abbau wird auch in unserem  „Branchenbarometer“ als wichtigster Hebel für den wirtschaftlichen Erfolg von kleinen und mittelständischen Unternehmen identifiziert.

Globale Krisen und die Aushöhlung der Marktwirtschaft

Deutschland und die EU haben über die letzten Jahrzehnte der Marktwirtschaft mehr und mehr den Rücken gekehrt, durch eine allmählich zunehmende Lawine an Regulierung, die alles zu regeln versucht. Dadurch haben sich Strukturprobleme verschärft, die durch zu starke Export-Abhängigkeiten von problematischen Märkten zusätzlich verstärkt wurden.

Die globale Dynamik trägt zu einer Vertiefung der Krise bei: Mit drohenden Zöllen zu Lasten der deutschen und europäischen Exporte, mit Krisen und Kriegen in verschiedenen Teilen der Welt erleben wir nun seit einer Dekade ständig neue, meist schlechtere globale Marktbedingungen. Im OECD-Vergleich bleibt Deutschland eines der Länder mit der höchsten Steuer- und Abgabenlast. Donald Trumps Versprechen einer Steuerreduzierung auf 15 Prozent, wird – so realisiert – nicht ohne Wirkung bleiben: Warum in Deutschland bleiben, wenn es woanders „schöner“ ist?

Es lohnt ein Blick auf Deutschlands Stärke

Angesichts dieser Probleme und der drohenden, weiteren Verschlechterung des freien Welthandels lohnt sich ein Blick auf Deutschlands Stärke. Der Wiederaufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg wäre ohne eine marktwirtschaftlich geprägte Radikalkur nicht möglich gewesen. Freiheit und Verantwortung waren verantwortlich für diesen Aufstieg – sowie der Glaube an das Unternehmertum und dessen Innovationskraft.

Diese Überzeugung, dass ein freier Markt besser funktioniert als ein überregulierter, ist uns in den vergangenen Jahren bedauerlicherweise abhandengekommen. Im Gegenteil: Immer mehr Regeln erzeugen immer mehr administrativen Aufwand! Das unterminiert die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der deutschen Wirtschaft nachhaltig. Eine Lösung dieser Herausforderungen muss darin bestehen, die Prinzipien der Marktwirtschaft wieder hervorzuholen – und das geht nur mit grundlegenden und strukturellen Reformen und auch mit einem Begriff, der in den vergangenen Jahren, wie ich finde zu Unrecht, negativ konnotiert war: Deregulierung.

Deregulierung und Bürokratieabbau: Wir müssen den Rückwärtsgang einlegen, um vorwärtszukommen

Auf Bundesebene gab es 2010 rund 37.000 Einzelnormen. 2024 waren es bereits knapp 46.000. Das ist ein Anstieg um rund 24 Prozent. Die EU hat in den letzten fünf Jahren 13.000 Gesetze erlassen, die USA im Vergleichszeitraum 5.500. Die Politik hat eigentlich die Verpflichtung, klare Prioritäten zu setzen und Lösungen für Zielkonflikte zu entwickeln. Sprich: Die Politik muss entscheiden. Das macht sie aber kaum noch.

Stattdessen wälzt sie de-facto politische Entscheidungen auf Unternehmen ab. Diese müssen versuchen, widersprüchliche Anforderungen eigenverantwortlich zu lösen. Der Schaffung von Wohnraum zu günstigen Preisen steht ein sehr kompliziertes und fragmentiertes Baurecht und die Mietpreisbremse gegenüber. Dabei wäre es eigentlich Aufgabe der Politik, diese Zielkonflikte bereits im Vorfeld im Sinne von Gesellschaft und Wirtschaft zu lösen.

Viele Unternehmen verstehen die Vorgaben kaum noch

Dass Gesetze immer komplexer werden, ihr Umfang zunimmt, ist ebenfalls kontraproduktiv: Viele Unternehmen verstehen die Vorgaben kaum noch, oft geht ohne juristische Expertise nichts mehr. Große Unternehmen können mit Bürokratie einigermaßen umgehen, kleine erstickt sie. Die Sorge, gegen Regelungen verstoßen zu können, bremst Innovation – ein Wert, der die Marktwirtschaft und die Unternehmen stark gemacht hat. Das heißt, viele Unternehmen neigen dazu – aus Angst vor Sanktionen –, gesetzliche Anforderungen besonders strikt und bürokratisch auszulegen.

Diese angstgetriebene Interpretation führt dazu, dass Unternehmen sich selbst zusätzliche Bürokratie aufbürden und dadurch noch mehr Ressourcen für administrative Tätigkeiten binden, die eigentlich in die Innovationskraft fließen sollten. Statt Innovationen auf den Markt zu bringen, sitzen Startup-Gründer mit Juristen in endlosen Runden, um Rechtliches zu klären.

Unsere Gesetze benötigen ein „Legislative Lifecycle Management”, so dass sie auf ihre Wirkung und unerwünschte Folgen überprüft und dann auch wirklich geändert werden. Für einige Regelungen machen auch Ablaufdaten Sinn, damit sich die Politik aktiv fragen muss, ob eine Verlängerung überhaupt Sinn ergibt.

Freiheit und Eigenverantwortung statt Misstrauen

Die Baustellen sind viele und müssen von der kommenden Regierung alle angegangen werden. Wir können uns weitere drei oder vier Jahre Aufschub nicht leisten, wirtschaftlich nicht und schon gar nicht politisch. Das würde nur die extremistischen Ränder stärken. Was es braucht, sind Strukturreformen, vor allem bei der Steuer- und Abgabenlast.

Die Forderung des BDI, die Unternehmenssteuerlast in Richtung 25 Prozent zu senken, kann ich nachvollziehen. Das aber löst noch nicht die Probleme vieler kleiner und mittelständischer Betriebe, die nicht der Körperschaftsteuer unterliegen: Auch die Einkommensteuer muss angegangen werden. Und all das muss getragen sein von einer 180-Grad-Wende, weg vom Misstrauen von Seiten der Politik gegenüber der Wirtschaft.

Besonders Unternehmerinnen und Unternehmer von KMU haben ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihren Mitarbeitenden, ihren Standorten und damit der Gesellschaft als Ganzes. Hierfür sollten sie die Freiheit genießen, Entscheidungen innerhalb eines klaren, aber pragmatischen Regelwerks zu treffen. Strikte Überwachung und detaillierte Vorgaben nehmen den Unternehmen jedoch genau diese Flexibilität und Eigenverantwortung und belasten die wertvolle Innovationskraft, die Deutschland als Wirtschaftsstandort benötigt.

Wir brauchen einen neuen Pragmatismus

Damit kein Missverständnis entsteht: Wir benötigen keine detaillierten Listen mit Paragrafen, die man abschaffen muss. Wir benötigen auch keine Regulierungsstopps. Was wir brauchen, ist ein neuer Pragmatismus, der dem Prinzip „so viel Staat wie nötig, so wenig wie möglich“ folgt. Wir sollten uns an die bewährten Prinzipien erinnern, die den Aufstieg der deutschen Wirtschaft ermöglicht haben. Dies bedeutet, die Bürokratie auf das Nötigste zu beschränken.

Die Politik darf und soll Ziele formulieren und priorisieren, das gilt zum Beispiel auch mit Blick auf den Klimaschutz. Gleichzeitig muss ihr der Wechsel zu einem Enabler für die Wirtschaft gelingen. Der Wirtschaft wiederum muss wieder stärker überlassen sein, wie sie die durch die Politik formulierten Ziele im Wettbewerb erreicht. Nur so werden wir zurück zu Wohlstand und Wachstum finden.