Stromkosten stoppen Produktion - Nach Dunkellfaute hat Stahlwerk-Chef jetzt klare Forderungen an die Regierung
Die explodierenden Strompreise in Deutschland zwingen Großverbraucher wie das Elektrostahlwerk Feralpi in Riesa zu Produktionspausen. Werksleiter Uwe Reinecke fordert dringend eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern.
Der Strompreis in Deutschland hat mit 936 Euro pro Megawattstunde einen historischen Höchststand erreicht. Besonders hart trifft diese Entwicklung Großverbraucher, die ihren Strom am Tagesmarkt einkaufen. Ein Beispiel dafür ist das Elektrostahlwerk der Firma Feralpi im sächsischen Riesa, das wegen der explodierenden Stromkosten bereits mehrfach die Produktion einstellen musste.
Werksleiter Uwe Reinecke erklärt im Interview mit FOCUS online, welche Maßnahmen ergriffen wurden und was er jetzt von der Politik erwartet.
FOCUS online: Herr Reinecke, der Strompreis in Deutschland hatte vergangene Woche ein historisches Hoch erreicht. Wie haben Sie und ihr Unternehmen die sogenannte „Dunkelflaute“ erlebt?
Uwe Reinecke: Wir hatten schon im Laufe des Jahres öfter Probleme mit relativ hohen Strompreisen am Spotmarkt, besonders dann, wenn es zu wenig Strom aus Erneuerbaren gab, der eingespeist wurde. Letzte Woche war es dann besonders extrem. Durch die Windflaute gab es am Mittwoch und Donnerstag Preissprünge, so dass der Preis jenseits von 900 Euro pro Megawattstunde lag. Für unser Werk in Riesa haben wir dann relativ schnell entschieden, die Produktion zu stoppen - insgesamt vier Schichten an beiden Tagen!
Das heißt, Sie haben Mitarbeiter nach Hause geschickt?
Reinecke: Nein, das handhaben wir relativ flexibel. Jeder konnte entscheiden, ob er Überstunden abbauen oder Urlaub nehmen möchte. Zudem erledigen wir bei Stillstand etwa Aufräum- oder Instandsetzungsarbeiten. Solche Zeitfenster, wenn sie nicht extrem lange dauern, können wir überbrücken.
Für „Dunkelflauten“ haben Sie also bereits spezielle Strategien in der Schublade?
Reinecke: Im Stahlwerk fallen immer Arbeiten an, mit denen man ein oder zwei Schichten am Tag auslasten kann. Säuberungs- und Reinigungsarbeiten oder Unterstützung für unsere Instandhalter beispielsweise. Allerdings wird dann nicht produziert, und uns fehlt die Produktionsleistung, Absatz und Gewinn leiden.
Explodierende Strompreise: „Wir verkraften keine großen Preisaufschläge. Der Wettbewerb ist knallhart“
Das Bundeswirtschaftsministerium hat kürzlich auf „X“ geschrieben: „Es handelt sich hier um sehr wenige teure Stunden. Sie wirken sich daher nicht nennenswert auf den Jahresdurchschnittspreis von Strom aus. Private Stromverbraucher & auch die meisten Industrieunternehmen haben lang- & mittelfristige Verträge, die einen Preis garantieren.“ Klingt eigentlich gar nicht so schlimm und eher nach einem „alles halb so wild“, oder?
Reinecke: Das ist nicht ganz zu Ende gedacht. Für Privatverbraucher stimmt das, die haben ihre Stromverträge auf ein oder zwei Jahre fixiert und merken die Preisschwankungen weniger. Auch einige Stahlwerke in der Automobil- oder Maschinenbaubranche können langfristige Preisabsicherungen vornehmen.
Wir als Betonstahlwerk, das Stahl ausschließlich für die Bauindustrie produziert und weiterverarbeitet, haben jedoch ein sehr kurzfristiges Geschäft. Unsere Aufträge kommen oft nur auf einen Vorlauf von ein bis zwei Monaten. Zudem hat die Baubranche konjunkturell in den letzten Jahren gelitten, sodass weniger Aufträge eingehen und wir nur für die nächsten sechs bis acht Wochen im Voraus planen können.
Was heißt das mit Blick auf ihre Konkurrenzfähigkeit?
Reinecke: Viele denken, wir sollten unsere Strompreise wochenweise absichern, je nach Auftragslage. Doch unser Stahl ist ein Low-Budget-Produkt, kein Edelstahl. Es geht bei uns um große Mengen und hohe Effizienz. Das Stahlwerk läuft rund um die Uhr im Vierschichtbetrieb. Jeder Preisaufschlag, den wir machen müssten, um uns etwa am Strommarkt abzusichern, würde unser Produkt aus dem Markt drängen.
Wir verkraften keine großen Preisaufschläge. Der Wettbewerb ist knallhart. Auch wenn Wirtschaftsexperten in Berlin behaupten, dass alle ihre Energiepreise absichern, ist unser Geschäftsmodell so aufgebaut, dass wir überwiegend am Spotmarkt agieren müssen – Tag für Tag.
„Solch extreme Preisspitzen im Stromangebot dürfen sich nicht wiederholen“
Wie sehen Sie die Zukunft für Ihr Unternehmen unter den aktuellen Energiebedingungen?
Reinecke: Wir brauchen dringend eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung. Als Großverbraucher benötigen wir auch bei Erzeugungsschwankungen der Erneuerbaren ein stabiles Angebot, damit wir selbst zu auskömmlichen Kosten produzieren.
Wir gehören einem italienischen Familienunternehmen. Präsident Pasini investiert bereits 220 Millionen Euro in Riesa, um alle möglichen Effizienzen im Stahlwerk zu heben und dieses umweltschonender zu betreiben. Wir überlegen uns, Alternativen wie grünen Wasserstoff statt Erdgas einzusetzen. Doch ohne Förderung werden es die Erneuerbaren schwer haben.
Solch extreme Preisspitzen im Stromangebot dürfen sich nicht wiederholen. Wenn wir ganz aus der Kohle aussteigen, die letzten Atomkraftwerke haben wir ja bereits abgestellt, benötigen wir zumindest ausreichend Gaskraftwerke, um für Dunkelflauten gerüstet zu sein.
Habeck sagte vor Kurzem, Deutschland werde in der Zukunft immer wieder zwei, drei Wochen haben, in denen die Strompreise sehr hoch sind. „Das wird so sein bei Witterungsbedingungen wie jetzt“, so der Minister. Allerdings werde es auch 50 Wochen geben, in denen die Strompreise sehr niedrig seien. Rechnen Sie derzeit oder den nächsten Wintern mit weiteren Produktionsstopps und wie beugen Sie im Unternehmen vor, dass Produktionsstopps nicht nötig sind?
Reinecke: Energie ist seit Jahren schon nicht mehr so einfach und vorhersehbar einzusetzen wie früher. Das merken wir auch, weil wir täglich und wöchentlich planen müssen. Diese Unsicherheit ist leider die Realität. Bei uns schlägt das direkt auf den Preis. Wir hatten dieses Jahr öfter solche Effekte, auch in dem Ausmaß, dass wir die Produktion stoppen mussten. Meistens betraf es die Abendstunden, wenn zu wenig Windstrom verfügbar war. Zu solchen hochpreisigen Zeitfenstern haben wir die Produktion schon häufig gestoppt, oft zwischen 17 und 22 Uhr.
Wie bereiten Sie sich auf hochpreisige Zeitfenster vor?
Reinecke: Wir überprüfen täglich die Prognosen für den nächsten Tag und entscheiden uns dann, ob wir das Stahlwerk durchgängig laufen lassen oder zeitweise abschalten müssen. Intern haben wir eine Preisobergrenze festgelegt – bei deren Überschreitung stoppen wir die Produktion. Falls die überhöhten Strompreise länger als eine oder zwei Stunden andauern, schalten wir ab.
Unser Stahlwerk läuft sieben Tage die Woche. Jeweils einmal in der Woche stoppen wir halbtags unsere Produktion im Stahlwerk maximal für einen halben Tag – nur für einen Abstich oder Herdwechsel. Ansonsten gehen wir nur einmal im Jahr geplant raus, oft zwischen den Jahren, für zwei bis drei Wochen: Dann ist Zeit für eine Generalreparatur.

„Dieses Jahr hatten wir bis zu zehnmal die Situation, dass wir aus der Produktion gehen mussten“
Ab wann würde denn eine Dunkelflaute und damit verbundene hohe Strompreise das Unternehmen gefährden?
Reinecke: Unser Controlling hat eine Preisgrenze berechnet. Wenn der Preis diesen Wert überschreitet, hängt es davon ab, wie lange er darüber bleibt. Für ein oder zwei Stunden lohnt es sich nicht, abzuschalten. Aber wenn es über mehrere Stunden anhält, beginnen wir zu überlegen und schalten wahrscheinlich ab.
Heißt also: Je länger Dunkelflauten andauern und umso öfter sie vorkommen, desto gefährlicher für das Unternehmen?
Reinecke: Exakt. Dieses Jahr hatten wir bestimmt bis zu zehnmal die Situation, dass wir am Abend aus der Produktion im Stahlwerk gehen mussten – aufgrund der hohen Preise. Letzte Woche war es besonders konzentriert.
Die Aussagen von Habeck und seinem Ministerium klingen so, als müssten Industrieunternehmen diese hohen Preise für Strom und die damit einhergehenden Produktionsstopps einfach einkalkulieren. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Reinecke: Das können wir nicht einkalkulieren, speziell im Bereich unserer Low-Budget-Produkte im Betonstahlbereich. Das geht zu Lasten der Produktivität und kostet den Standort Effizienz. Das können weder wir noch unsere Marktbegleiter in Deutschland mit einplanen.
„Kohleausstieg ist richtig, aber er sollte nicht übereilt vorgenommen werden“
Was muss die künftige Bundesregierung umsetzen, damit Produktionsstopps wie vergangene Woche verhindert werden?
Reinecke: Wenn die Stromproduktion aus Erneuerbaren wetterbedingt schwankt, muss ausreichend bezahlbare Ausgleichsenergie zur Verfügung stehen. Es reicht nicht, lediglich genug Strom in den Markt einzuspeisen – dieser muss auch bezahlbar sein! Wir brauchen die Kohleverstromung so lange bis genügend Kapazitäten aus Gaskraftwerken der neueren Generation, die schnell hoch- und runter zu regeln sind, in Deutschland verfügbar sind.
Hinzu kommt das Merit-Order-Prinzip. Der teuerste Produzent bestimmt heute den Strompreis für alle eingesetzten Kraftwerke. Doch im Rahmen der grünen Transformation benötigen wir viele Ausgleichskapazitäten. Das System müsste sowohl alternative als auch fossile Energien bezahlbar für alle Marktteilnehmer zur Verfügung stellen – ganz gleich ob Großverbraucher oder Privathaushalt.
Habeck hatte zuletzt mehrfach öffentlich Zweifel daran geäußert, ob Deutschland am Kohleausstieg 2030 festhalten könne. Wie stehen Sie zur Energiewende? Glauben Sie, „Dunkelflauten“ könnten in Deutschland vermieden werden?
Reinecke: Zunächst einmal finde ich es gut, dass Deutschland Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht hat, auch wenn das regional unterschiedlich ist. Wir befinden uns in Sachsen, wo der Windkraft-Ausbau noch etwas hinterherhinkt. Im Vergleich zu den Flächenländern Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, aber auch Sachsen-Anhalt gibt es hier einfach deutlich weniger Kapazitäten.
Wir müssen die erneuerbaren Energien weiter ausbauen. Das heißt, noch schneller werden und gleichzeitig die Netzmodernisierung und den Netzausbau angehen. In unserer Region dauert es zehn bis 15 Jahre, um die Netze und Umspannwerke so auszurichten, dass sie den künftigen Strombedarf decken können. Neben dem Ausbau der Netze brauchen wir auch zuverlässige Ausgleichsenergie. Langfristig ist der Kohleausstieg richtig, aber er sollte nicht übereilt vorgenommen werden. Wenn der Kohleausstieg bis 2038 vorgesehen ist, sollten wir diesen Zeitraum nutzen und nicht abrupt vorher aussteigen., sodass die Preise durch die Decke gehen!
Scholz-Aussage zum Energiepreisproblem: „Ich war entsetzt, ja fassungslos“
Haben Sie das Gefühl, man versteht im Wirtschaftsministerium, was so hohe Strompreise für Unternehmen wie Ihres bedeuten?
Reinecke: Da habe ich unterschiedliche Beobachtungen gemacht. Ich war im Mai beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow, wo Olaf Scholz auftrat und sagte, wir hätten kein Energiepreisproblem in Deutschland. Ehrlich gesagt war ich entsetzt, ja fassungslos. Der Kanzler hat die Probleme der Unternehmen lange ignoriert.
Aus Gesprächen mit Vertretern des Wirtschaftsministeriums und über unsere Wirtschaftsvereinigung Stahl habe ich jedoch den festen Eindruck, dass zumindest im politischen Berlin das Problem der hohen Strompreise in Deutschland mittlerweile besser verstanden wird, insbesondere nach Diskussionen über die Netzentgelte. Wir, der Vorstand der WV Stahl forcieren diese Themen intensiv in Richtung der Bundespolitik.
Zuletzt hatte die Ampel über eine kleine Reduktion bei den Netzentgelten diskutiert.
Reinecke: Letztes Jahr wurden bundesweit 5,5 Milliarden Euro an Netzentgeltzuschüssen für die energieintensive Wirtschaft einfach gestrichen. Das bedeutete für uns auf einen Schlag elf Millionen Euro höhere Kosten 2024. Nun kommen zum Jahreswechsel 2025 erneut Anpassungen, was uns zusätzliche sechs Millionen Euro jährlich kosten wird. Die Diskussion der Ampel über eine kleine Senkung der Netzentgelte - ich meine etwas über eine Milliarde Euro - das ist doch Augenwischerei, wenn man viel mehr nimmt, als man am Ende zurückbekommt.
Ein schlechter Deal für die energieintensive Industrie! Besonders kritisch sehe ich, dass große Stahlkonzerne hohe Subventionen erhalten, während wir als mittelständische Elektrostahlwerk unsere Dekarbonisierungsinvestitionen zu 97 Prozent überwiegend aus dem eigenen Cashflow finanzieren müssen.
Was fordern Sie konkret?
Reinecke: Ich sage es mal so: Mein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass unsere Produktion vom Wetter abhängig ist. Es ist einfach absurd, dass wir unser Stahlwerk nach der Wettervorhersage betreiben müssen. Ich wünsche mir ausreichend bezahlbare Ausgleichskapazitäten während der Transformation sowie mehr Kraft, Engagement und finanzielle Mittel für Netzausbau und Netzmodernisierung.
Darüber hinaus brauchen wir dringend Speichertechnologien, um den von der Natur geernteten Strom effizient und bezahlbar speichern zu können. Eine ehrliche Bestandsaufnahme ist jetzt notwendig, um der Abwanderung von Produktionsbetrieben mitsamt Werksschließungen entgegenzuwirken.