Wenn Pferde Kinderseelen heilen

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Trauerarbeit auf Pferderücken: Trauerexpertin und Hofbesitzerin Janette Piller, mit einem Mädchen, das Geborgenheit bei Schimmel Kairo sucht. © vm

Auf dem Araberhof Heidegger in Karlsfeld gibt es ein besonderes Angebot für Kinder, die Mama, Papa oder ein Geschwisterchen verloren haben. Janette Piller hat dort eine kostenlose Trauerreitgruppe gegründet.

Gemächlich trottet Katar auf das Laufband, das in seinem Stall am Araberhof Heidegger in Karlsfeld für ihn bereitsteht. „Er muss sich warmlaufen“, erklärt Hofbesitzerin Janette Piller und schaltet das Fitnessgerät an. Der Wallach wirkt routiniert. Schritt für Schritt geht der Schimmel auf der Stelle. In einer Stunde beginnt die Trauerreitgruppe, die Janette Piller vor Kurzem für Kinder gegründet hat, die einen Elternteil oder ein Geschwisterchen verloren haben. Katar spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Er und drei weitere Pferde sind es, die den trauernden Kindern wieder Lebensmut und Freude geben sollen, erklärt die 47-jährige Karlsfelderin, die viele Jahre bei Lacrima als Trauerbegleiterin arbeitete. Dabei entdeckte sie, welch heilsame Kraft von Tieren ausgeht und fand heraus, warum sich gerade Pferde so perfekt im Umgang mit Trauernden einsetzen lassen. „Tiere können Kindern Vertrauen und Liebe schenken und sie so annehmen, wie sie sind“, betont Janette Piller. Was Pferde auszeichnet: Sie haben eine klare Körpersprache. Dadurch falle es den Kindern leichter, zu merken, woran sie sind. „Pferde sind nicht nachtragend und zeigen ihrem Gegenüber klare Grenzen. Kinder brauchen solch ein Verhalten, um Selbstbewusstsein aufzubauen und sich sicher zu fühlen.“ Pferde spüren laut Janette Piller jede kleinste Unsicherheit und reagieren dementsprechend darauf. Die Trauerexpertin ist davon überzeugt: Die Tiere merken, wenn man traurig ist. „Eigentlich mache ich gar nicht die Arbeit, sondern die Pferde.“ Auf ihren Rücken können sich die Mädchen setzen und einfach loslassen. Denn sie wissen, sie werden getragen.

Auch Kinder sollen an den Tod und die Trauer herangeführt werden

Seit Jahren beschäftigt sich Janette Piller mit Pferden, Kindern, Trauer und Tod. Sie ließ sich zur Trauer- und Hospizbegleiterin ausbilden, gerade befindet sie sich in den letzten Zügen ihres Masterstudiums Perimortale Wissenschaften. Das Thema lässt sie nicht mehr los. „Der Tod wird bei uns in der Gesellschaft weggeschoben. Man will ihn nicht da haben.“ Für sie ist es aber wichtig, sich mit dem Sterben, dem Abschiednehmen und dem Zurückbleiben zu befassen und vor allem auch Kinder an Tod und Trauer heranzuführen. Denn viele Erwachsene würden ihre Töchter und Söhne davor abschirmen, sie nicht mit zum Sterbenden oder der Beerdigung nehmen. Laut Piller tun Eltern ihren Kindern damit jedoch keinen Gefallen. Im Gegenteil. Gar nicht zu wissen, was der Tod ist, sei für Kinder oft das Schlimmste, betont Janette Piller. „Viele haben dadurch Horrorvorstellungen, die malen sich dann die Hölle aus und können nicht mehr schlafen.“ Die Trauerbegleiterin möchte Kindern daher zeigen: „Sterben ist etwas Normales, der Tod gehört zum Alltag dazu.“

Viele Kinder auf dem Reiterhof an der Bajuwarenstraße teilen das gleiche Schicksal: Ein oder mehrere enge Familienmitglieder sind gestorben. Damit sich die Hinterbliebenen gegenseitig austauschen und Kraft geben können, entschloss sich Janette Piller, die Mädchen zusammenzubringen. „Rucksackreiter“ hat Janette Piller die Trauerreitgruppe genannt. Jeder trägt sein Päckchen mit sich, erklärt sie. Mit der Gruppe will Janette Piller den Kindern Sicherheit und Geborgenheit geben. Einmal im Monat trifft sich die Gruppe und marschiert los. Eine Stunde lang streifen sie durch das Schwarzhölzl. „Da kommen viel mehr Gespräche zustande, wenn man draußen in der Natur ist.“ Ein Kind führt, das andere lässt sich auf dem Pferd führen. Neben dem Ausritt haben die Kinder aber auch Zeit, die Pferde zu putzen und mit ihnen zu kuscheln. Das genießen sie besonders, weiß Janette Piller.

Wallach Katar ist mittlerweile aufgewärmt und startklar. Draußen auf dem Hof wird sein Bruder Kairo, ebenfalls ein Schimmel, gerade gestriegelt. Ein Mädchen streichelt sanft mit einer Bürste über seinen Rücken, dann schmiegt es sich an seinen Hals und lächelt. Für Janette Piller sind das die Momente, die ihr zeigen, dass Tiere den Kindern oft mehr geben, als Worte es könnten.

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