75 Jahre Nato und viele Krisen: Warum zwischen Trump und Putin wieder heikle Stunden drohen
Der Nato-Gipfel in Washington feiert 75 Jahre Bestehen der Allianz. Die Nato hat heute 32 Mitglieder – und musste sich immer wieder neu aufstellen. Auch jetzt ist das Bündnis im Krisenmodus.
Der bevorstehende Nato-Gipfel in Washington hat nicht nur heikle Fragen zu klären – zu Rüstungsausgaben oder dem Nato-Beitritt der angegriffenen Ukraine. Er feiert auch das 75-jährige Bestehen der Allianz, die seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg diverse Krisen durchstehen musste: militärische Krisen, politische Krisen und zuletzt vor Ausbruch des Ukraine-Krieges eine Art Existenzkrise. Immer wieder musste sich die Nato neu aufstellen oder ihre Doktrin verändern. Das könnte nach dem Ukraine-Krieg erneut notwendig werden.
Denn auch aktuell befindet sich die Nato im Krisenmodus: Im Osten Europas tobt der von Russlands Präsident Wladimir Putin losgetretene Krieg in der Ukraine. Zugleich droht Ungemach im Inneren. Sollte Ex-Präsident Donald Trump bei der US-Wahl im November erneut ins Weiße Haus einziehen, ist die Haltung der USA zu dem Bündnis ungewiss. Frankreich wird aufgrund innenpolitischer Verwerfungen vorerst mit sich selbst beschäftigt sein, auch wenn ein Sieg des rechtsextremen Rassemblement National bei der Parlamentswahl am Sonntag abgewehrt werden konnte.
75 Jahre Nato: Eine Geschichte der Krisen
Ein Blick in die Geschichte der Nato: Nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und ein Jahr nach Gründung des Bündnisses 1949 marschierte das kommunistische Nordkorea 1950 in Südkorea ein und startete damit den Koreakrieg. Die Allianz hatte damals nur zwölf Mitglieder und keinerlei militärische Struktur, um zu reagieren. Die Nato-Institutionen, die wir heute kennen, baute das Bündnis als Reaktion auf den Koreakrieg auf. 1962 vermieden die USA und die Sowjetunion (UdSSR) in der Kubakrise nur knapp einen Atomkrieg. Die Nato änderte danach auf Betreiben der USA ihre damalige Abschreckungs-Doktrin, nach der auf einen feindlichen Atomschlag zwingend ein nuklearer Gegenschlag folgen musste. Seither darf die Nato auf Atomschläge auch mit extrem harten konventionellen Schlägen reagieren – eine Drohung, die heute auch gegen Putins Russland im Raum steht.
1979 stationierte die Sowjetunion SS20-Raketen mit Atomsprengköpfen in Osteuropa. Viele davon waren auf die Bundesrepublik gerichtet. Die Nato reagierte 1983 mit der Stationierung atomarer US-Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II in Westeuropa, begleitet von stürmischen Protesten unter anderem in Westdeutschland. Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR waren damals gescheitert. Erst mit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow als Staats- und Parteichef der UdSSR 1985 kam Fahrt in die Gespräche. 1987 unterzeichneten USA und UdSSR den ersten Vertrag zur Abrüstung von nuklearen Mittelstreckenraketen, der heute als erstes Anzeichen für das Ende des Kalten Krieges gilt.

Die Abrüstung brachte die Sinnkrise – bis zum Ukraine-Krieg
Nach dem Ende des Kalten Krieges reformierte vor allem Europa sein Militär – weg von der Landesverteidigung, hin zu schnellen Eingreiftruppen für Konflikte in aller Welt, wie in Bosnien-Herzegowina 1995 oder in Afghanistan nach 2001. Die Operation Enduring Freedom in Afghanistan infolge der Terrorattacken vom 11. September 2001 auf die USA war das einzige Mal, dass die Nato die Beistandsgarantie nach Artikel 5 ihres Vertrages, auch Bündnisfall genannt, in Kraft setzte. Alle Mitglieder mussten den USA helfen.
Die Militärbudgets fielen so stark, dass der Nato-Gipfel von 2014 beschloss, dass jedes Mitglied mindestens zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben werde. Damals schafften das grade mal drei Nato-Mitglieder. Trump erklärte schon in seinem Wahlkampf 2016 die Nato mehrfach für „obsolet“ und drohte als Präsident säumigen Zahlern, darunter Deutschland. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Nato 2019 als „hirntot“. Die Nato stand vor einer Sinnkrise, eine Lösung war nicht in Sicht.
Doch dann kam Putin und marschierte in der Ukraine ein. Die Nato war plötzlich wieder zentral für die Sicherheit Europas; die Staaten entlang ihrer Ostflanke sehen sie als Existenzgarantie. Finnland und Schweden gaben ihre Neutralität auf und traten 2023 und 2024 der Nato bei. 18 Mitglieder werden in diesem Jahr das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen, auch Deutschland. Finnland und Schweden traten bei. Nun bleibt die Frage: Wie stellt sich die Nato für eine Zukunft nach dem Krieg auf, und ab wann darf die Ukraine dazu gehören?