Karl-Theodor zu Guttenberg - Auf ein Tschüss kann ich verzichten - „Auf Wiedersehen“ sagt so viel mehr

Bahnhöfe bieten alle Spielarten des Abschieds

Ich sehe ihnen noch nach. Die Augen des Kindes suchen vergeblich den Vater. In ihnen schimmert Angst. Eine Urangst vor Verlust. Die beiden werden von der Menge verschluckt. Bahnhöfe bieten nahezu alle Spielarten des Abschieds. Den flüchtigen und innigen, den verdrängten und unterdrückten. Auch den dankbaren und erleichterten (die nörgelnde Schwiegermutter sitzt endlich im Abteil). Wie dieses kleine Mädchen wohl in zwanzig oder vierzig Jahren mit Abschieden umgehen wird, frage ich mich. Ihre Reaktion erinnert mich an ein lange zurückliegendes Gespräch mit einer Freundin.

„Jeder Abschied kann endgültig sein“, sagte sie damals. „Umso erschütternder, wie leichtfertig wir damit umgehen. Was, wenn ich jemanden das letzte Mal sehe?“
„Vielleicht ist diese Leichtfertigkeit die einzige Form, es zu ertragen“, war meine kaum durchdachte Antwort.

Seitdem traf ich nicht wenige, die behaupteten, Abschiede seien eine verzichtbare Sentimentalität. Spätestens beim Tod eines geliebten Menschen kann diese Haltung aber Makulatur sein. Andere fanden es wiederum schwer erträglich, von Träumen und Hoffnungen Abschied zu nehmen. Dabei ist der Verlust einer Illusion für sich gesehen nicht einmal ein Verlust.



Und manche schützen sich, indem sie ihr Leben als eine Abfolge von Neuanfängen betrachten. Sie sehen den Abschied als vergangenheitsbesoffene Verkennung der Gegenwart. So mögen sie emotional besser stehen als jene, die - ebenso konsequent - den Schwerpunkt auf ständiges Abschiednehmen legen.

Charmant, aber nicht ohne Schwächen, ist eine Mischform: Statt „von“ etwas könnte man sich ebensogut „in“ etwas verabschieden. Oder klingt der Abschied „in“ den Ruhestand nicht etwa tröstlicher als der Abschied „von“ der Unternehmensführung?

Dieser Trick funktioniert im zwischenmenschlichen Miteinander nur bedingt. Dabei gibt es auch hier einfache Mittel. Beispielsweise die zwei Worte „Auf Wiedersehen“. Altbacken, gewiss. Aber wenn über die Floskel hinaus der ehrliche Wunsch spürbar ist, kann man auf ein hingerotztes „Tschüss“ gerne verzichten.

Jemand sagte einmal, der Abschied sei ein Wahrheitsbarometer. Nun, immerhin Kinderaugen lügen nicht. Abends höre ich ein kleines Abschiedswunderwerk: „Goodbye, Little Rock and Roller“ von Marshall Chapman.
Als hätten mich zwei Arme umschlungen, bevor ich auf den nächsten unnötigen Zug aufspringe.