„War völlig erschöpft und ausgelaugt“ - Nach 24 Jahren gibt Bürgermeister „den schönsten Job der Welt“ freiwillig auf
Auch wenn er den Job des Bürgermeisters nach wie vor für einen der schönsten Jobs der Welt hält, hat sich Christoph Jäger mit 55 Jahren entschieden, nicht mehr für das Amt zu kandidieren.
Herr Jäger, Sie sind auf finaler Abschiedstour. Haben Sie Ihre Entscheidung, nicht mehr als Bürgermeister von Großerlach zur Verfügung zu stehen, zwischenzeitlich bereut?
Ja, natürlich, manchmal schon. Ich nehme schließlich Abschied von einem Job, den ich mit Herzblut gemacht habe. Es gibt Projekte, die ich begonnen habe und gerne zu Ende gemacht hätte, und auch menschlich ist hier einiges zusammengewachsen. Das aufzugeben, tut weh. Dennoch bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass es die richtige Entscheidung war – nicht nur für mich, sondern auch für die Gemeinde.
Warum denn das?
Vor ein paar Jahren kam plötzlich und unerwartet ein Punkt, an dem es mir von heute auf morgen den Boden unter den Füßen weggezogen hat, und ich ohne Vorwarnung völlig erschöpft und ausgelaugt war. Ich habe es geschafft, da irgendwie durchzukommen – auch dank der Unterstützung im privaten Umfeld, vor allem meiner Frau, im beruflichen Umfeld und mit professioneller Hilfe. Aber das hinterlässt Spuren.
Haben Sie eine Vorstellung, was das bei Ihnen ausgelöst hat – die Belastung Ihres Jobs, die Rolle als öffentliche Person, das Gefühl, es allen recht machen zu müssen?
Ich denke, es war eine Summe von vielen Faktoren. Das Gefährliche ist: Man merkt nicht, wie das Fass vollläuft, sondern erst, wenn es überläuft. Und das war keine schöne Erfahrung.
Ein Burn-out ist nichts Anrüchiges – warum haben Sie keine Auszeit genommen?
Es gab ein paar Baustellen, an denen ich unbedingt weiter arbeiten wollte, außerdem können leider nicht alle damit umgehen, wenn jemand in diesem Job Schwäche zeigt. Es ist ja gut gegangen. Aber weitere acht Jahre sind lang – und wenn ein zweites Mal die Kraft ausginge, wäre das für mich nicht gut, für meine Familie nicht und auch nicht für die Gemeinde, wenn der Bürgermeister länger ausfallen würde. Deshalb habe ich jetzt konsequent einen Schlussstrich gezogen.
Christoph Jäger war und ist gerne Bürgermeister
Das heißt, den Bürgermeisterjob an sich haben Sie nicht satt?
Nein, auf keinen Fall. Ich habe zwar aus der eigenen Erfahrung als Bürgermeistersohn heraus eigentlich gesagt, dass ich diesen Job nie machen werde. Aber spätestens in meiner Zeit im Landratsamt habe ich gemerkt, dass die Gestaltungsmöglichkeiten in vielen Beamtenjobs doch sehr begrenzt sind. Mir wurde klar, dass ich Verantwortung und die Möglichkeit haben möchte, Entscheidungen zu treffen. Da kam dann die Gelegenheit in Großerlach. Und es hat sich gezeigt: Es war die richtige Entscheidung. Bürgermeister ist meiner Meinung nach einer der schönsten Jobs der Welt – auch wenn er durch ständig wachsende Bürokratie und Anforderungen zunehmend schwieriger wird.
Sie waren es dann jetzt 24 Jahre lang. Was waren für Sie die Höhepunkte Ihrer Amtszeit?
Die Gemeinde hatte zu meinem Start ja bekanntermaßen nicht unbedingt den besten Ruf. Da waren einige Gräben vorhanden. Ich glaube, mit meine größte „Leistung“ war, diese zu überbrücken. Dass man wieder respektvoll miteinander umgeht und sich am Gemeinwohl orientiert, dass Zusammenarbeit wieder möglich ist – über die Teilorte, die Gemeinderatsfraktionen hinweg – dazu habe ich beigetragen. Offenkundig war aber auch die Bereitschaft dazu da. Es nutzt schließlich nichts, Brücken zu bauen, wenn da niemand drüber geht.
Wie haben Sie das Vertrauen der Alteingesessenen damals eigentlich gewinnen können? Sie waren ja ein junger Spund, als Sie angefangen haben, und dazu noch aus Baden...
...und auch noch katholisch und damals in wilder Ehe lebend. Ja, es wundert mich bis heute (lacht). Das rechne ich aber auch allen Beteiligten hoch an, dass sie mich akzeptiert und angenommen haben. Vielleicht hat auch meine aufgeschlossene Art, auf Menschen zuzugehen, dazu beigetragen. Und ich bin ehrlich und in keiner Weise nachtragend.
Sie hätten sicherlich die Möglichkeit zu einem Karrieresprung gehabt. Warum sind Sie der kleinen Kommune im Schwäbischen Wald treu geblieben?
Ja, es hat schon das ein oder andere Angebot gegeben. Aber mein Motto ist: Your home is where your heart is. Karriere ist nicht alles. Wichtig ist, dass man sich dort, wo man lebt und wirkt, wohlfühlt.
Bleiben Sie der Gemeinde als Bürger erhalten?
Stand jetzt schon. Wir haben bisher noch gar nicht die Zeit gefunden, nachzudenken, wie es generell weitergeht. Schauen wir mal, was die Zukunft so bringt.
Haben Sie da Ideen? Wird man mehr vom Liedermacher Chris hören?
Der wird mit Sicherheit eine Rolle spielen. Mit Musik kann man viel transportieren. Musik gibt mir viel – und den Menschen, die mir zuhören, hoffentlich auch ein bisschen. Ich bin ein emotionaler und empathischer Mensch und würde das gerne freiberuflich nutzen, zum Beispiel als freier Redner bei Hochzeiten oder Beerdigungen oder als Moderator. Auch die Betreuung von Projekten könnte ich mir vorstellen. Der Umgang mit Menschen ist mir ganz wichtig.
Sie bewerben sich auch wieder für ein Mandat im Kreistag?
Ja, das ist ein Angebot an die Wählerschaft, weil mir das Wohl der Region am Herzen liegt. Dann eben nicht mehr als Bürgermeister...
...aber als CDU-Mitglied. Warum ist das eigentlich Ihre Partei?
Zum einen aus einer christlichen Überzeugung heraus, zum anderen würde ich mich als konservativ im positiven Sinn bezeichnen. Das bezieht sich für mich auf gewisse Werte und auch eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Ich bin nicht so der Parteisoldat und finde beileibe nicht alles gut, was in der Bundespartei abläuft, aber ich glaube, dass die Union die breite Mittelschicht am besten vertritt. Am Stammtisch zu sitzen und hintenrum alles schlechtreden, ist einfach. Besser ist, sich einzubringen, und das am besten in einer demokratischen Partei. Welche es dann ist, ist Geschmacksache.
Kommen wir noch kurz auf Ihren Nachfolger zu sprechen. Dessen Genese war schon ein bisschen kurios.
Am Anfang hatte ich zugegebenermaßen ziemlich schlaflose Nächte. Ich dachte: Was ist denn da falsch gelaufen, dass sich niemand bewirbt. Großerlach ist doch eine so tolle Gemeinde. Ich war schon so weit, meinen Hut doch noch kurz vor Schluss in den Ring zu werfen. Ich hätte es wahrscheinlich doch nicht geschafft, meine Gemeinde im Stich zu lassen. Dann kam der erste Bewerber – vom Fach, ein sympathischer junger Mann. Da dachte ich: So jetzt ist alles gut. Und dann kamen weitere Bewerbungen hinzu, und am Ende standen zwei junge, sympathische Bewerber vom Fach in der Stichwahl – für so eine kleine Gemeinde eigentlich ein Luxusproblem.
Der letztlich Gewählte hat bei seiner Vorstellungsrede offenkundig abgekupfert – wird ihm das nicht ewig nachhängen?
Wenn er sich in der ersten Zeit als Bürgermeister bewährt – und ich bin fest davon überzeugt, das wird er –, dann wird das kein Thema mehr sein.
Werden Sie sich nach 24 Jahren von einem Tag auf den anderen aus den Rathausdingen raushalten können?
Ich habe meinem Nachfolger meine 100-prozentige Unterstützung zugesagt. Wenn er etwas wissen will, bin ich da. Aber ich werde mit Sicherheit nicht quer- oder hintenrum reinreden. Ich bin dann nicht mehr der Bürgermeister. Punkt.
Das ist Christoph Jäger
Beruf
Der 55-Jährige ist in Sasbach am Kaiserstuhl aufgewachsen. Nach dem Studium zum Diplomverwaltungswirt an der Fachhochschule Kehl startete Jäger seine berufliche Karriere in der Ausländerbehörde des Waiblinger Landratsamts, wo er zuletzt Sachgebietsleiter für Flüchtlingsunterbringung und Asyl war.
Bürgermeister
Erstmals ist Christoph Jäger im März 2000 zum Bürgermeister von Großerlach gewählt worden. Der Urnengang war nötig geworden, weil der umstrittene amtierende Schultes vorzeitig in den Ruhestand gegangen war – aus gesundheitlichen Gründen, wie es damals offiziell hieß. Jäger setzte sich mit 74,8 Prozent der Stimmen gegen zwei Konkurrenten durch. Die folgenden zwei Wiederwahlen waren reine Formsache gewesen, Jäger hatte bei beiden keinen Widersacher zu fürchten gehabt. Am 16. April hat er nun seinen letzten Arbeitstag.
Von Frank Rodenhausen