Zerbrochener russischer Satellit bedroht ISS und Raumfahrt – Fachleute warnen vor „Kessler-Effekt“

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Die Internationale Raumstation (ISS) am 9. Dezember 2021. (Archivbild) © Nasa

Ein russischer Satellit zerbricht im Erdorbit und zwingt die ISS-Crew zu Vorsichtsmaßnahmen. Der neue Weltraumschrott ist eine Gefahr für die Raumfahrt.

Washington D.C. – Mehr als 900.000 Teile Weltraumschrott mit einer Größe ab einem Zentimeter umkreisen nach Angaben der europäischen Raumfahrtorganisation Esa die Erde. Durch einen neuen Zwischenfall im Erdorbit steigt die Zahl weiter an – und lässt die Bedrohung für die Raumfahrt weiter wachsen. Ein russischer Satellit, der bereits seit 2022 nicht mehr funktionsfähig ist, ist im Erdorbit in nahezu 200 Fragmente zerbrochen. Die unmittelbaren Folgen dieses Ereignisses haben die Astronauten auf der Internationalen Raumstation (ISS) zu spüren bekommen: Sie waren gezwungen, sich in ihre Raumschiffe zurückzuziehen, die im Falle eines Notfalls als Rettungskapseln zur Erde dienen könnten.

Zwischen dem Nachmittag des 26. Juni und der Nacht des 27. Juni hat der defekte russische Satellit „Resurs P1“ eine Vielzahl von Fragmenten freigesetzt, so das Satellitenüberwachungsunternehmen LeoLabs auf X (früher Twitter). Zu diesem Zeitpunkt befand sich der etwa 6000 Kilogramm schwere Satellit auf einer nahezu kreisförmigen Umlaufbahn in einer Höhe von etwa 355 Kilometern.

Neuer Weltraumschrott zwingt ISS-Astronauten zum Schutz in ihre Raumschiffe

Das US-Weltraumkommando, das für die Überwachung des Weltraummülls im Erdorbit zuständig ist, gab bekannt, dass von dem Vorfall keine unmittelbare Gefahr für andere Satelliten ausgegangen sei. Dennoch wurden die Besatzungsmitglieder auf der ISS von der Nasa-Missionskontrolle angewiesen, sich in ihre Raumkapseln zurückzuziehen. Dies war eine „Standard-Vorsichtsmaßnahme“, nachdem man von der Zerstörung des Satelliten in einer Höhe nahe der Raumstation erfahren hatte, so die NASA auf X. Nach etwa einer Stunde durften die Astronauten wieder in die Raumstation zurückkehren.

Die genauen Umstände, die zur Zerstörung des russischen Satelliten geführt haben, sind noch unklar. Wie der Guardian berichtet, hat die russische Raumfahrtorganisation Roskosmos bisher weder auf Anfragen reagiert noch das Zerbrechen des Satelliten öffentlich bestätigt. Der Satellitenbeobachter Jonathan McDowell und andere Experten vermuten, dass ein Problem an Bord des Satelliten – möglicherweise eine Explosion durch übrig gebliebenen Treibstoff – die Ursache für die Zerstörung sein könnte. Die Möglichkeit, dass eine Anti-Satelliten-Waffe (ASAT), wie Russland sie im Herbst 2021 getestet hat, eingesetzt wurde, wird von den Experten derzeit eher ausgeschlossen.

War es ein russischer Waffentest? Experte ist davon nicht überzeugt

McDowell äußert seine Gedanken dazu auf X: „Es wäre verrückt und sehr schlecht von den Russen, solch einen großen Satelliten als ASAT-Ziel zu verwenden. Es kann sein, dass die russische Regierung tatsächlich verrückt und sehr schlecht ist, aber ich tendiere immer noch in Richtung ‚kein ASAT‘.“

Laut den US-Weltraumkommandos hat der zerbrochene Satellit sofort mehr als 100 verfolgbare Trümmerstücke erzeugt. Bis zum Nachmittag des 27. Juni hat LeoLabs mindestens 180 einzelne Fragmente registriert. Ein Problem: Der russische Satellit zerbrach im niedrigen Erdorbit, in einer Höhe von etwa 350 Kilometern – in diesem Bereich sind Tausende von Satelliten unterwegs. LeoLabs schätzt, dass es Wochen bis Monate dauern wird, bis die Gefahr durch die Trümmerwolke vorüber ist.

Fachleute warnen vor dem „Kessler-Effekt“ durch zu viel Weltraumschrott

Durch das Zerbrechen des russischen Satelliten kommen zu den mehr als 900.000 Weltraumschrott-Teilen im Erdorbit weitere dazu. Experten warnen bereits regelmäßig vor Phänomenen wie dem „Kessler-Effekt“, bei dem Satelliten mit Trümmern kollidieren und weiteren Weltraumschrott erzeugen – dadurch werden die Risiken weiterer Zusammenstöße im Orbit exponentiell erhöht. Beim russischen ASAT-Test im Jahr 2021 entstanden Tausende Teile von Weltraumschrott, die die Erde immer noch umkreisen.

Auch die Internationale Raumstation ISS ist davon betroffen: Sie umkreist die Erde in einer Höhe von etwa 400 Kilometern und führt Ausweichmanöver durch, wenn ihr Teilchen zu nahe kommen, die fünf Zentimeter oder größer sind – und genug Zeit dafür bleibt. Zusätzlich müssen sich die Crewmitglieder zum Schutz in ihre Raumschiffe zurückziehen, mit denen sie im schlimmsten Fall zur Erde zurückkehren können. (tab)

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