Zwischen Solidarität und Sicherheit - Ökonomin Kemfert fordert Pflichtversicherung: „Nicht später auf Staatskosten angewiesen“
Wie fair und sinnvoll ist solche Solidaritätspraxis wirklich?
Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen plädierte in einem Gutachten für eine Versicherungspflicht für Wohngebäude gegen Naturgefahren. Solche Versicherung sei wirksamer und nachhaltiger als die staatliche Hilfe im Nachhinein. Verfassungsrechtlich wäre eine solche Elementarschadenspflicht zulässig. Obendrein sei sie von der Bevölkerung akzeptiert und führe zu einem flächendeckenden Versicherungsschutz.
Zwar lässt sich zu Recht argumentieren, dass die Gefahren des Klimawandels nicht auf die einzelnen Menschen abgewälzt werden dürfen. Doch eine Pflichtversicherung träfe eben alle Menschen mit Wohneigentum, so dass sich laut Studien die Katastrophen-Prämien pro Jahr für ein Einfamilienhaus in Normallagen auf weniger als hundert Euro und selbst in extremen Hochwasserlagen maximal knapp Tausend Euro belaufen.
Von Vorteil ist zudem, dass sich die Prämien für solche Versicherungen nach Risikoklassen staffeln ließen. Wer nah am Wasser baut, lebt bei Hochwasser in einer größeren Gefahrenlage als jemand im Zentrum einer Großstadt. Andererseits hat ein Mehrfamilienhaus in bodenversiegelter City-Lage ein höheres Risiko, dass bei Starkregen der Keller vollläuft. Wer hier entsprechend Vorsorge betreibt, kann also bares Geld sparen, weil dann die Versicherungsprämie entsprechend sinkt: Stichwort Hochwasserschutz bzw. „Schwammstadt“.
Ein Anreiz für Vorkehrungen und Abwägungen
Wer geeignete Maßnahmen zum Klimaschutz bzw. zur Klimaanpassung vornimmt, hat finanzielle Vorteile und reduziert quasi nebenbei das Risiko von Naturgefahren allgemein. Eine Versicherungspflicht für Elementarschäden bekäme dadurch einen ähnlichen Effekt wie die Bepreisung von Treibhausgasemissionen: Es entsteht ein Anreiz, individuelle Vorkehrungen gegen Naturgefahren zu treffen, was sicher attraktiver ist, als im Katastrophenfall auf das Wohlwollen des Staates angewiesen zu sein.
Wenn in bestimmten Lagen die Prämien für eine Elementarschadenversicherung in unangemessene Höhen steigen, könnte der Staat die Last durch einen zielgerichteten Transfer analog zum Wohngeld mildern. Doch wer Jahr für Jahr Geld für eine Katastrophenversicherung zahlen muss, macht sich eher Gedanken, ob die im Prospekt als „in schöner Lage“ gefeierte Immobilie auf die Dauer wirklich so attraktiv ist, wenn sie inmitten eines Hochrisikogebietes mit entsprechend hohen Versicherungsprämien liegt. Klimafolgekosten würden sich in Immobilienpreisen niederschlagen. Vermeintliche Schnäppchen müssten nicht später auf Staatskosten gerettet und saniert werden.
Und bei Bau- und Infrastrukturplanungen würden künftig vielleicht von Vornherein extreme Klima- und Wetterereignisse früher berücksichtigt und ausreichender Hochwasserschutz eingeplant. Und schon würden weniger Böden versiegelt, weniger Flüsse kanalisiert, besserer Deichschutz gebaut und ausreichende Retentionsflächen geschaffen.
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Kosten schaffen Bewusstsein
Die individuellen Kosten, die durch die Pflichtversicherung im zumutbaren Rahmen entstehen, stärken vermutlich auch das grundsätzliche Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Klimaschutzmaßnahmen und deren Akzeptanz, insbesondere in der unmittelbaren Wohnumgebung. Schließlich reduzieren sich auch die individuellen Kosten, sobald das allgemeine Risiko sinkt. Plötzlich ist es eben nicht mehr egal, ob flussaufwärts ein Gewerbe- oder Neubaugebiet entsteht, da, wo früher ein Überschwemmungsgebiet war. Und ob nebenan der Supermarkt seinen Parkplatz mit Asphalt versiegelt oder mit versickerungsfähigen Pflastersteinen belegt.
Die gigantischen volkswirtschaftlichen Kosten durch einen immer weiter fortschreitenden Klimawandel und entsprechende Naturkatastrophen werden so für die einzelnen Betroffenen nicht erst irgendwann durch abstrakte Steuererhöhungen, sondern unmittelbar und ursachenbezogen spürbar.
Mit einem in dieser Weise vernünftig regulierten Versicherungsmarkt haben wir bereits vielfältig gute Erfahrungen gemacht, sei es bei der Arbeitslosen-, sei es bei der Gesundheitsversicherung. Alle zahlen in die Pflichtversicherung ein, damit man im Schadensfall einen individuellen Rechtsanspruch auf Hilfe hat. Eine wirklich gute Praxis der Solidarität!