Grüner Spitzenkandidat zurück auf X - Habeck will gegen „Schreihälse“ vorgehen – Schweizer Zeitung gibt ihm bitterbösen Rat

Die Rückkehr Robert Habeck von auf X (ehemals Twitter) hat viele überrascht, denn 2019 verurteilte der Grünen-Mann die Plattform als noch „spaltend und polarisierend“. Jetzt präsentiert sich der grüne Kanzlerkandidat als jemand, der „das Feld nicht den Schreihälsen und Populisten überlassen“ will.

Ein hehres Ziel, doch die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) hinterfragt diese Strategie kritisch: „Wer vorgibt, gegen Populisten zu kämpfen, ist oft selber einer“, heißt ein Meinungsbeitrag, der am Freitag in dem Schweizer Blatt erschienen ist.

Populismus in der grünen Partei

Ein konkretes Beispiel liefere die Grüne Jugend, die CDU-Chef Friedrich Merz in einem öffentlichkeitswirksamen Angriff als „Rassisten“ bezeichnete. Diese Aussage, so der Kommentar, sei nicht nur falsch, sondern gefährlich, weil sie den Begriff „Rassismus“ entwerte. „Wenn Merz ein Rassist ist, dann ist jeder ein Rassist“, warnt der Autor und kritisiert, dass solche Angriffe in den eigenen Reihen offenbar keinen Widerspruch hervorrufen. Habeck, der Populisten entgegentreten will, könne durchaus bei den radikalen Übertreibungen seiner Parteijugend beginnen.

Auch andere führende Grünen-Politikerinnen wie Katharina Dröge werden in dem Beitrag ins Visier genommen. Dröge behauptete im „Handelsblatt“, Merz wolle die „komplette Klimapolitik abwickeln“. Tatsächlich richte sich die CDU laut Grundsatzprogramm aber an den Pariser Klimazielen aus. „Ein weiterer Fall für Habecks potenziellen noblen Einsatz, nicht auf X, sondern in der eigenen Partei“, kommentiert der Autor lakonisch.

FDP und SPD: Eigeninteresse vor Konsistenz

Die Kritik beschränkt sich aber nicht auf die Grünen. Auch die FDP und ihr Vorsitzender Christian Lindner werden als Beispiel populistischer Widersprüche genannt. Laut einem Bericht der „Zeit“ habe Lindner das Ende der Ampelregierung mit einem Zynismus betrieben, der nicht zu seinen öffentlichen Aussagen passte. Intern habe er seine ehemaligen Koalitionspartner mit abschätzigen Bemerkungen beleidigt und das Ende der Koalition als „D-Day“ bezeichnet – eine unpassende Anspielung auf historische Ereignisse.

Auch die SPD wird in dem Beitrag nicht verschont. Besonders heftig fällt die Kritik an dem Bundestagsabgeordneten Bengt Bergt aus, der ein manipuliertes Video über Friedrich Merz verbreitete. Darin wurden Merz Aussagen wie „Wir verachten die Demokratie“ unterstellt. Solche Aktionen, so der Kommentar, seien eine „substanzielle Gefahr für die Demokratie“, da sie den politischen Diskurs irreparabel beschädigten.

Populismus als gesamtpolitisches Problem

Die NZZ zeigt auf, dass keine Partei frei von populistischen Tendenzen ist. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wird als Beispiel für opportunistische Kehrtwenden genannt: „Er ist der Politiker, der am schnellsten das Gegenteil dessen behauptet, was er vor Tagen oder Wochen noch als einzige Wahrheit präsentierte.“ Gleichzeitig inszeniere Söder sich als Anwalt der sozialen Gerechtigkeit, während im Hintergrund Sozialleistungen in Bayern gekürzt würden.

Letztlich, so die NZZ, würden die Beispiele zeigen: „Wir leben längst im Populismus, und hoffähig gemacht haben ihn nicht alleine die AfD und die Linke“.

Autor des Artikels über Habeck war „Bild“-Chef

Der Autor des Artikels ist Johannes Boie, früher Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ und dann der „Bild-Zeitung“. Er schreibt seit 2024 für die NZZ.