Trump schockt Ukraine und Europa – Was Merz und den GroKo-Verhandlern blüht
Milliarden-Investitionen, Hilfe für die Ukraine, klare Kante gegen Putin – Europa steht nach dem Trump-Selenskyj-Eklat unter Druck. Auch die GroKo.
Egal, ob nun geplant, oder nicht: Donald Trump und sein Vizepräsident J.D. Vance haben am Freitag ein klares Signal ausgesandt. Feste „Verbündete“ gibt es für die neuen USA nicht mehr; jedenfalls nicht unter den europäischen Demokratien. Und wenn schon jemand eine Chance auf Hilfe gegen einen völkerrechtswidrigen Überfall aus Russland will – dann nur im Gegenzug für demütige Unterwerfung und wirtschaftliche Selbstaufgabe.
Ob es eventuell doch noch einen US-Beistand nach Nato-Artikel 5 bei einem Angriff auf ein Nato-Land gäbe? Es ist schwer zu sagen. Aber schon mit dieser Feststellung ist die Aufgabestellung für Europa eigentlich klar: Es muss künftige jegliche potenziellen Angreifer selbst abschrecken können. Eine Schlüsselrolle wird dabei unweigerlich die Bundesrepublik haben. Schließlich hat sie nach wie vor die größte Volkswirtschaft des Kontinents. Die meisten Einwohner eines einzelnen Landes obendrein. Und eine verhältnismäßig gewichtige Stimme auf internationalem Parkett. Große Aufgaben – auch für die Sondierer von Union und SPD.
Sorge vor Trump und Putin im Ukraine-Krieg: Erste Mahnungen an Merz‘ neue GroKo
Denn die Zeit drängt. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hatte schon am Samstag eine Warnung parat. „Ohne eine handlungsfähige deutsche Regierung kann Europa nicht auf die derzeit dringlichen Herausforderungen reagieren“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen. „Jede zusätzliche Woche erhöht das Risiko, dass Trump und Putin in der Zwischenzeit auf Europas Kosten Fakten schaffen.“

Ganz handlungsunfähig scheint Europa zwar nicht. Schon am Sonntag trafen sich in London Staats- und Regierungschefs, um die neue Lage rund um Russland, die Ukraine und Europas Sicherheit zu debattieren. Dabei schien es zunächst vor allem um einen europäischen Friedensplan zu gehen. Der dürfte freilich keine übergroßen Chancen haben: Ohne Wladimir Putin kein Frieden – und Putin dürfte wenig Anreiz haben, über einen nachhaltigen Frieden nach europäischer Bauart zu verhandeln, wenn ihm Trump gleichzeitig freie Hand bietet.
„Europa muss die Hauptlast tragen, aber um den Frieden auf unserem Kontinent zu verteidigen und dabei erfolgreich zu sein, müssen diese Bemühungen von den USA stark unterstützt werden“
Aber es geht nicht nur um ein konkretes Verhandlungsangebot. Der Gipfelgastgeber, der britische Premier Keir Starmer, nannte am Sonntag bei der BBC drei Elemente für einen dauerhaften Frieden – und bei dem darf sich Europa mitgemeint fühlen: Eine „starke Ukraine“, Sicherheitsgarantien aus Europa und eine „Absicherung“ aus den USA. Letzteres wird ein diplomatischer Kraftakt. Die ersten beiden Punkte werden Geld kosten; für direkte Hilfen und den Aufbau ernstzunehmender europäischer Verteidigungsarmeen. Und da kommen auch Deutschlands Koalitionsverhandlungen ins Spiel. Was müssen sie auf die Beine stellen?
Trump, Selenskyj und die neue Bundesregierung: Drei Hauptaufgaben für die GroKo-Verhandlungen
- Diplomatie ankurbeln: Kann ein neuer Bundeskanzler Friedrich Merz Druck auf Donald Trump ausüben? Fraglich. Völlig klar scheint aber, dass ein Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz das nicht kann. Als Vance vor zwei Wochen die Münchner Sicherheitskonferenz besuchte, hielt er nicht mal ein Treffen mit Scholz für nötig. Merz sprechen einige Beobachter gewisse Chancen zu. Immerhin hatte Trump öffentlich das Ergebnis der Bundestagswahl begrüßt. Und womöglich erhöht auch Merz‘ viel debattierte Vergangenheit in der Wirtschaft Trumps Respekt. Ein schneller Wechsel ist jedenfalls Voraussetzung, bald wieder Gehör finden zu können.
- Ukraine-Hilfe ausbauen: „Wir müssen die Länder in Europa finden, die bereit sind, etwas mehr Initiative zu zeigen“, sagte Starmer am Sonntag. Zu seiner „Koalition der Willigen“ zählte er zunächst aber vor allem Großbritannien und Frankreich. Klar ist: je größer und fester das Bündnis, desto stärker sein Gewicht und desto spürbarer in der Ukraine und an der Front die Hilfe in Form von Geld und militärischem Gerät. Glaubhaft Deutschlands Kurs für die nächsten Jahre vorgeben, kann aber erst die neue Regierungskoalition. Und das auch erst, wenn sie die finanziellen Mittel dafür gesichert hat.
- Europas Verteidigung stärken: Die SPD ist nach der Wahl allem Anschein nach in Richtung eines strafferen Kurses gegenüber Russland gerutscht. Mit Lars Klingbeil hat der Sohn eines Bundeswehr-Soldaten den Fraktionsvorsitz übernommen – von Rolf Mützenich, der zwar auch Unterstützer der Ukraine war, aber eher älteren Vorstellungen der Sozialdemokratie zu Russland-Politik und Pazifismus anhing. „Deutschland muss und wird vorangehen. Auch, um der Ukraine zu helfen“, twitterte Klingbeil am Samstag. Aber: Die Bundeswehr schwächelt nach wie vor. Und ihr Sondervermögen ist in absehbarer Zeit aufgebraucht. Ein weiteres wird im neuen Bundestag schwer durchzusetzen sein: AfD und Linke werden eine Sperrminorität haben.
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Geld und Waffen für die Ukraine – und die Bundeswehr: Was macht Deutschland?
Das sind die ersten Aufgaben. Handeln kann Deutschland aber wohl erst, wenn die kommende Koalition erste Pflöcke einschlägt. Das könnte in Sachen Verteidigung ein neues Sondervermögen, noch mit den Stimmen des alten Bundestages, sein. Auch möglich wäre ein Notlagenbeschluss im Bundestag. Den forderten am Samstag der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter und der Grünen-Außenpolitiker Anton Hofreiter. So ließe sich – mit einfacher Mehrheit – eine Ausnahme von den Regeln der Schuldenbremse einrichten. Ein Sondervermögen oder eine echte Reform der Schuldenbremse würden allerdings dauerhafter wirken.
Berichten zufolge schrauben Union und SPD auch bereits an Sondervermögen. Und zwar an gleich zwei davon: Geprüft werde, ob noch der alte Bundestag Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur auf den Weg bringen könnte, berichtete die Agentur Reuters. Grundlage der Diskussion seien Vorschläge von Spitzenökonomen. Im Gespräch waren demnach 400 Milliarden Euro für die Bundeswehr – auch als Signal an Putin – und 400 bis 500 Milliarden Euro an Infrastruktur-Geldern für Bund und Länder.
Trumps Abfuhr für Selenskyj erhöht den Druck: Kommen Groko-Schnellmaßnahmen?
Ein anderer Pfad wären theoretisch Schnell-Maßnahmen: eine Blitz-Koalitionsbildung ohne ausufernden Koalitionsvertrag. Oder eine Reise des kommenden Kanzlers noch ohne offizielles Amt zu Trump oder den europäischen Partnern. Daran wird offenbar geplant. „Merz wird Trump so schnell wie möglich treffen und dann hoffentlich schon höhere Verteidigungsausgaben im Gepäck haben“, sagte CDU-Politiker Johann Wadephul dem Tagesspiegel. Kiesewetter – dem freilich auch an einem schnellen Machtwechsel gelegen sein dürfte – forderte Scholz in der Bild am Sonntag auf, Merz „ab sofort zu allen internationalen Treffen mitzunehmen und einzubinden“. Die SPD kann helfen, wenn sie Merz zumindest nicht in die Parade fährt.
Eine wichtige Aufgabe der neuen Bundesregierung wird es zudem, beim Einen Europas zu helfen. Der renommierte US-Politikwissenschaftler Ian Bremmer empfahl Europa am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz, die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, um größere Verwerfungen im Inneren zu vermeiden. Aber auch, für die eigenen Werte einzutreten – „öffentlich, kollektiv und proaktiv für den Rechtsstaat, für Werte, an die Europa glaubt – insbesondere, wenn sie von den USA gebrochen werden“. In der Ukraine könnte die EU eine Verbündete haben. Aber nicht in allen ihrer eigenen Mitglieder. Ungarn drohte bereits, einen weiteren Ukraine-Gipfel am Donnerstag zu blockieren. Viele Staaten erwarten eine starke Stimme aus Deutschland. Scholz wird die nicht mehr werden.
Und dann ist da angesichts der Sorge, Trump könne Europa Putin geradezu ausliefern, noch eine andere Debatte: Darüber, Atomwaffenarsenale von Frankreich oder Großbritannien zu „europäisieren“. Merz hatte diese Überlegungen wieder mit-angestoßen. Allerdings gibt es Zweifel: Die Arsenale der beiden Länder sind vergleichsweise klein, alt und nicht sehr divers. „Taktische“ Atomsprengköpfe – mit weniger katastrophaler Schlagkraft – fehlen etwa. Die SPD warnte auch, besser nicht ernsthaft auf offener Bühne den US-Schutzschirm für Europa infrage zu stellen. Die AfD mahnte, Frankreich wolle nur Mittel für die Sanierung seiner „Force de frappe“, aber kein Mitspracherecht gewähren. Ein Kanzler Merz wird einiges zu verhandeln haben.
Trump-kritische Kommentatoren in den USA warfen indes einen verständnisvollen, aber auch leicht besorgten Blick auf die europäischen Selbstverteidigungsdebatten. Polit-Podcaster Tommy Vietor etwa warf im Gespräch mit dem Kollegen Brian Tyler Cohen die Frage auf, ob es aus US-Sicht wirklich eine gute Entwicklung sei, wenn „Deutschland wieder aufrüstet“. Trumps Ansicht dazu ist nicht bekannt. Allerdings scheint sich der US-Präsident um Historie nicht sonderlich zu scheren: Auch Russland galt über Jahrzehnte als Gefahr. Laut einer Umfrage der Quinnipac University misstrauen 81 Prozent der US-Wähler Putin. Trump scheint den Kremlchef dennoch als neuen Partner – vorsichtig ausgedrückt – zu schätzen. (fn)