Gastbeitrag von Oliver Rolofs - Der Iran zündelt nicht nur im Nahen Osten - das ist auch für Europa gefährlich
Die gezielte Tötung des Hamas-Führers Ismail Haniya und eines Hisbollah-Kommandeurs im Libanon als Reaktion auf den Terroranschlag der Hamas und anderer iranischer Stellvertreterorganisationen auf Israel am 7. Oktober 2023 war aus israelischer Sicht ein Coup.
Doch die Geschehnisse können auch zu einer weiteren Eskalation im Nahen Osten führen. Einer Eskalation, die sich schnell zu einem Flächenbrand entwickeln und auch den Südkaukasus mit seinen Ländern Armenien und Aserbaidschan erfassen könnte, sollte es zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Israel und Iran kommen.
Israel ist ein enger Verbündeter und offizieller strategischer Partner Aserbaidschans mit seiner Lage nördlich des Iran. Israel bezieht seit Jahren mehr als 50 Prozent seiner Ölimporte aus Aserbaidschan.
Kriege um Bergkarabach: Gute Verdienstchancen für Russland
Umgekehrt hat Israel wesentlich zur Modernisierung der aserbaidschanischen Streitkräfte beigetragen. Dem Iran ist die enge Zusammenarbeit beider Länder schon lange ein Dorn im Auge.
Seit Jahren wirft die Führung in Teheran dem nördlichen Nachbarn vor, Israel eine Plattform für Spionageaktivitäten und möglicherweise militärische Operationen zu bieten.
So steht Aserbaidschan auf der einen Seite mit der Türkei und Israel, auf der anderen der Iran und Frankreich mit Armenien. Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine befindet sich Jeriwan auf einem außenpolitischen Schlingerkurs.
Einerseits wendet sich Armenien zwar verstärkt dem Westen zu und hat, nachdem sich Russlands Sicherheitsgarantien im verlorenen Berg-Karabach-Konflikt als leeres Versprechen erwiesen haben, seine Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, kurz OVKS - einem Militärbündnis unter der Führung Russlands -, eingefroren.
Für Russland etwa hatten die Kriege um Bergkarabach stets gute Verdienstmöglichkeiten bedeutet: Waffen verkaufte die einstige Sowjetrepublik an beide Länder, obwohl Russland als Schutzmacht Armeniens galt.
Waffendeal zwischen Teheran und Jeriwan erscheint pikant
Inzwischen hat Frankreich ein Sicherheitsabkommen mit Armenien erweitert, welches beide Länder im Oktober 2023 abgeschlossen hatten.
Paris fungiert dabei zunehmend als Schutzmacht und Lieferant von Militärgütern für Armenien, das im gleichen Jahr eine Niederlage Armeniens gegen den Nachbarn Aserbaidschan im Konflikt um Berg-Karabach erlitten hatte und vom einstigen Bündnispartner Russland im Stich gelassen wurde.
Umso pikanter erscheint vor diesem Hintergrund ein jüngster Waffendeal zwischen Teheran und Jeriwan im Wert von einer halben Milliarde US-Dollar. Ziel war es, die armenischen Streitkräfte mit Drohnen und Flugabwehrraketensystemen aus iranischer Produktion auszurüsten.
Der Iran erhält durch dieses Geschäft nicht nur die Möglichkeit, einen weiteren Krieg im Kaukasus anzuzetteln, sondern auch Militärstützpunkte in Armenien zu errichten, wie der oppositionelle TV-Sender „Iran International“ berichtete.
Die Süd-Kaukasusrepublik dient dem Iran zudem als Transitland für die Lieferung der Shahed-136-Drohnen, die von Russland gegen ukrainische Ziele eingesetzt werden.
Für Paris und die EU ist der wachsende iranische Einfluss auf Armenien höchst problematisch, zumal durch die Militärkooperation mit Frankreich russische und iranische Geheimdienste Zugang zu französischen Waffen in Armenien erhalten könnten, die ebenfalls von der Ukraine im Verteidigungskampf gegen Russland eingesetzt werden.
Armenien könnte sich als Schlupfloch erweisen
Die enger werdenden Beziehungen zum Iran stellen auch an anderer Stelle ein Risiko dar: Vor wenigen Wochen erst hat die EU-Kommission einen Dialog über die Visaliberalisierung mit Armenien aufgenommen.
Ziel ist es, eine visafreie Regelung für Armenien in der EU zu erreichen, die armenischen Bürgern die Einreise in die EU für kurzfristige Aufenthalte (weniger als 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen) erleichtert.
Armenien könnte sich so auch als Schlupfloch für iranische Vertreter erweisen, die möglicherweise unter internationalen Sanktionen stehen oder gar terroristische Absichten verfolgen, durch vereinfachte Verfahren zur Annahme einer armenischen Staatsbürgerschaft trickreich in die EU einzureisen.
Dass vom Iran auch in Europa schon seit längerem eine Gefahr ausgeht, hat zuletzt das Verbot des „Islamischen Zentrums Hamburg“ (IZH) durch das Bundesinnenministerium gezeigt.
Das IZH steht schon länger unter dem Verdacht, ein verlängerter Arm des iranischen Regimes in Deutschland zu sein. Mehrere EU-Staaten, darunter auch Deutschland, wollen zudem die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation einstufen lassen. Grundlage dafür ist ein Brandanschlag auf eine Synagoge in Nordrhein-Westfalen, der laut einem Gerichtsurteil auf das Regime zurückzuführen ist.
Russland kontrolliert die armenische Eisenbahn
Doch richtig gebrochen hat Armenien auch noch nicht mit Russland, während es die Integration in den Westen beschleunigt und gleichzeitig die Beziehungen zum Iran ausbaut. So ist Jeriwan aus der OVKS bis heute nicht ausgetreten.
Genauso sind weiterhin russische Truppen und Grenzschützer im Land stationiert, während es immer noch keinen Termin für einen konkreten Abzug gibt. Der Kreml hat Armenien auch nach dem verlorenen Krieg in Berg-Karabach weiterhin fest im Griff, während auch der Iran seinen Einfluss in der Region weiter ausbaut.
Weiterhin kontrolliert Russland die armenische Eisenbahn, den größten Teil der Energie- und Rohstoffversorgung, die Telekommunikation sowie die Verwaltung der Kernkraftwerke und ist gleichzeitig größter Getreideimporteur Armeniens.
Im Gegenzug profitiert Armenien seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine von deutlich gestiegenen Exporten – oftmals unter Umgehung der international gegen Russland verhängten Sanktionen.
EU scheint lieber wegzuschauen
In einer gemeinsamen Erklärung des US-Justizministeriums, des US-Handelsministeriums und des US-Finanzministeriums wurde deswegen Armenien als Drehscheibe für Drittvermittler oder Umschlagplätze zur Umgehung von Sanktionen und Ausfuhrkontrollen in Bezug auf Russland und Belarus deklariert.
Andere Länder sind da einen Schritt weiter und kooperieren etwa mit der EU in puncto Sanktionen inzwischen vollumfänglich, wie beispielsweise Kasachstan.
Die aufstrebende Mittelmacht in Zentralasien und seit neuestem BRICS-Beitrittskandidat verzeichnet seit der Verhängung des 13. Sanktionspakets der EU einen deutlichen Rückgang bei der Einfuhr und Wiederausfuhr von sanktionierten Gütern mit doppeltem Verwendungszweck nach Russland. Das wurde erst vom Sanktionsbeauftragten der EU David O'Sullivan bei einem Besuch in Astana lobend bescheinigt.
Die EU scheint indes bei der zweifelhaften armenischen Außen- und Handelspolitik, die die eigenen Sanktionen unterläuft, bislang lieber wegzuschauen, als eine distanzierte Neuordnung der Beziehungen zu Russland und Iran konsequent einzufordern.
EU und USA sollten eng zusammenarbeiten
Ein Schlüssel, um den Einfluss des Irans und Russlands auf Jeriwan zu brechen, kann ein Friedensschluss zwischen Armenien und Aserbaidschan sein, den der Westen mit einer engagierten Südkaukasus-Politik unterstützen kann, um Armenien aus der iranischen und russischen Einflusssphäre herauslösen.
Für den weiteren Friedensprozess im Kaukasus, der im Mai 2024 mit Verhandlungen zwischen Baku und Jeriwan im kasachischen Almaty fortgesetzt wurde, sollten die USA und EU eng zusammenarbeiten, um Armenien weiter zu begleiten.
Bei der Frage um Grenzverläufe etwa könnte die EU sich dafür einsetzen, Partner beim Schutz von Transitstrecken oder Grenzübergängen zu werden.
Frieden mit Aserbaidschan würde Armenien vor Demütigung aus Moskau schützen
Die EU und USA könnten technische Unterstützung und Investitionen anbieten, um den Transit und die Konnektivität in der weiteren Region zu erleichtern und gleichzeitig einen Anreiz für die Öffnung der Grenzen zu schaffen.
Die Öffnung der Grenzen hinzu Aserbaidschan und der Türkei kann für Armenien die Grundlage bilden, einen beständigen Frieden herzustellen.
Ein Frieden mit Aserbaidschan würde Armenien vor allem vor einer erneuten Demütigung aus Moskau schützen und auch eine weitere Einflussnahme und militärische Eskalation durch den Iran im Südkaukasus verhindern.
Für die EU und USA sollte der Südkaukasus daher eine Priorität sein, um diese strategisch wichtige Region gegen seine Hauptgegner China, Russland und den Iran zu verteidigen.