Grüne lassen Merz im Rentenstreit abblitzen: „Betreutes Regieren ist vorbei“

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Die Grünen wollen Merz‘ Rentenpaket im Bundestag keine Mehrheit verschaffen. Banaszak präsentiert stattdessen eigene Vorschläge zur Rente.

Berlin – Grünen-Co-Parteichef Felix Banaszak nutzt ein Interview, um der schwarz-roten Koalition eine klare Absage im Rentenstreit zu erteilen. Während die Junge Gruppe der Union offen mit einem Nein droht, macht Banaszak deutlich, dass die Grünen nicht als Mehrheitsbeschaffer für Kanzler Friedrich Merz im Bundestag einspringen werden. Der Vorsitzende betont, die Regierung müsse ihre parlamentarischen Probleme selbst lösen.

Die Grünen unter Chef Felix Banaszak (l.) wollen Friedrich Merz beim Rentenpaket der Regierung keine Mehrheit im Bundestag verschaffen. © Imago/Carsten Koall/dpa (Montage)

Zugleich weist Banaszak darauf hin, dass die derzeitige politische Stimmung eine Herausforderung für alle demokratischen Parteien sei. Trotz der Unzufriedenheit mit der Merz-Regierung profitiere keine der etablierten Kräfte davon, was er als Zeichen einer „schweren Zeit für grüne Politik“ wertet. Im Gespräch mit der Bild am Sonntag beschreibt er, dass ökologische und integrative Politik in dieser Phase besonders unter Druck stünden. Dies erklärt seiner Ansicht nach auch, warum die Grünen in Umfragen stabil, aber nicht stärker auftreten.

Grüne geben Merz im Renten-Streit Kontra

Im Zentrum des Interviews steht aber eine kompromisslose Absage an die Rentenpläne der Regierung. Banaszak sagt: „Wir stimmen gegen dieses Rentenpaket, weil es im Gesamten kein sinnvoller Umgang mit Geld ist und die Strukturprobleme überhaupt nicht anfasst.“ Er hält fest: „Ich halte dieses Rentenpaket in der Summe auch für falsch.“ Für die Koalition ist diese Klarheit ein Rückschlag, denn ohne die Zustimmung der Jungen Gruppe in der Union fehlt ihr die Mehrheit. Auf zuätzliche Stimmen der Grünen kann Merz nun nicht mehr hoffen. Die Linke hat sich eine Zustimmung zum Rentenpaket im Bundestag zuletzt offen gehalten.

Die Kritik des Grünen-Chefs richtet sich besonders an Kanzler Friedrich Merz (CDU). Mit dem Satz: „Betreutes Regieren ist jetzt vorbei. Die müssen das jetzt hinkriegen“ spricht Banaszak der Koalition jede Erwartungshaltung an die Opposition ab. Zugleich erinnert er daran, dass Merz Parteien, auf die er nun angewiesen sein könnte, kurz vor der Wahl noch als „Spinner“ bezeichnet habe. Vor diesem Hintergrund stellt der Grünen-Chef die Führungsfähigkeit des Kanzlers offen infrage.

Renten-Zoff: Merz unter Druck, Union ringt intern um Einigung

Während Banaszak klare Kante zeigt, arbeitet die Regierung fieberhaft an einer Lösung im Rentenstreit. Die Junge Gruppe der Union stellt zentrale Teile des Rentenpakets erneut infrage, darunter Haltelinie, Mütterrente, Aktivrente und Frühstartrente. Bei der CSU-Klausur in München mahnte Parteichef Markus Söder öffentlich zur Einigung und sagte gemäß der Süddeutschen Zeitung: „Daran darf eine Koalition niemals scheitern.“

Parallel dazu wird in Berlin ein drastischeres Mittel diskutiert: die mögliche Verknüpfung der Rentenabstimmung mit einer Vertrauensfrage. Strategische Berater halten dies für einen letzten Ausweg, sollte die Junge Gruppe ihre Blockade aufrechterhalten, schreibt der Spiegel. Für Merz wäre eine solche Eskalation riskant, weil sie seine eigene Schwäche offenlegen würde. Gleichzeitig könnte sie aber die Fraktion zu Geschlossenheit zwingen. Die Lage bleibt damit brisant und volatiler als jede andere soziale Reform in den vergangenen Jahren.

Streit um Rente: Grüne wollen Rente mit 63 abschaffen

Die Ablehnung der Grünen bleibt derweil nicht bei reiner Kritik stehen. Sie präsentierten zuletzt ein eigenes Konzept. Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung, die „Rente mit 63“ ab 2030 schrittweise ausschließlich jenen zu gewähren, die aus gesundheitlichen Gründen früher ausscheiden müssen. Die Grünen argumentieren, dass aktuelle Frühverrentungsprogramme die Fachkräftelage zusätzlich verschärften.

Gleichzeitig verlangen sie eine dauerhafte Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, deutlich über die Jahr-2031-Grenze hinaus, die die Koalition anpeilt. „Richtig wäre, Menschen endlich die Sicherheit zu geben, dass das Rentenniveau dauerhaft nicht unter 48 Prozent sinkt“, heißt es im Grünen-Papier. Das Ziel: ein verlässliches und zukunftsfestes Alterseinkommen.

Grüne zum Rentenstreit: Auch Beamte und Selbstständige sollen einzahlen

Ein dritter zentraler Punkt betrifft die Finanzierung. Die Grünen wollen das System auf breitere Schultern stellen und künftig auch neue Beamte, Abgeordnete und nicht abgesicherte Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Für die Partei ist das ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit – und zu langfristiger Stabilität des Systems.

Das steckt im grünen Gegenmodell zur Rente

Kernpunkte der Grünen

- „Rente mit 63“ ab 2030 nur noch bei gesundheitlichen Gründen
- Dauerhafte Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent
- Einbeziehung von neuen Beamten, Abgeordneten und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung
- Weniger Frühverrentung – mehr Anreize für längeres Arbeiten
- Breitere Finanzierung statt kurzfristiger Steuererleichterungen

Banaszaks Kritik an Merz’ Auftritt in Brasilien

Im Bild-Interview attackiert Banaszak den Kanzler indes nicht nur in der Rentenfrage, sondern auch für dessen internationales Auftreten. Über Merz’ Besuch bei der Klimakonferenz in Brasilien sagt er: „Das Einzige, was von seinem Auftritt in Erinnerung bleibt, ist ein blöder Witz über den Austragungsort.“ Er warnt ferner, dass Deutschland außenpolitisch an Vertrauen verliere.

Auch bei der Finanzierung des Regenwaldfonds als ein Ergebnis des COP30 hält Banaszak deutliche Gegenargumente bereit. Die deutsche Milliarde sei unzureichend, sagt er: „Natürlich reicht das nicht. Norwegen, das einen wesentlich kleineren Haushalt und eine kleinere Volkswirtschaft hat, bezahlt das Dreifache.“

Grüne Selbstkritik von Banaszak: „Jedes Zerrbild hat einen wahren Kern“

Neben der Kritik an der Regierung äußert Banaszak im Interview selbstkritische Töne zur Wahrnehmung seiner Partei. Er sagt: „Jedes Zerrbild, so verzerrt es ist, hat irgendwo einen wahren Kern.“ Damit spielt er auf das Bild der „Belehrpartei“ an, das die Grünen seit vielen Jahren begleitet. Diese Einsicht gehört zu den seltenen Momenten, in denen Parteispitzen öffentlich über eigene kommunikative Schwächen sprechen.

Der Grünen-Chef beschreibt zudem, dass viele Mitglieder seiner Partei „geprägt von Leuten“ seien, „denen es vergleichsweise gut geht“. Dadurch entstehe leicht der Eindruck, man wisse es besser als andere Gruppen der Gesellschaft. Sein Gegenrezept fasst er in einem markanten Satz zusammen: „Nimm die Leute, wie sie sind. Du hast nur die. Du musst Politik mit den Leuten und für die Leute machen.“

Neue Perspektive: Banaszak bei „Illner“ und die Frage nach der Rolle der Opposition

Zusätzliche Klarheit zu seiner Rentenposition brachte Banaszak in der zurückliegenden Woche auch in der ZDF-Sendung „maybrit illner“. Bereits dort wies er ausdrücklich zurück, dass die Grünen als Ersatzmehrheit für die Koalition infrage kämen. Auf die Frage, ob seine Partei erneut einspringen würde, sagte er: „Nein, wir sind nicht der Lückenfüller an der Stelle. Dieses Rentenpaket ist so nicht gut.“

In der gleichen Sendung versuchte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die Lage zu beruhigen und konstatierte, dass ein Koalitionsbruch gar nicht zur Debatte stehe. Gleichzeitig lobte er die Junge Gruppe dafür, dass sie „eine mehr als notwendige“ Diskussion angestoßen habe.

Auch politische Beobachter wiesen in der Sendung auf die fragile Lage hin. Journalist Michael Bröcker erklärte: „Die Koalition kann schon auf der Kippe stehen“, während Strafrechtlerin Elisa Hoven dafür plädierte, Konflikte nicht zu dramatisieren: „Wenn wir jeden Konflikt gleich hochstilisieren, da drohe der Koalitionsbruch – damit tun wir dem Land nichts Gutes.“ (Quellen: Bild am Sonntag, dpa, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, ZDF) (chnnn)