„Aktive Sterbehilfe“: Kachelmann kritisiert lebensgefährliche Wetter-Mythen – Experte hält dagegen
Bei extremen Temperaturen rechnet Meteorologe Jörg Kachelmann mit weit verbreiteten Hitze-Ratschlägen ab. Seine drastischen Warnungen stoßen jedoch auf Widerspruch.
München – In ganz Deutschland herrschten in den vergangenen Tagen extreme Temperaturen – und die nächste Hitzewelle ist bereits im Anmarsch. Meteorologe Jörg Kachelmann nutzt diese Situation für eine scharfe Kritik an gängigen Hitze-Mythen. Der Wetterexperte warnt eindringlich vor deren potenziell tödlichen Folgen und äußert sich besorgt über die Verbreitung gefährlicher Ratschläge: „Diese Hitzetipps kosten halt viele Menschenleben und das macht mich ein bisschen traurig“, äußert Kachelmann gegenüber der Bild. Vor allem Senioren würden durch irreführende Empfehlungen in Lebensgefahr gebracht.
Geschlossene Fenster als tödliche Falle – Meteorologe schlägt Alarm
Als besonders verhängnisvoll stuft Kachelmann die Empfehlung ein, Fenster bei Hitze geschlossen zu halten. „Dass die Fenster um jeden Preis geschlossen bleiben müssen!“, prangert er vehement an. Dieser Ratschlag werde sowohl von Medien als auch von offiziellen Stellen verbreitet, was katastrophale Konsequenzen haben könne. „Das ist das, was die Leute umbringt“, betont Kachelmann. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hatte zuvor für Mittwoch (2. Juli) eine amtliche Warnung vor „extremer Hitze“ herausgegeben.
Ebenso unberechtigt sei die weit verbreitete Furcht vor Durchzug, argumentiert der Meteorologe. „Durchzug ist nichts anderes als Wind“, verdeutlicht Kachelmann und führt als Beispiel die Kanaren an. Dort sorge der ständig wehende Nordostpassat nicht für gesundheitliche Probleme bei den Einwohnern.
Umweltmediziner Hutter zerlegt Kachelmanns Hitze-These
Deutlichen Widerspruch erntet Kachelmann jedoch von Fachkollegen. Umweltmediziner Hans-Peter Hutter stellt sich gegen diese Ansicht. „Es gibt Leute, die kennen sich aus mit Innenraumklimatologie – und er kennt sich offensichtlich nicht aus“, äußerte Hutter im österreichischen Fernsehen bei PULS 24. Nach Ansicht des Mediziners stelle Außenhitze eine weitaus größere Gesundheitsgefahr dar als verbrauchte Innenraumluft. Er empfiehlt eine Lüftung von maximal drei Minuten – längeres Lüften „lädt die Hitze ein, zu mir zu kommen“, warnt Hutter.
Besonders scharf kritisiert Kachelmann einen anderen populären Hitze-Ratschlag. Das Aufhängen nasser Handtücher bezeichnet er als „aktive Sterbehilfe“. Seine Begründung: Diese Methode lasse in geschlossenen Räumen die Luftfeuchtigkeit extrem ansteigen, was den Organismus stärker belaste als trockene Hitze. „Menschen überleben wunderbar trockene 40 Grad in der Wüste, aber nicht 28 Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit und völliger Windstille“, verdeutlicht er das Risiko. Einsatzkräfte der Feuerwehr berichteten laut Kachelmann von „komplett nassen Wänden“, wenn sie Todesopfer in überhitzten Wohnräumen entdeckten.
Weitere gefährliche Irrtümer bei Sommerhitze
Zusätzliche Fachleute unterstützen die Kritik an irreführenden Hitze-Empfehlungen. Wie die Westfälische Rundschau berichtet, bewirke eiskaltes Duschen laut Experten das Gegenteil des Gewünschten: Die Gefäße verengen sich, der Kreislauf kommt in Schwung und man schwitzt anschließend umso mehr. Ein weiterer gefährlicher Irrglaube bestehe darin, durch reduzierte Flüssigkeitsaufnahme das Schwitzen eindämmen zu wollen. „Schwitzen ist die Klimaanlage des Körpers. Wir sollten nicht einmal darüber nachdenken, sie aufhalten zu wollen“, mahnt Claudia Traidl-Hoffmann von der Universität Augsburg in der Süddeutschen Zeitung.
Der Wetterexperte Kachelmann verstehe seine Aufklärungsarbeit als persönlichen Auftrag: „Ich kann nicht einfach zugucken und werde das wahrscheinlich bis zum bitteren Ende durchziehen.“ Sein Ziel sei es, „ein paar Omas und Opas zu retten“. Als Meteorologe habe er selten die Gelegenheit, unmittelbar Menschenleben zu bewahren – genau dies wolle er durch seine Informationskampagne schaffen. Für die nächsten Tage prognostiziert Diplom-Meteorologe Dominik Jung weiterhin kritische Wetterbedingungen.