Nena und die andere Meinung - Im Gespräch mit einem Unternehmer wird ein großer Bürgergeld-Denkfehler klar

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Kaum ein Thema beschäftigt unser Land so stark wie das Bürgergeld. Unsere Kolumnistin Nena Brockhaus spricht darüber mit einem deutschen Unternehmer.
Samstag, 16.11.2024, 10:08

Wie verändert das Bürgergeld den Arbeitsmarkt? Unternehmer Christian Hamer, Chef von 65 Fotostudios mit 420 Mitarbeitern, berichtet von Kündigungen, Schwarzarbeit und sinkenden Bewerberzahlen. Sind die Anreize falsch gesetzt?

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Kaum ein Thema beschäftigt unser Land so stark wie das Bürgergeld. Ich möchte diese Woche mit einem Unternehmer aus Leidenschaft darüber sprechen: Christian Hamer. Seit 15 Jahren betreibt er 65 Fotostudios in ganz Deutschland mit 420 Mitarbeitern.

Wir lernen uns bei einem Next Gen Summit kennen, wo er sich über das Bürgergeld echauffiert und hart mit der Politik ins Gericht geht. Zeit für den Bürgergeld-Praxischeck.

„Früher wurden wir erschlagen mit Bewerbungen“

Nena Brockhaus: Wie nehmen Sie die Veränderung auf dem Arbeitsmarkt wahr?

Christian Hamer: Früher wurden wir erschlagen mit Bewerbungen. Als wir vor 15 Jahren unseren ersten Ausbildungsplatz ausgeschrieben haben, hatten wir 5000 Bewerber. Das ist mit den Jahren sehr viel weniger geworden.

Inzwischen kriegen wir zwei bis drei Bewerbungen pro Ausbildungsplatz. Wir können unsere Ausbildungsplätze aktuell noch bestücken. Ein guter Freund von mir ist Metzger, der sagt, er habe seit mehreren Jahren viele Ausbildungsplätze, die er nicht mehr besetzen kann.

Sie beschäftigen 420 Menschen in ganz Deutschland. Was hat sich durch das Bürgergeld verändert?

Hamer: Wir hatten einen Mitarbeiter, der wollte, dass wir seine Nachzahlung für die Nebenkostenabrechnung übernehmen. Knapp 2000 Euro. Er erklärte mir: Wenn er kündigt und Bürgergeld beantragt, dann würde das Amt seine Nebenkostenabrechnung übernehmen. Ich wollte ihn als Mitarbeiter behalten.

Über die Kolumnistin

Nena Brockhaus, geboren 1992, ist Wirtschaftsjournalistin, Fernsehmoderatorin, politische Kommentatorin und vierfache Spiegel-Bestsellerautorin (Unfollow, Pretty Happy, Ich bin nicht grün, Alte Weise Männer). Nach Stationen bei Handelsblatt und BUNTE moderierte sie von 2021 bis 2023 für BILD die Polit-Talkshow Viertel nach Acht. Mit ihrer Kolumne „Nena und die andere Meinung“ möchte Brockhaus zu einem differenzierten Meinungsbild in unserer Gesellschaft beitragen – gerne auch mal durch unpopuläre Thesen und die Erweiterung des Sagbaren.

„Ich weiß von ehemaligen Mitarbeiter, die inzwischen schwarz arbeiten“

Haben auch Mitarbeiter gekündigt, um lieber Bürgergeld zu empfangen?

Hamer: Ja, am Anfang war das heftig. Bei uns haben knapp 70 Mitarbeiter gekündigt und sind lieber ins Bürgergeld gegangen.

Was waren die Gründe für die Mitarbeiter, zu gehen?

Hamer: Einer meiner Studioleiter hat zwei Kinder und ist Alleinverdiener. Der hat ausgerechnet, dass er mit allen Sozialleistungen knapp 4000 Euro im Monat hätte. Bei mir verdient er rund 2000 Euro netto.

Ein anderer Studioleiter hat sich ein paar Monate Auszeit genommen, um Zeit mit seinem alten Vater zu verbringen. Auf Steuerzahlerkosten wohlgemerkt. Der ist immerhin als Einziger von den 70 zurückgekommen.

Lohnt sich Arbeit in Deutschland noch?

Hamer: In der Regel ist das Nettoeinkommen einen Tick höher als das Bürgergeld, auch wenn es nur ein Schnaps ist. Diese Vergleichsrechnungen ärgern mich aber, weil Sie den wichtigsten Punkt vergessen. Die Schwarzarbeit. Ich weiß von einigen meiner ehemaligen Mitarbeiter, dass die inzwischen schwarz arbeiten. Wenn man das mit einberechnet, lohnt sich reguläre Arbeit für bestimmte Lohngruppen leider nicht.

„Ich habe das Gefühl, die Regierung möchte, dass Menschen Bürgergeld empfangen“

Beobachten Sie eine Zunahme an von Schwarzarbeit in Ihrer Branche?

Hamer: Ja, das Angebot auf den Online-Plattformen ist explodiert. Auch im Bekanntenkreis kriege ich das immer mehr mit. Da bieten dann Fotografen beispielsweise in Kindergarten-WhatsApp-Gruppen ihre Dienste an. Ich bezweifle stark, dass das versteuert wird.

Was genau stört Sie am Bürgergeld?

Hamer: Bei der Einführung habe ich mir diese Webseiten angeschaut. Die waren wie eine Werbe-Seite aufgebaut. Schick und modern. Die Aussage war: Kümmere dich um deine berufliche Neuorientierung. Wir lassen dich neun Monate in Ruhe. Danach kannst du dich einmal bei uns vorstellen. Und wir übernehmen alles, was du brauchst. Ich habe das Gefühl, dass die Regierung möchte, dass Menschen Bürgergeld empfangen.

Sie sehen zu viele Anreize durch das Bürgergeld, nicht arbeiten zu gehen?

Hamer: Wenn man den 70 Mitarbeitern, die gegangen sind, das Bürgergeld wieder wegnehmen würde, dann würde nur noch die Schwarzarbeit bleiben. Das allein reicht nicht zum Leben. Sie müssen die Anspruchsgrundlage ändern. Wer arbeiten kann, soll arbeiten und nicht dauerhaft Sozialleistungen empfangen!

„Wir können unsere Preise nicht immer weiter erhöhen“

Sie fordern vom Staat, er solle die Sozialleistungen senken?

Hamer: Wer tatsächlich nicht arbeiten kann, der soll Hilfe vom Staat bekommen und ein auskömmliches Leben haben. Aber um es zugespitzt zu sagen: Wer zwei gesunde Arme und Beine hat, hat kein Recht auf dauerhafte Alimentierung. Wenn man das Anrecht auf Bürgergeld einschränken würde, würden viel mehr Menschen arbeiten. Dann hätte man auch ganz große Teile des drastischen Arbeitskräftemangels nicht.

Es gibt das Argument: Die Löhne sind zu niedrig. Sind Sie ein Ausbeuter, bezahlen Sie ihre Mitarbeiter nicht gut genug?

Hamer: Wir können unsere Preise nicht immer weiter erhöhen. Das hat auch mit der Schwarzgeldkonkurrenz zu tun, die uns preislich unterbieten kann. Und unsere Gewinnmarge, also das, was vom Umsatz hängen bleibt, ist in den letzten Jahren schon durch Preissteigerungen weniger geworden. Wenn ein Bewerbungsfoto 200 Euro kosten würde, würde gäbe es unsere Dienstleistung nicht mehr geben, weil keiner das zahlen würde.

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Mein Motto wäre „Deutschland First“

Was kostet Sie ein Mitarbeiter?

Hamer: Ein Fotograf, der 2600 Euro brutto erhält, hat netto rund 1800 Euro übrig. Er kostet uns allerdings – mit den Arbeitgeberabgaben – 3400 Euro. Das ist eine große Diskrepanz. Mir wäre es lieber, dass die Arbeitgeberabgaben niedriger wären und ich höhere Gehälter zahlen könnte. Und der Fotograf würde sich bestimmt auch freuen!

Zahlen Sie gerne Steuern und Sozialabgaben?

Hamer: Ich zahle grundsätzlich gerne Steuern, weil ich finde, dass ein Staat für eine gewisse Absicherung da ist und auch wichtige Aufgaben hat. Das muss finanziert werden. Aber wenn ich sehe, wie der Staat damit umgeht, dann zahle ich nicht gerne Steuern. Dann muss man dem Kind (Politiker) diese Süßigkeit (Abgaben) wegnehmen. Die Steuern sollten gut und effizient eingesetzt werden.

Was würden Sie sich machen, wenn Sie jetzt Kanzler wären oder Arbeitsminister?

Hamer: Ich würde bei den Anreizen für Arbeit anfangen. Ich würde die Steuern und Abgaben auf Arbeit senken und die Anspruchsgrenzen für Sozialleistungsempfänger brutal erhöhen.

Mein Motto wäre „Deutschland First“: Wir konzentrieren uns jetzt erst mal auf uns. Wir sind nicht mehr das reichste Land der Welt – sind wir schon lange nicht mehr. Trotzdem finanzieren wir alles, das ganze Drumherum. Wir sollten den Blick auf Deutschland legen und auf die Leute, die hier arbeiten und sich anstrengen.

Christian Hamer bringt eine wichtige Unternehmerperspektive in die Debatte. Doch wie sieht die andere Position aus?

Die Gegenseite:

Die SPD betrachtet das Bürgergeld als bedeutende sozialpolitische Reform, die Hartz IV ablöst. Sie betont, dass das Bürgergeld auf Respekt und Bürgerfreundlichkeit setzt und eine umfangreiche Unterstützung bei der Arbeitssuche bietet.

Wichtige Aspekte sind die zweijährige Schutzzeit für Vermögen und Wohnungsgröße sowie eine Reform des Wohngelds. Zudem hebt die SPD die Erhöhung der Regelsätze hervor, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Auch Bündnis 90/Die Grünen unterstützen das Bürgergeld als Schritt zur Überwindung von Hartz IV. Sie betonen die Förderung von Weiterbildung und Qualifizierung, um nachhaltige Beschäftigung zu ermöglichen. Besonders wichtig ist ihnen die Einführung von Anreizen wie das Weiterbildungsgeld und der Bürgergeldbonus.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) befürwortet das Bürgergeld ebenfalls als sozialstaatliche Errungenschaft. Allerdings kritisiert es den hohen Anteil ausländischer Bezieher und fordert eine Einschränkung der Migration, um die Akzeptanz für diese Leistung zu erhalten.

Am meisten interessiert mich nun Ihre Meinung, liebe Leser!

Sind Sie Team Bürgergeld oder dagegen? Seien Sie gewiss: Ich lese immer all Ihre Kommentare – jeden einzelnen. Jede Woche.

In diesem Sinne: Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche Samstag wieder.

Ihre Nena Brockhaus