10.000 Euro pro Kilowattstunde Strom: Darum ist die Atomkraft ein Trugschluss

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Im Jahr 2023 wurde in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet. Ergibt es Sinn, es wieder in Betrieb zu nehmen oder sogar neue zu bauen? Ein Faktencheck.

Halle - Deutschland hat den Atomausstieg vollzogen. Zwölf von 27 EU-Mitgliedsstaaten hingegen betreiben weiterhin Kernkraftwerke. Frankreich gilt dabei seit Jahrzehnten als Spitzenreiter im Bereich Kernenergie. Es produzierte 48,4 Prozent des im Jahr 2022 in der EU erzeugten Atomenergie.

Auch in zwölf weiteren Ländern wird wieder mehr über Atomkraft geredet, oft unter dem Hinweis, damit Klimaziele einhalten zu können. Soll also auch Deutschland den Wiedereinstieg in die Atomkraft prüfen? Was ist dran an der Vorstellung, die alten Meiler müssten nur wieder angeworfen werden und die Energiekrise wäre beendet? Das haben Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie untersucht. 

Faktencheck: Atomenergie ist günstig

Die Kosten der Kernenergie fallen vor allem zu Beginn und am Ende eines Kernkraftwerkes an. Sie sind vor allem auf hohe Sicherheitsstandards zurückzuführen und haben einen erheblichen Einfluss auf den Energiepreis. Die Kosten, die sowohl den Bau als auch den Betrieb inklusive Wartung und Stillstandszeiten von Kernkraftwerken (ohne Endlager- und Stilllegungskosten) berücksichtigen, sind für Atomenergie in den letzten Jahren um etwa 47 Prozent gestiegen, meldet das Fraunhofer-Zentrum.

Für Solar- und Windenergie sind sie hingegen um 80 Prozent bzw. 60 Prozent gesunken. Bei einem durchschnittlichen Reaktorneubau in westlichen Industrieländern mit Kosten von rund 10 Mrd. US-Dollar und mit einer Leistung von etwa einem Gigawatt „kostet“ ein Kilowatt Atomstrom zunächst etwa 10.000 US-Dollar. Da die Betriebskosten gering sind, könne, bei Vernachlässigung der Anfangsinvestition, ungewisser Folgekosten und einer jahrzehntelangen Lebensdauer der Trugschluss entstehen, es handele sich um eine kostengünstige und sicher verfügbare Energiequelle, so die Wissenschaftler.

Faktencheck: Die Baukosten sind bei der Atomkraft gut kalkulierbar

„Bauvorhaben gestalten sich aktuell oft herausfordernd und dementsprechend teuer“, heißt es in der Studie. So wurde mit dem Bau des KKW Flamanville an der Nordküste Frankreichs bereits 2007 begonnen, die bis 2012 geplante Fertigstellung konnte erst deutlich erreicht werden. „Prognostizierte Kosten von 3,3 Milliarden Euro vervielfachten sich auf etwa 19 Milliarden Euro“, heißt es beim Fraunhofer-Zentrum.

Eine ähnliche Kostenexplosion zeigte sich nach Einschätzung der Forscher beim Atomkraftwerk Hinkley Point C in England, umgesetzt vom französischen Energiekonzern EDF. Begründet wird dies unter anderem mit Prüfvorgängen und der Erfüllung aller Auflagen. Kleine SMR-Konzepte (Small Modular Reactors) sorgen immer wieder für ein Aufflammen der Wiedereinstiegsdiskussion. Ursprünglich für die Energieerzeugung auf kleinstem Raum (U-Boote/Flugzeugträger) entwickelt, sind sie unterschiedlich aufgebaut.

Belgisches Atomkraftwerk Doel
Die EU-Kommission gibt nun grünes Licht unter anderem dafür, dass der belgische Staat sich an einem neu gegründeten Gemeinschaftsunternehmen zur Deckung der erforderlichen Investitionsausgaben zu 50 Prozent beteiligen darf. (Archivfoto) © Oliver Berg/dpa

Eine aktuelle Studie unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnete zu erwartende Stromgestehungskosten von 213 bis 581 US-Dollar pro MWh. Erneuerbare Energien (Wind, PV) liegen hier bei 31-121 Euro pro MWh. „Damit sind Mini-Kernkraftwerke eine deutlich teurere Alternative und erzeugen radioaktive Abfälle, bei einer verhältnismäßig geringen elektrischen Leistung“, heißt beim Fraunhofer-Zentrum.

Zahlreiche andere Länder planen mit Atomkraft

Auf einem ersten internationalen Atomenergie-Gipfel im 2024 in Brüssel gaben etwa 30 Teilnehmer-Staaten an, einen schnellen Ausbau im Bereich Kernkraft vorantreiben zu wollen, um ausreichend CO₂-Emissionen einsparen zu können. Die italienische und die polnische Regierung gaben damals an, über einen Ausbau nachzudenken. Neue Reaktor-Anlagen sind zudem in Schweden, den Niederlanden und Tschechien geplant. Die meisten Neubauten entstehen derzeit in Asien. China plant die Inbetriebnahme von 42 Atomreaktoren innerhalb der nächsten 15 Jahre. Auch Russland und Japan treiben Kernenergieprogamme voran.

Faktencheck: Endlager für AKWs sind nur ein sicherheitstechnisches Problem

Strahlende Abfälle von Kernkraftwerken lassen sich in schwach-, mittel- sowie hochradioaktiv unterscheiden. Nur für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ist bisher ein genehmigtes deutsches Endlager vorhanden (Salzgitter ab 2030). Aktuell werden Zwischenlager an früheren Kernkraftwerksstandorten genutzt. Dabei stellen Abfälle auch eine finanzielle Herausforderung dar, denn die auch Kosten bewegen sich im Milliarden-Bereich.

Faktencheck: Der Wiedereinstieg in die Atomenergie ist in Deutschland ohne weiteres möglich

Theoretisch könnten etwa acht deutsche Kernkraftwerke, deren Rückbau noch nicht zu weit fortgeschritten ist, reaktiviert werden. „Dies wäre mit einem erheblichem Kosten- und Zeitaufwand verbunden“, heißt es in der Untersuchung. Nach Gesetzesänderungen und umfangreichen, kostspieligen Sicherheitsprüfungen könnte die technische Inbetriebnahme recht unkompliziert durchgeführt werden, doch die Beschaffung neuer Brennelemente ist mit größeren Hürden verbunden. Sie dauert nach Einschätzung von Experten mindestens zwölf Monate bis zu zwei Jahre und wäre durch die politische Situation in Hinblick auf Russland zusätzlich erschwert.

Weitere Hindernisse stellen der Mangel an geeignetem Personal zum Betrieb von Kernkraftwerken sowie die fehlende Bereitschaft der bisherigen Betreiber dar. Eine Reaktivierung sowie der Neubau von Anlagen in Deutschland werden von diesen zumeist aus Kostengründen abgelehnt. Beispielsweise müssten für anfallenden Atommüll etwa 2,5 Milliarden Euro Deckungsvorsorge aufgebracht werden. „Insgesamt wären beachtliche kurzfristige Investitionen erforderlich“, ist die Schlussfolgerung des Fraunhofer-Zentrums.

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