Kampf um Kupjansk: Putins Soldaten mit Heimtücke gegen ukrainische Verteidiger

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Dem Gegner die Aufklärung erschweren: Ein alter ukrainischer Soldat hilft einer jungen Kameradin mit der Gesichtstarnung. Um unter den Schutz des Humanitären Völkerrechts zu fallen, müssen kämpfende Soldaten als solche klar erkennbar sein. Beispielsweise durch das offene Tragen einer Waffe und ein Hoheitszeichen an der Uniform. © Sergey Bobok / AFP

Den Russen wird in der Ukraine das nächste Kriegsverbrechen vorgeworfen. Sie sollen in ukrainisch anmutenden Uniformen einen Angriff geführt haben.

Kupiansk – „Wer nicht gesehen wird, kann nicht beschossen werden“, sagt Jan Czarnitzki. Der Hauptmann der Redaktion Nachgefragt. behandelt im aktuellen Podcast der Bundeswehr das Thema „Tarnen und Täuschen“ – ganz praktisch haben offenbar die Russen dieses Thema bei Kupjansk durchexerziert. Im Ukraine-Krieg sollen die Invasionstruppen Wladimir Putins ihren Angriff auf die Stadt vorgetragen haben in Uniformen, die denen des Gegners zum Verwechseln ähneln. Die Ukraine sieht darin ein Kriegsverbrechen.

Laut Newsweek erklärte Kiew, russische Soldaten in ukrainischen Uniformen hätten an der Front in der Nordukraine darum gekämpft, in die Stadt Kupjansk einzudringen. „Russische Soldaten trugen Uniformen, die denen der ukrainischen Streitkräfte ähnelten. Dies verstößt gegen die Gesetze und Regeln der Kriegsführung und stellt ein Kriegsverbrechen dar“, sagte Andrii Kovaliov gegenüber der Nachrichtenagentur Ukrinform. Laut dem Hauptmann und Sprecher des ukrainischen Militärs sei der Angriff in vier Wellen erfolgt und von den ukrainischen Verteidigern erfolgreich abgewehrt worden.

Lehre aus dem Ukraine-Krieg: Tarnen und Täuschen wieder Generaltugenden einer modernen Armee

Der Vorfall ähnelt einer Veröffentlichung aus dem Mai des Vorjahres; in Saporischschja sollen sich fliehende russische Soldaten als Zivilisten verkleidet haben, um lebend aus den Gefechten herauszukommen. Und auch den jetzt in die Kämpfe eingetretenen nordkoreanischen Soldaten war unterstellt worden, dass sie in russische Uniformen gesteckt und mit russischen Papieren ausgestattet worden seien, um deren Herkunft zu verschleiern. Tatsächlich berührt diese Praxis das humanitäre Völkerrecht und die Regeln des Krieges – die sind erlassen worden, um sowohl Militärangehörigen als auch Zivilisten den größtmöglichen Schutz anzudienen.

„Das Ziel des humanitären Völkerrechts ist es, Leid im Krieg zu verringern. Das gilt einerseits unter den Angehörigen der Streitkräfte, den sogenannten Kombattanten. Sie dürfen zwar getötet werden, selbst aber auch töten und verletzen, und im Falle der Gefangennahme nicht für die bloße Teilnahme am Krieg bestraft werden, sondern sind als Kriegsgefangene privilegiert zu behandeln. Andererseits gilt die Maxime der Vermeidung von Leid vor allem auch gegenüber der Zivilbevölkerung.“

„Das Ziel des humanitären Völkerrechts ist es, Leid im Krieg zu verringern. Das gilt einerseits unter den Angehörigen der Streitkräfte, den sogenannten Kombattanten. Sie dürfen zwar getötet werden, selbst aber auch töten und verletzen, und im Falle der Gefangennahme nicht für die bloße Teilnahme am Krieg bestraft werden, sondern sind als Kriegsgefangene privilegiert zu behandeln. Andererseits gilt die Maxime der Vermeidung von Leid vor allem auch gegenüber der Zivilbevölkerung“, schreibt beispielsweise Christoph Safferling. Der deutsche Straf- und Völkerrechtler hat für das Magazin Legal Tribune Online klargestellt, dass ein sauberer Krieg eine Illusion sei.

Tarnen und Täuschen seien wieder zu den Generaltugenden einer modernen Armee zu zählen, erklärte demgegenüber beispielsweise Oberstleutnant Martin Winkler, Leiter des Sachgebietes „Auswertung“ im Kommando Heer, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Bei den Einsätzen in Afghanistan oder Mali waren Armeen im Gegenteil darum bemüht, wie Winkler sagte, „offen Präsenz zu zeigen und zu stabilisieren“. Das könnte in kommenden militärischen Konflikten überholt sein, das Gefechtsfeld wird gläsern werden und falsche Spuren um so wichtiger.

Russlands Pflicht: Aktive Kriegsteilnehmer müssen die Farben ihrer Kriegspartei offen zeigen

„Jeder Soldat ist für seine Tarnung erstmal selbst verantwortlich“, sagt auch Jan Halama im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt.. Der Leiter des Technologiestützpunktes Tarnen und Täuschen weist darauf hin, dass von der möglichst perfekten Tarnung des Einzelnen die Überlebensfähigkeit des gesamten Kampfverbands abhängen kann – für das Tarnen gelten die Mittel der natürlichen Vegetation als die probaten Mittel – allerdings werden künftig auch hier Wärmebildgeräte zusätzliche technische Lösungen verlangen.

„Selbst ein gut getarnter Soldat leuchtet durch ein Wärmebildgerät wie ein Weihnachtsbaum“, schreibt das österreichische Outdoor-Magazin Spartanat. Deshalb gehörten derartige Technologien zu den größten Gefahren für die Männer am Boden – allerdings genauso für gepanzerte Fahrzeuge: Auch ein in Stellung gegangenes Gefechtsfahrzeug wird künftig durch seine Wärmebildsignatur zu einem gefährdeten Objekt.

Das Täuschen wiederum geht über das Tarnen hinaus und könnte gegen die Richtlinien des humanitären Völkerrechts verstoßen – die Regeln des Krieges sind festgehalten in der Genfer Konventionen und sollen selbst Soldaten ein Mindestmaß an Planbarkeit der Auswirkungen ihres Handelns ermöglichen: Grundsätzlich verpflichtet die Genfer Konvention aktive Kriegsteilnehmer dazu, die Farben ihrer Kriegspartei offen zu zeigen sowie die Waffe offen zu tragen. Insofern seien sie davor gefeit, für Kriegsverbrechen angeklagt oder als Kriegsgefangene menschenunwürdig behandelt zu werden.

Russlands Kriegsverbrechen: Selenskyj erinnert an die moralische Überlegenheit der Ukraine

Wem die Befugnis als Kombattant fehle, dürfe sich an den Kampfhandlungen nicht aktiv beteiligen, schreibt das Völkerrecht vor. Der Kombattant dürfe den Feind auch in die Irre führen und ihn zu unvorsichtigen Handlungen verleiten – allerdings nur begrenzt, wie die Zusatzprotokolle zur Genfer Konvention von 1949 in seinem Artikel 37 als „Verbot der Heimtücke“ klarstellt: Kriegslisten seien insofern erlaubt, solange sie „aber keine Regel des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts verletzen und nicht heimtückisch sind, weil sie den Gegner nicht verleiten sollen, auf den sich aus diesem Recht ergebenden Schutz zu vertrauen. Folgende Handlungen sind Beispiele für Kriegslisten: Tarnung, Scheinstellungen, Scheinoperationen und irreführende Informationen“.

Kovaliov könnte insofern Recht behalten, wenn die ukrainischen Soldaten sich ob der vermeintlichen Kameraden in Sicherheit wähnten und insofern heimtückisch bekämpft worden waren. Letztendlich aber wird wohl zum Wesen eines Krieges gehören, dass sich jede Kriegspartei nach den gegebenen Möglichkeiten einen Vorteil zu verschaffen sucht. Im Zusammenhang mit der vermeintlich völkerrechtswidrigen Kriegslist hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, laut Newsweek, öffentlich an die moralische Überlegenheit der Ukraine erinnert.

„Ich bin stolz auf alle unsere Leute und jede Einheit, die ihre Positionen hält und der Ukraine die Möglichkeit gibt, die Welt von einer grundlegenden Wahrheit zu überzeugen: Die Menschlichkeit muss siegen. Dafür kämpft die Ukraine“, hat Selenskyj auf X gepostet. Tatsächlich kann speziell gegen den russischen Diktator Wladimir Putin nach dem Krieg juristisch vorgegangen werden. Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen – wegen der Deportation ukrainischer Kinder, der Deutschlandfunk hatte Ende vergangenen Jahres darüber berichtet.

Realität im Ukraine-Krieg: Je höher der Ausbildungsgrad, desto größer das Wissen um das Völkerrecht

Ein dauerhafter Frieden sei nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung zögen, hatte Selenskyj in dem Zusammenhang betont. Der russische Machthaber ist demnach auch verantwortlich für jedwedes Handeln jedes seiner Soldaten; die wiederum könnten ebenfalls einzeln als Kriegsverbrecher angeklagt werden. Der Ukraine-Krieg hat diverse völkerrechtswidrige Handlungen durch russisches Militär gegen die ukrainische Zivilbevölkerung hervorgebracht.

Problematisch in diesem Zusammenhang ist der jeweils moralische Grad der einzelnen Kämpfer; Russlands Menschenbild ist dem wiederum wenig zuträglich: Lernt der Soldat, dass sein eigenes Leben im eigenen Verband keinen Wert hat, wird er gegenüber der Gegenseite wenig Pardon kennen oder gewähren. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines russischen Frontsoldaten in der Ostukraine betrage vier Stunden, hatte im vergangenen Jahr das Magazin Business Insider veröffentlicht: Gemeint waren die „Fleischwolf“-Angriffe Russlands um die Stadt Bachmut in der Ostukraine sowie an anderen Frontabschnitten. Auch weniger opferreiche Gefechte fordern allerdings einen Tribut von bis zu 70 gefallenen ukrainischen Soldaten pro Tag.

Zu viele, um die Soldaten darauf vorzubereiten, was sie an der Front erwartet, was wiederum deren Souveränität und letztendlich deren Verhalten begründet. „Viele Regeln des humanitären Völkerrechts werden in vielen Kriegen eingehalten“, sagte Astrid Reisinger Coracini gegenüber dem österreichischen Sender ORF. Dabei gelte der Völkerrechtsexpertin zufolge grundsätzlich: „Je höher der Ausbildungsgrad der kämpfenden Truppe, desto größer das Wissen um das humanitäre Völkerrecht. Die Regeln bekannt zu machen, ist Aufgabe des Staates und erfolgt vor allem im Rahmen der militärischen Ausbildung.“

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