Großes Potenzial - viele Probleme: Wie Schulen mit Smartphones umgehen

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In Deutschland wird über ein Handyverbot an Schulen diskutiert. Schulleiter aus Hessen erklären, welches Potenzial die Nutzung von Smartphones im Unterricht bietet – und welche Gefahren sie mit sich bringt.

Fulda – Sie sollen die Konzentration stören, sozialen Kontakt reduzieren und vom Lernen ablenken – an Schulen in Frankreich und Italien sind Handys deswegen schon länger verboten. Die Niederlande und Großbritannien ziehen nun mit ähnlichen Vorhaben nach. Und auch in Deutschland wird wieder diskutiert, ob Schulen handyfreie Zonen sein sollen.

Handyverbot an Schulen? So positionieren sich Schulleiter

Bundesweit sind sich Experten über den Sinn von Handyverboten an Schulen uneinig. David Martin, Experte für Bildschirmmedien bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, sprach sich kürzlich dafür aus: „Es wäre eindeutig besser für die Gesundheit, die Konzentrations- und Lernfähigkeit der Kinder und vor allem für deren Sozialisation, wenn Schulen Handyverbote aussprechen.“ Das Deutsche Kinderhilfswerk hingegen forderte, dass Schulen Kinder vielmehr dabei unterstützen sollten, sich mit den Nutzungsmöglichkeiten des Handys auseinanderzusetzen.

Schulangelegenheiten sind Ländersache. In Hessen sieht man von einer zentralen Regelung ab. Das Kultusministerium in Wiesbaden gibt den Schulen kein allgemein gültiges Handyverbot vor. Stattdessen sei ein „sorgsamer und kluger Umgang“ mit den Geräten gefragt, teilt ein Sprecher mit. Das Ministerium gebe den Schulen daher lediglich Empfehlungen. „Wie diese jeweils zur Anwendung kommen, entscheiden die Schulen vor Ort je nach ihrem Bedarf. Das klappt gut“, sagt der Sprecher.

Dürfen Handys an Schulen verboten werden?

In deutschen Schulen darf die Mitnahme eines Handys nicht verboten werden. Schulen können aber die Nutzung im Unterricht und in der Pause einschränken.

Lehrkräfte dürfen Schülerinnen und Schülern das Handy abnehmen, wenn es sich dabei um eine pädagogische Erziehungsmaßnahme handelt. Dabei gilt: Der Entzug muss erforderlich und angemessen sein, etwa wenn das Handy klar den Unterricht stört. Das Handy darf nur vorübergehend einbehalten werden, maximal bis zum Ende des Unterrichtstages.

In Grundschulen sollen Handys den Empfehlungen des Kultusministeriums zufolge grundsätzlich ausgeschaltet bleiben. Dieser Ansatz wird auch an der Bergwinkel-Grundschule in Schlüchtern im Kinzigtal verfolgt, wie die Medienkonzeptbeauftragte Carina Lingelbach erklärt. Sie beobachtet, dass die Grundschüler immer früher Handys bekommen – obwohl sie damit „massiv überfordert“ seien.

„Es kommt immer wieder zu emotional-sozialen Problemen, da die Kinder in ihrer Freizeit ohne jegliche Kontrolle durch die Eltern Dienste wie WhatsApp oder soziale Plattformen nutzen“, schildert die Grundschullehrerin aus dem Main-Kinzig-Kreis. Etwa ein Drittel ihrer Schüler könne ohne eine direkte und permanente Verstärkung von außen, zum Beispiel Lob, nicht mehr selbstständig arbeiten. Sie seien es von Handyspielen gewohnt, dass das Belohnungszentrum im Gehirn bei jeder Aktion bedient wird – etwa durch ein motivierendes Geräusch oder ein Sternchen. „Diese Kinder sind nicht mehr dazu in der Lage, ohne 1-zu-1-Betreuung die schulischen Anforderungen zu bewältigen“, sagt Lingelbach.

Schulen im Wandel

Wie stark sich der Unterricht an Schulen in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, ist insbesondere bei einer tollen Aktion im Hünfelder Land aufgefallen. Eine 100-Jährige hat im Winter für einen Tag eine Grundschule besucht - und dabei auf ihren Schul-Alltag zurückgeblickt.

An der Adolf-von-Dalberg-Schule in Fulda sind Handys und Smartwatches ebenfalls verboten. Rektor Klaus Niesel hält es für besonders problematisch, wenn Kinder Handys uneingeschränkt nutzen dürfen: „Konsequenzen daraus sind weniger Bewegung an der frischen Luft, mangelnde Sozialkontakte oder Gefahren des Internets und sozialer Netzwerke.“ Die Nutzung von Internetseiten, Spielen oder Apps, die nicht altersgemäß sind, könne die Persönlichkeit eines Kindes verändern, warnt der Pädagoge. Die Folgen reichten von innerer Unruhe, Nervosität, Impulskontrollstörungen bis hin zu aggressivem Verhalten.

Ein großer Schritt in Sachen Digitalisierung an Schulen wurde unlängst im Main-Kinzig-Kreis gemacht: Der Landkreis hat die Lernplattform „SpaceHub“ eröffnet, die hybrides Lernen in einer virtuellen Arbeitsumgebung möglich machen soll. 

Manche Schulen setzen Handys im Unterricht ein – doch es gibt Probleme

Bei älteren Schülerinnen und Schülern empfiehlt das hessische Kultusministerium einen offeneren Umgang mit Mobiltelefonen: Lehrkräfte könnten Handys in den Unterricht einbeziehen, etwa zu Recherchezwecken. So wird es auch mehrheitlich an den Haupt- und Realschulen sowie den Gymnasien im Kreis Fulda umgesetzt.

Annette Albrecht, Leiterin der Winfriedschule in Fulda, empfindet den Einsatz von Handys als bereichernd. „Das Störpotenzial der Geräte spielt im Unterricht an der Winfriedschule keine bedeutende Rolle.“ Vielmehr solle ihr Potenzial erkannt und ausgeschöpft werden. In den Pausen allerdings sind Handys auch an der Winfriedschule tabu – mit Ausnahme der Oberstufenschüler. „Beobachtbar ist jedoch, dass sich viele dieser älteren Schülerinnen und Schüler dem bewussten Verzicht angeschlossen haben“, sagt Albrecht.

In Deutschland wird wieder diskutiert, ob Schulen handyfreie Zonen sein sollen. (Symbolfoto)
In Deutschland wird wieder diskutiert, ob Schulen handyfreie Zonen sein sollen. (Symbolfoto) © Jens Kalaene/dpa

An der Freiherr-vom-Stein-Schule in Fulda dürfen Oberstufenschüler ihre Handys außerhalb des Unterrichts benutzen. Gelegentlich würden Handys auch in den Unterricht einbezogen, zum Beispiel für physikalische Versuche oder Kurzumfragen, sagt Schulleiter Dr. Ulf Brüdigam. Solche Ausnahmen würden jedoch häufig missbraucht – etwa zum Chatten, Spielen oder um Bild- und Tonaufnahmen zu machen. „Letzteres ist besonders problematisch, weil damit nicht nur gegen die Schulordnung verstoßen wird, sondern auch gegen Persönlichkeitsrechte anderer“, merkt Brüdigam an.

„Die schlechteste aller Varianten“: Experte rät von Privat-Handys im Unterricht ab

Wegen Datenschutzproblemen und sozialer Benachteiligung hält auch Thilo Hartmann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen, die Nutzung privater Handys im Unterricht für „die schlechteste aller denkbaren Varianten“. Er fordert: Wenn systematisch mit digitalen Medien gearbeitet werden soll, müssten diese von den Schulen zur Verfügung gestellt werden.

Doch mobile Geräte wie Tablets sind laut hessischem Schulgesetz von der Lernmittelfreiheit ausgenommen, werden also nicht vom Land bezahlt. Hartmann stellt klar: „Ein pädagogisch sinnvoller Einsatz von digitalen Medien im Unterricht erfordert Investitionen. Wenn es an diesen mangelt, lässt sich das nicht durch den Einsatz von privaten Handys kompensieren.“

So sieht es auch der hessische Landesschülersprecher Gaston Liepach: „Wir leben in einer Zeit, in der Handys integraler Bestandteil der Leben junger Menschen sind. Da kann man nicht so tun, als ob es die Dinge nicht gäbe.“ Er fordert, dass Land und Kommunen Mobilgeräte für den Unterricht bereitstellen sollen, um soziale Benachteiligung zu verhindern. Außerdem solle sich die schulische Medienbildung an der Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler orientieren, sagt der Schülersprecher: „Allein die Aufklärung rund um Fake-News kann nicht mit Stift und Papier erarbeitet werden. Dafür braucht es echte Beispiele.“ (Von Sophie Brosch)

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