FOCUS-online-Reportage aus Bad Sachsa - 500 Flüchtlinge, 60 Nationen, 0 AfD – in dieser Vorzeige-Stadt kippt die Stimmung

Eigentlich könnte Bad Sachsa ein Vorbild für andere sein, findet Daniel Quade. Der Bürgermeister der Kleinstadt im Landkreis Göttingen mit rund 7500 Einwohnern sieht in seiner Kommune ein gutes Zusammenleben. Auch eine Touristen-Hochburg kann Flüchtlinge integrieren, findet er: „Wir hatten keinerlei negative Vorfälle mit der aktuellen Situation“. Und doch brodelt es im Ort: Statt gelobt werde seine Kommune nun überstrapaziert, beklagt Quade (FDP) – und will zur Not rechtlich gegen die Landesaufnahmebehörde (LAB) vorgehen.

Zusätzlich zu rund 300 Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Ländern sind in einer Notunterkunft bereits rund 200 Asylbewerber untergebracht; in einer alten Kurklinik. Für die Kernstadt liege der Flüchtlingsanteil damit bei rund zehn Prozent, rechnet Quade vor – ohne auf die rund 60 Nationalitäten einzugehen, die in Bad Sachsa ohnehin schon gut zusammenleben.

Zoff um Flüchtlingsheim eskaliert: „200 sind vom Gefühl her erträglich“

Doch nun will die LAB die Notunterkunft ausbauen und eine Landeserstaufnahmeeinrichtung daraus machen – mit Platz für bis zu 400 Asylsuchende. Das sind zu viele, sagen Anwohner und Verwaltungschef.

Die alte AOK-Klinik liegt mitten in einem Wohngebiet an einem Hang. Das Zentrum ist fußläufig erreichbar, ebenso Wälder und Parks. „200 sind vom Gefühl her erträglich“, sagt ein Anwohner, dessen Haus direkt an die Klinik grenzt. Freundlich begrüßt er seine neuen Nachbarn und führt kurze Gespräche, soweit die Sprachbarriere es zulässt: „Die Menschen sind so freundlich, wie man ihnen begegnet.“

Er komme mit den Flüchtlingen gut zurecht. Der Lärm durch spielende Kinder sei zwar nicht angenehm, aber ertragbar. Der mutmaßliche Wertverlust der Immobilie bedauerlich, aber kein Grund, auf die Barrikaden zu gehen. Nur: „Ich möchte nicht doppelt so viele Menschen hier haben.“

Anwohner bereiten bereits Klage vor

Für die LAB spielen die Bedenken offenbar eine untergeordnete Rolle. „Die Unterbringung soll lokal angepasst sein und sozialverträglich gestaltet werden“, teilt die Behörde auf Anfrage von FOCUS online lapidar mit. Doch 400 Menschen sei aus wirtschaftlichen Gründen die Mindestzahl für eine Erstaufnahmeeinrichtung: „Die Größe der Unterkunft in Bad Sachsa wurde aufgrund der örtlichen Gegebenheiten abgewogen.“ Wie das mit der Kritik der Verwaltung und Bewohnern zusammenpasst, lässt sie offen.

Anwohner bereiten bereits eine Klage vor, auch die Stadtverwaltung will rechtliche Schritte einleiten. Ein älteres Paar sei bereits weggezogen, erzählt eine Nachbarin. „Das war nervlich nicht mehr auszuhalten“, sagt sie.

Das Problem seien jedoch weniger die Bewohner der Unterkunft gewesen als vielmehr die Scheinwerfer, die in das Haus strahlten und das Sicherheitspersonal, das sich bei den Rundgängen nachts zu laut unterhalten habe. „Von den Flüchtlingen kriegen wir wenig mit“, sagt sie. Doch 400 seien zu viel für so einen kleinen Ort.

LAB und Immobilieneigentümer schaffen Fakten, Stadt bleibt außen vor

Kritik richtet sich hier auch an Bürgermeister Quade. „Er nimmt uns nicht mit“, sagt die Anwohnerin und wünscht einen besseren Informationsfluss. Doch den wünscht sich der Verwaltungschef ebenso. „Wir waren in die Verhandlungen nie involviert“, sagt er. Die Fakten seien zwischen dem Eigentümer der Immobilie und der LAB geschaffen worden. „Wir waren am Ende außen vor und wurden nur verzögert über den Stand der Dinge informiert“, sagt auch Bauamtsleiter Gerhard Grundei.

Besonders stört sich der Verwaltungsmitarbeiter an der Begründung für das Bauvorhaben. Die LAB nutze dafür Paragraf 246 des Baugesetzbuches, das den Bau von Flüchtlingsunterkünften vereinfacht. Das sei eine Art Nothilfeparagraf, sagt Grundei. Denn er soll nur für dringend benötigte Unterkünfte gelten. „Es kann keine vorgeschobene Notwendigkeit geben“, sagt Bürgermeister Quade.

Zwar stünden der LAB weniger Plätze zur Verfügung als noch zu Jahresbeginn, doch sei die Belegung der bestehenden Unterkünfte noch stärker zurückgegangen. Deshalb erwägt auch die Stadt eine Klage, sollte der Widerspruch erfolglos sein.