Bürgergeld oder neue Grundsicherung: In den Verhandlungen geht es um das Ende eines SPD-Lieblings
Union und SPD verhandeln über eine Große Koalition. Dabei wird es auch ums Bürgergeld gehen. Was sind dabei die größten Konfliktherde?
Berlin – Union und SPD sprechen derzeit über die Bildung einer Koalition, die man früher „Große Koalition“ genannt hätte. Neben der zentralen Frage der Finanzierung der sicherheitspolitischen „Zeitenwende“ könnte auch eine sozialpolitische Wende folgen: Das Bürgergeld – ursprünglich ein SPD-Vorhaben hin zu „Respekt und gerechter Teilhabe“ – könnte der „Neuen Grundsicherung“ weichen. Doch bei der Frage nach einer Reform zeichnen sich mehrere Streitpunkte zwischen den möglichen Regierungsparteien ab.
Bürgergeld oder neue Grundsicherung: CDU, CSU und SPD ringen um den Sozialstaat
Für die SPD sollte das Bürgergeld eine Abkehr vom innerparteilich umstrittenen Hartz IV bedeuten. Im Umgang mit Arbeitslosen sollten Qualifizierung und Weiterbildung im Vordergrund stehen, um sie wieder in Arbeit zu bringen – nicht mehr die Härte über Sanktionen.
Für die Union ist dagegen bereits der Name Bürgergeld ein Problem. Immer wieder betonen Parteispitzen, wie etwa zuletzt Kanzlerkandidat Friedrich Merz, dass er zu sehr an ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ erinnere. Ein Entgegenkommen der SPD beim Namen könnte Beobachtern zufolge ein Eingeständnis sein, dass die Sozialdemokraten kein Gespür dafür hatten, wie der Begriff wirken würde.
Sanktionen könnten Streitpunkt mit Union werden – doch auch die SPD will härtere Bürgergeld-Regeln
In den Sondierungen von Union und SPD dürften jedoch andere Aspekte der Grundsicherung eine bedeutendere Rolle spielen. Zentral ist dabei etwa die Frage der Sanktionen. Die Ampel-Koalition hatte sie unter Führung der SPD reduziert – auch als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Kürzungen über 30 Prozent als unvereinbar mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimums sind.
2024 hatte die Ampel-Koalition jedoch härtere Sanktionen geplant – und teilweise auch umgesetzt. Seit Frühjahr besteht etwa die Option, das Bürgergeld für zwei Monate vollständig zu streichen, wenn die Betroffenen zwei Jobangebote innerhalb eines Jahres ablehnen. Bisher haben weder Arbeitsministerium noch Bundesagentur für Arbeit Zahlen zur Umsetzung. Im Rahmen der sogenannten Wachstumsinitiative sollten weitere Sanktionen folgen.
Friedrich Merz will „Totalverweigerern“ die Grundsicherung streichen
Friedrich Merz und die Union fordern härtere Sanktionen. Sogenannte „Totalverweigerer“ sollen kein Bürgergeld mehr erhalten. Wer mehrfach Termine im Jobcenter verpasst, soll ebenfalls nichts bekommen. Rechtliche Hürde könnte dabei das menschenwürdige Existenzminimum sein – und eben das Urteil des Verfassungsgerichts.
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Innerhalb der SPD sind härtere Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger umstritten. „Wenn ich jemanden mit Sanktionen zwinge, einen Job zu machen, der nicht zu ihm passt oder zu ihr, dann stehen die da in drei Monaten wieder beim Jobcenter auf der Matte“, sagte etwa die bayerische SPD-Politikerin Seija Knorr-Köning dem BR. Andererseits gab es besagte Ampel-Pläne mit härteren Regeln für Bürgergeld-Empfänger.
Höhe des Bürgergelds soll nicht angetastet werden – doch Merz will Arbeitsfähige in die Pflicht nehmen
Zudem hat sich auch Olaf Scholz im Kanzlerduell mit Friedrich Merz für „harte Sanktionen“ für Menschen ausgesprochen, die Jobangebote ablehnen. Diesen „Totalverweigerern“ sollten laut Scholz „öffentlich geförderte Jobs“ angeboten werden. Wer sich weigert, muss dabei mit Sanktionen rechnen. Damit näherte sich der noch amtierende Kanzler sogar der Arbeitspflicht-Forderung einiger Unionsspitzen, wie etwa CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, an.
Die Höhe des Regelsatzes der Grundsicherung an sich soll laut beiden Wahlprogrammen unangetastet bleiben. Derzeit liegt sie bei 563 Euro im Monat für Alleinstehende. Auch hier greift die Grenze des Existenzminimums, das nicht unterschritten werden darf. Jedoch hatte Merz angekündigt, 1,8 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfängern die Leistung „deutlich zu senken“, die nicht arbeiten. Über die konkrete Umsetzung hielt sich der CDU-Chef bedeckt.
Union hofft auf Einsparungen bei der neuen Grundsicherung – doch es gibt Hürden
Die Union hat zudem die Hoffnung, durch ihre Reformen bei der Grundsicherung „zweistellige Milliardenbeträge“ einzusparen. Angesichts der geringen Zahl der „Totalverweigerer“, die kein Bürgergeld mehr erhalten sollen, sowie der Lage auf dem Arbeitsmarkt, ist das aber fraglich.
Zudem gilt: Das Bürgergeld kann nicht einfach eingespart werden. Es ist eine Pflichtleistung, um das Existenzminimum der Hilfebedürftigen zu sichern. Wer die Kriterien erfüllt, um Anspruch zu haben, erhält auch das Geld. Wenn die Anzahl der Berechtigten zunimmt, etwa wegen Stellenstreichungen angesichts der schwachen Wirtschaft, muss der Bund den Betroffenen die Grundsicherung auszahlen. Das gilt auch für die Erstattung der Miete und Heizkosten.
Kürzungen rund um das Bürgergeld: Spart die Groko bei den Jobcentern?
Der Bund kann dagegen entscheiden, bei den Ausgaben für die Verwaltung der Jobcenter und den Eingliederungsleistungen in Arbeit zu sparen. Im Haushaltsentwurf für 2025 waren tatsächlich Kürzungen bei der Eingliederung in Arbeit vorgesehen. Dabei gibt es jedoch Warnungen, dass die Jobcenter dadurch zu „passiven Zahlstellen“ degradiert würden. Tatsächlich finden einige Instrumente, etwa die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, bereits weniger Anwendung.
Zuletzt hatten jedoch die SPD-Spitzen Kompromissbereitschaft bei der Grundsicherung signalisiert. „Wir haben bei manchen Themen vielleicht auch den Eindruck entstehen lassen, dass es uns zu sehr um das Bürgergeld geht und zu wenig darum geht, dass hart arbeitende Menschen gesehen werden“, sagte Parteichef Lars Klingbeil im NDR.