Wie viel Wohnraum, wie viel Gewerbe? Neuer Kemptener Flächennutzungsplan entsteht – nicht ohne Diskussion
Seit einiger Zeit arbeitet die Stadt Kempten an einer Neuaufstellung des Flächennutzungsplans und des integrierten Landschaftsplans. Jüngst diskutierten auch die Mitglieder des Planungs- und Bauausschusses darüber.
Kempten – Der derzeit gültige Flächennutzungsplan (FNP) wurde 2009 aufgestellt und ist nicht mehr aktuell. Seit 2009 wurden 21 Teilflächen geändert und einer neuen Nutzung zugeführt. Und die 2009 neu ausgewiesenen Siedlungsflächen sind inzwischen weitestgehend überplant und bebaut.
Der neue Kemptener Flächennutzungsplan und seine Ziele
Ziel des FNP ist die Steuerung der Siedlungsentwicklung und Stärkung von Naturschutz, Landschaftsbild und Klimaschutz. Grundlage für die Erstellung waren unter anderem die Bevölkerungsprognose 2040, der Schulentwicklungsplan, die Gewerbeflächenbedarfsprognose 2035 und das Mobilitäts- und Innenstadtentwicklungskonzept. Im FNP werden Wohnbau- und Gewerbeflächen, gemischte Bauflächen, Sonderbauflächen, Flächen für den Gemeinbedarf und Verkehrsflächen aufgeführt.
Darstellungen im FNP schaffen kein Baurecht, binden die Stadt aber bei städtebaulichen Entwicklungen. So dürfen zum Beispiel keine Wohnhäuser auf einer Fläche gebaut werden, die im FNP als Gewerbegebiet ausgewiesen ist. Die Öffentlichkeit wurde im Vorfeld beteiligt und deren Anregungen und Hinweise bei der FNP-Änderung aufgenommen.
Ein Flächennutzungsplan zeigt, wie eine Stadt sich entwickeln könnte
Baureferent Tim Koemstedt wies in der jüngsten Sitzung des Bauausschusses darauf hin, dass die Erstellung des Vorentwurfs ein aufwändiger Planungsprozess war. Die Begründung umfasse alleine 300 Seiten. „Der FNP enthält keinerlei Rechtsanspruch. Es soll gezeigt werden, wie die Stadt sich entwickeln könnte. Wenn es notwendig wird, müssen dann die Bebauungspläne entwickelt werden. Der Stadtrat kann jedoch jederzeit Änderungen vornehmen.“
Integrierter Landschaftsplan
Der integrierte Landschaftsplan richtet sein besonderes Augenmerk auf den Schutz bestehender Flächen sowie die Anpassung an den Klimawandel. Aus der Bestandsaufnahme und -bewertung ergeben sich u.a. folgende übergeordnete Ziele: Bestehende Lebensräume von Flora und Fauna effektiv schützen und neue Lebensräume entwickeln, Verbesserung der Grünflächenversorgung und Sicherung wichtiger Erholungsanlagen, Schutz klimatisch bedeutender Flächen und Verbesserung der klimatischen Situation in belasteten Bereichen, die Abmilderung der Überflutungen in Folge von Starkregen, Renaturierung von Mooren, Entwicklung neuer Waldflächen, innerstädtische Durchgrünung sichern und entwickeln, Erhalt der lokalen Landwirtschaft bei gleichzeitiger Steigerung der Biodiversität.
Änderungen und Streitpunkte
Insgesamt werden ca. 60,6 Hektar im Außenbereich neu ausgewiesen. Die restlichen 48,0 Hektar der Flächen entfallen auf die Umwidmung bereits bestehender Siedlungsflächen, die größtenteils bereits bebaut sind. Durch die Neuausweisungen werden gegenüber dem derzeit gültigen FNP insgesamt ca. 41,1 Hektar landwirtschaftlich genutzte Flächen in potenzielle Siedlungsflächen umgewandelt. Davon entfallen auf Gewerbe 33,6 Hektar und somit mehr als doppelt so viel wie auf Wohnungsbau mit 14,8 Hektar..
Über die künftige Nutzung der Fläche westlich der Firma Edelweiß und südlich Heussring als Gewerbefläche gab es eine angeregte Diskussion. Andreas Kibler (FW) sieht Gewerbe dort als kritisch an, „das Areal ist viel zu wertvoll, als dass man es als reines Gewerbegebiet verwendet. Ich wünsche mir ein Mischgebiet, damit dort auch Wohnen möglich ist.“
Laut Erwin Hagenmaier (CSU) hat die Stadt kein Problem mit Wohngebieten, aber mit Gewerbeflächen, „da haben wir nichts, wir sind blank. Das letzte Gewebegebiet war Saurer Allma, das haben wir umgewidmet.“ (Anm. der Red.: Parkstadt Engelhalde). Hagenmaier gab zu bedenken, dass Wohnen Abstandsflächen und Grünflächen erfordert, dann bleibe von den 16,5 Hektar nicht viel übrig. „Jedes Wohnen zieht einen Rattenschwanz nach sich, Schulen, Kitas usw. Wir haben zu wenig Gewerbeflächen“, sagte er.
Hans-Peter Hartmann (FW-ÜP) sprach sich für eine Mischung aus: „Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Bei Gewerbeflächen haben wir massive Probleme. Es tut mir weh, wenn wir westlich Edelweiß ein Gewebegebiet machen, ein Mischgebiet wäre mir sympathischer.“ Für Alexander Buck (FW-ÜP) ist der Bedarf an Gewerbegebieten unbestritten. „Ich sehe aber dort kein Gewerbe, sondern Wohnen.“
Laut Hagenmaier wäre das Gelände links und rechts zwischen den Anschlussstellen Leubas und Kempten ideal für Gewerbe, „aber da sind Kühe, die Grundstücke sind in privater Hand. Das Gelände westlich Edelweiß gehört der Stadt. Politik ist immer die Kunst des Machbaren“.
Für Franziska Maurer (Grüne) sind die neuen Wohngebiete im Bereich Hirschdorf-Nord und Hinterbach zu groß und an der falschen Stelle lokalisiert, da nicht stadtnah und für Geschossbau mit günstigen Wohnungen ungeeignet. Parteikollege Theo Dodel-Hefele stimmte den Aussagen von Hagenmaier und Maurer zu. Er sieht das „riesengroße Problem“, dass kaum Gewerbeflächen vorhanden sind. Hinsichtlich Hirschdorf und Hinterbach sprach er von „amerikanischen Verhältnissen mit Einzelhäusern und zwei Autos vor der Tür. Er sprach von einem „Krebsgeschwür“.
Wegen der sich ändernden Wohnansprüche der Babyboomer brauche man neue Rezepte. Aufgrund des Autobahnlärms hinterfragte er die Wohngebiete in Lenzfried-Ost: „Die geplante Querspange vom Bühl nach Lenzfried halte ich für nicht notwendig, nicht zeitgemäß.“
Soll die Stadt ständig weiterwachsen?
Tobias Hiepp (CSU) stimmte Dodel-Hefele zu. „Das Konzept einer ständig wachsenden Stadt stelle ich in Frage. Außerdem ist der Entwurf des Flächennutzungsplans sehr moderat, das Thema ist für mich aber noch nicht ausdiskutiert.“ Laut Koemstedt benötige man durch konsequente Nachverdichtung von Wohnungen im Innenbereich weniger Flächen im Außenbereich und „außerdem ist der demographische Wandel wohl eingeflossen“.
Laut Oberbürgermeister Thomas Kiechle habe man in den letzten Jahren hohe Anstrengungen unternommen, was Flächenausweitungen anbelangt. „Die jetzt eingeplanten neuen Flächen sind 0,7 Prozent der Gesamtfläche von Kempten.“ Das schnelle Wachsen sei nicht Ziel der Stadt, „es muss ein qualitatives Wachsen sein. Die Folgen des Wachstums schnüren uns die Luft zum Atmen weg. Es geht nicht um die Neuansiedlung von Betrieben, sondern um deren Erhalt. Ich warne davor, wegen Einzelinteressen nicht zuzustimmen. Es handelt sich um einen Vorentwurf“, so Kiechle.
Der Beschluss, dass der Stadtrat den Vorentwurf des Flächennutzungsplans mit integriertem Landschaftsplan und den Themenkarten billigen soll, fiel mit den Gegenstimmen von Kibler, Buck und Maurer mehrheitlich.
Wie geht es mit dem Kemptener Flächennutzungsplan weiter?
Nach der Befassung im Stadtrat, folgt im Frühjahr die öffentliche Beteiligung. Mit den Stellungnahmen berät sich wiederum der Stadtrat im letzten Quartal 2024. Anschließend folgt eine erneute öffentliche Auslegung, ehe sich der Stadtrat im zweiten Quartal 2025 abschließend damit befasst. Die Genehmigung durch die Regierung von Schwaben wird dann bis spätestens im dritten Quartal 2025 erwartet.
Aktuell vorgesehene neue Flächennutzungen im FNP 2024
• Wohnungsbau: Hirschdorf-Nord (5,3), Hinterbach Mitte (0,4) Neuhausen West (0,5), THW (0,4), Stadtgärtnerei (0,95), Lenzfried Ost (1,33), Parkstadt Engelhalde (5,1), Ludwigshöhe (0,8), Lindauer Straße (0,35, Dreifaltigkeitsweg (0,65)
• Gewerbe: Zeppelin-/Heisinger Straße (4,7 ), Dieselstraße Süd (2,7), Liebherr (0,5), südlich Autobahnkreuz (1,57), südlich Stephanstraße (3,67), Im Allmey (2,3), Im Moos (1,3), südlich Heussring (16,1)
• Sonderbauflächen: Grundschule Heiligkreuz (0,8), zehnte Grundschule (1), Tennisclub Kempten (1), Allgäuhalle Nord (1,1), Schulzentrum (7,3), Erweiterung Hochschule (1,4), Solar Spitalhof (28), Solar St. Mang (0,9), Wohnmobilstellplatz (0,5)
• Gemeinbedarf: ehemalige Artilleriekaserne (12,8), Schulstandort Polizeiinspektion (1,3), Schulstandort Allgäuhalle (2,1)
• Verkehrsflächen: Ausbau Kaufbeurer Straße (1,4), Queerspange Bühl Ost (1), Leupolz (0,8), Vorplatz HBF (1,1), Erschließung Gewerbegebiet Eich (0,8), Oberstdorfer Straße (0,95)
• Gemischte Bauflächen: Wiesstraße (0,8), Im Steufzgen (0,8), Zoll (0,3).
Mehr Infos, auch zur Bürgerbeteiligung unter: https://www.kempten.de/flachennutzungsplan-727.html
Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend über die wichtigsten Geschichten informiert sein. Besuchen Sie den Kreisbote auch auf Facebook!