Krieg in Gaza: EU-Vizepräsidentin spricht von „Völkermord“ – Israel reagiert
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission hat Israels Vorgehen im Gazastreifen bereits mehrfach kritisiert. Nun geht sie einen Schritt weiter.
Paris/Gaza – Israel gerät wegen des militärischen Vorgehens im Gazastreifen immer mehr unter Druck. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Teresa Ribera, die schon länger als entschiedene Kritikerin des israelischen Militäreinsatzes gilt, sprach nun erstmals ausdrücklich von Völkermord. Der „Genozid in Gaza“ entlarve „Europas Versagen“, gemeinsam zu handeln und mit einer Stimme zu sprechen, sagte sie in Paris.
Israel wirft EU-Vizepräsidentin Ribera Nähe zu Hamas-Propaganda vor
Die EU-Kommission als Institution hat den Begriff im Zusammenhang mit Gaza bisher nicht verwendet. Israel wies die Äußerung Riberas zurück. Die Spanierin habe sich „zum Sprachrohr der Hamas-Propaganda“ gemacht, teilte das Außenministerium mit.
In der Mitteilung des israelischen Außenministeriums hieß es außerdem: „Anstatt die von der Hamas verbreitete ‚Völkermord‘-Legende nachzuplappern, hätte Ribera die Freilassung aller Geiseln und die Niederlegung der Waffen durch die Hamas fordern sollen, damit der Krieg beendet werden kann.“
EU-Kommission distanziert sich von Genozid-Vorwurf Riberas an Israel
Die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen wird im Zusammenhang mit Israels militärischem Vorgehen im Gazastreifen vorerst nicht von Völkermord sprechen. Eine Sprecherin betonte in Brüssel, dass Vizepräsidentin Teresa Ribera am Donnerstag bei einer Rede in Paris nicht im Namen der Brüsseler Institution sprach, als sie das Wort Genozid gebrauchte. Es gebe zu der Völkermord-Frage keine Position der EU-Kommission, sagte sie. Es sei an Gerichten, darüber zu entscheiden.
Genozid-Vorwurf gegen Israel – was das UN-Abkommen darunter versteht
Wegen des militärischen Vorgehens im Gazastreifen wird gegen Israel immer wieder der schwerwiegende Vorwurf des Genozids - zu Deutsch „Völkermord“ - erhoben. Das „Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ der Vereinten Nationen (UN) bezeichnet damit die gezielte Verfolgung von Bevölkerungsgruppen, die sich durch Sprache, Religion und Tradition von anderen unterscheiden – mit dem Ziel, diese Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.

Dazu gehören neben Tötungen auch Maßnahmen, die schweren körperlichen oder seelischen Schaden anrichten, genauso wie die Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die zu körperlicher Zerstörung führen können. Die UN-Konvention ordnet dem Völkermord auch zu, wenn gezielt Geburten verhindert oder Kinder verschleppt werden.
Auch wenn der Begriff Völkermord an millionenfaches Morden erinnert, spielt die Zahl der Opfer laut UN-Konvention keine Rolle. Mit der Ratifizierung haben sich die UN-Mitglieder verpflichtet, Verbrechen dieser Art zu verhüten und zu bestrafen. Die Konvention trat 1951 als Folge des von Nazi-Deutschland ausgehenden Holocausts in Kraft, dem unter anderem bis zu sechs Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen.
Experten bewerten Hamas-Massaker als Völkermord – Gaza-Krieg fordert zehntausende Opfer
Der Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 mit rund 1.200 Toten und mehr als 250 verschleppten Geiseln stellt für viele Rechtsexperten weltweit „höchstwahrscheinlich ein internationales Verbrechen des Völkermordes dar“. Mord, Folter, Vergewaltigung, Verstümmelung von Leichen sowie die Entführung von Zivilisten seien Kriegsverbrechen.
Das Massaker war der Auslöser des Gaza-Krieges. Seither wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen mehr als 64.500 Palästinenser in dem dicht besiedelten Küstengebiet getötet. Die unabhängig kaum überprüfbare Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern. Israel weist den Vorwurf eines Genozids an den Palästinensern zurück.
CSU kritisiert EU-Vizepräsidentin Ribera wegen Völkermord-Vorwürfen gegen Israel
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hat Ribera wegen ihrer Einordnung des israelischen Vorgehens im Gazastreifen als Völkermord scharf kritisiert. „Die Äußerungen der EU-Vizepräsidentin sind einseitig und unangemessen und sie spielen den Hamas-Terroristen in die Hände“, sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
„Man kann Israels Vorgehen in Gaza kritisieren, aber nicht in dieser Form und nicht ohne die Hamas als Auslöser dieser schrecklichen Gewaltspirale zu benennen“, fügte Hoffmann hinzu. Die Hamas habe es in der Hand, durch die Freilassung der Geiseln endlich diesem Krieg ein Ende zu setzen, den sie selbst auf brutalste Art und Weise losgetreten habe.
Geiselfamilien fordern Verhandlungen – Israel setzt Offensive in Gaza fort
Angehörige der von der islamistischen Terrororganisation im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln fordern die sofortige Rückkehr zu Verhandlungen über ein Abkommen. Vorerst treibt Israels Militär jedoch die Vorbereitungen für die heftig umstrittene Einnahme der Stadt Gaza im Norden des abgeriegelten Küstengebiets voran, in der sich nach Schätzungen rund eine Million Menschen aufhalten.
Man habe jetzt „die operative Kontrolle über 40 Prozent der Stadt“, sagte Armeesprecher Effie Defrin am Donnerstag. Der Einsatz werde in den kommenden Tagen ausgeweitet und intensiviert. „Wir werden den Druck auf die Hamas erhöhen, bis sie endgültig besiegt ist“. Die Mobilisierung von Reservisten gehe weiter. (dpa/afp/jal)