„Zweischneidiges Schwert” – Bürgergeld-Sanktionen haben nicht nur positive Effekte
Laut Experten zeigen Bürgergeld-Sanktionen durchaus Wirkung. Allerdings gibt es Schattenseiten, die in der öffentlichen Debatte kaum Platz finden.
München – Fast 130.000 Bürgergeld-Empfängern wurde 2023 der Regelsatz gekürzt. Das ergibt eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA). Demnach wurden fast 85 Prozent der Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen verhängt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dessen Studie zufolge gehen zwischen Mai 2023 und Juni 2024 rund 86 Prozent der Leistungskürzungen auf versäumte Meldetermine zurück.
In dem Zusammenhang sprechen die IAB-Experten davon, dass Sanktionen zwar wichtig seien, jedoch weder die intendierte Wirkung haben noch ein „Allheilmittel“ seien. Denn anders als propagandiert, handelt es sich bei der Mehrheit der sanktionierten Bürgergeld-Empfänger nicht um „Totalverweigerer“. Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hält jedoch an seinen Plänen fest, und will Menschen, die zumutbare Arbeit ablehnen, mit einem vollständigen Leistungsentzug bestrafen.
Experten kritisieren Ampel-Regierung und Union – „Vorschläge werden Komplexität nicht gerecht“
Bereits „Ende des Jahres 2023 wurden 100 Prozent Sanktionen für sogenannte Totalverweigerer angekündigt“, so die Experten. Eine entsprechende Regelung trat Ende März 2024 nach der Ankündigung durch SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in Kraft. Sowohl die Vorschläge der Union als auch der gescheiterten Ampel-Regierung gehen in Richtung verschärfter Sanktionen, erklären die Experten weiter und kritisieren: „Die Vorschläge werden der Komplexität des Themas nicht gerecht!“
Dabei nimmt die Debatte rund um Bürgergeld-Sanktionen gerade erst an Fahrt auf. Spätestens seit dem Sieg der Union bei der Bundestagswahl 2025 ist klar, dass Betroffene mit umfassenden Reformen rechnen müssen. Sollte es nun zu einer Koalition zwischen CDU und SPD kommen, wird das bisherige Bürgergeldsystem neu gestaltet, „hin zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende“, erklärte Merz auf der Pressekonferenz nach den Sondierungsgesprächen.
Bürgergeld-Sanktionen sind laut Experten „zweischneidiges Schwert“
Die Sanktionen sind seit der Einführung des Bürgergelds deutlich milder als zuvor. Bei Meldeversäumnissen und der ersten Pflichtverletzung droht aktuell ein einmonatiger Abzug von zehn Prozent – früher waren es bis zu 30 Prozent für drei Monate. Nun fordert die Mehrheit der Jobcenter strengere Maßnahmen, wie aus der IAB-Studie hervorgeht. Demnach finden 73 Prozent der Befragten, dass die moderaten Sanktionen eher nicht oder auf gar keinen Fall beibehalten werden sollten.

Auf der anderen Seite verdeutlichen Befragungen von Jobcenter-Mitarbeitern und Bürgergeld-Empfängern, dass Sanktionen zwar als wichtig erachtet werden, jedoch auch negative Folgen haben. Leistungskürzungen können zu psychischen Belastungen und einem Vertrauensverlust in die Integrationsfachkräfte führen. Bei hohen Sanktionen, die mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs ausmachen, drohen zudem die Sperrung der Energieversorgung oder gar Wohnungsverlust.
Meine News
Die IAB-Experten konnten den Bürgergeld-Sanktionen trotz alldem sowohl positive als auch negative Effekte abgewinnen: Einerseits führen Sanktionen häufiger zur Aufnahme gering entlohnter Arbeit. Andererseits können die zunächst positiven Beschäftigungseffekte langfristig ins Gegenteil umschlagen, da sich sanktionierte Bürgergeld-Empfänger verstärkt vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Laut den Experten seien Kürzungen daher ein „zweischneidiges Schwert“.
Forderung nach Verhältnismäßigkeit bei Reform der Bürgergeld-Sanktionen
Eine Reform der Bürgergeld-Sanktionen sollte laut den Forschungsergebnissen des IAB mit Bedacht gestaltet werden. Die Expertinnen und Experten fordern unter anderem, dass extreme Maßnahmen wie die Sperrung der Energieversorgung vermieden werden und Leistungsminderungen verhältnismäßig sein sollten. Ein vollständiger Leistungsentzug, wie die CDU und SPD es bei wiederholter Arbeitsverweigerung plant, sei „nur unter sehr restriktiven Bedingungen möglich.“
Laut den Experten sollte eine Sanktions-Reform daher …
- … auf sehr hohe Leistungsminderungsbeträge verzichten (möglichst nicht mehr als 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs), sodass sehr starke kurzfristige Einschränkungen der Lebensverhältnisse der Betroffenen vermieden werden und keine ergänzenden Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gewährt werden müssten.
- … stärker auf Verhältnismäßigkeit achten: Eine zumutbare Arbeit abzulehnen, sollte beispielsweise strenger sanktioniert werden als die Ablehnung einer Maßnahmenteilnahme, deren Integrationswirkung im Einzelfall nicht sicher ist.
Obwohl oft behauptet wird, dass Bürgergeld-Empfänger zu viel Geld erhalten, ist für die Sozialrechtsexpertin Anne Lenze klar, dass die Regelbedarfe sogar „verfassungswidrig zu niedrig“ waren. Ihren Informationen zufolge konnte das Bürgergeld die steigende Inflation nicht ausgleichen. Derzeit müssen die mehr als fünf Millionen Bürgergeld-Empfänger in Deutschland mit einer Nullrunde auskommen. Eine Erhöhung der Sozialleistung zum Jahresbeginn 2025 blieb damit aus. (cln)