Ernstfall eines russischen Nato-Angriffs: Pistorius lässt offenbar Worst-Case-Szenario erstellen

  • Kathrin Reikowski
    VonKathrin Reikowski
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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat laut einem Bericht ein Szenario entwerfen lassen, mit dem sich die Bundeswehr auf einen Angriff auf die Nato vorbereitet.

Berlin - Mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden auch in Deutschland jahrzehntelange Gewissheiten über den Haufen geworfen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer Zeitenwende, wollte Bundeswehr und Ausgaben für Militär und Verteidigung stärken, Deutschland liefert immer wieder Waffen an die Ukraine.

Nun soll Boris Pistorius (SPD), Bundesverteidigungsminister, ein konkretes Szenario entworfen haben lassen, mit dem er die Bundeswehr auf einen Verteidigungsfall gegen einen russischen Angriff vorbereitet. Die Bild-Zeitung will exklusiv von einem Geheimpapier erfahren haben. Dabei handelt es sich um ein angebliches, fiktives Szenario, das zunächst nicht vom Verteidigungsministerium verifiziert wurde. In der Realität wird die Bundeswehr laut Bundesverteidigungsministerium ab 2025 eine Brigade ins Nato-Land Litauen entsenden. An die 5000 Soldatinnen und Soldaten sollen dort stationiert werden - zur Stärkung des Nato-Bündnisses und der Abschreckung Russlands.

Konfrontation mit Russland: Verteidigungsministerium macht keine Angaben zur Wahrscheinlichkeit

Auch Bild selbst kann nicht einordnen, für wie wahrscheinlich das Szenario aus dem Geheimpapier im Verteidigungsministerium gehalten wird. Ein Sprecher hatte keine Angaben zu dem möglicherweise existierenden Papier gemacht, sondern lediglich allgemein gesagt: „Grundsätzlich kann ich Ihnen mitteilen, dass die Betrachtung unterschiedlicher Szenarien, und seien sie auch extrem unwahrscheinlich, zum militärischen Alltagsgeschäft gehören, insbesondere in der Ausbildung.“ Das von Bild veröffentlichte Szenario klingt demnach wie Übungsmaterial, das möglichst zeitnah beginnt, und Deutschlands Armee auf den größten Ernstfall vorbereiten soll.

Demnach würde die Bundeswehr damit proben, dass schon im Februar 2024 weitere 200.000 Soldaten in Russland mobilisiert werden. Aufgrund ausbleibender westlicher Unterstützung mit Waffen, würde Russland in der Ukraine daraufhin noch im Frühjahr 2024 entscheidende Gewinne erzielen, und gleichzeitig im frühen Sommer damit beginnen, gezielte Cyberattacken auf westliche Länder vorzubereiten.

Russland würde sein Szenario rund um die Exklawe Kaliningrad spielen lassen

Außerdem würde Russland in diesem Szenario parallel mit einer weiteren Art der hybriden Kriegsführung beginnen: Nämlich damit, ethnische russische Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen aufzuwiegeln, sodass es dort zu Auseinandersetzungen käme. Die wiederum würde Russland als Vorwand dafür nutzen, eine weitere Eskalation zu starten.

Schon im September würde Russland das Großmanöver „Zapad 2024“ beginnen, und 50.000 Soldaten im Westen Russlands und in Belarus zu stationieren. Von da wäre es laut Bild-Angaben nicht mehr weit zu einem Truppenaufmarsch an der Grenze der Nato-Länder Polen und Litauen. Dieses Szenario würde an den Kriegsbeginn in der Ukraine erinnern.

Verteidigungsministerium spielt Szenario durch, wonach ab Frühsommer 2025 bis zu 30.000 Soldaten bereit sein müssten

Beginnen würde dieser Truppenaufmarsch damit, dass Russland seiner Exklave Kaliningrad ein Bedrohungsszenario vorgaukelt. Gleichzeitig würde es eine vermutete Schwäche der USA nach den Wahlen (vermutlich mit einer Entscheidung zwischen Joe Biden und Donald Trump) im September 2024 ausnutzen, um Unruhen an der so genannten Suwalki-Lücke mit mehreren Toten auszulösen, weitere Truppen zu verlegen. Die Propaganda würde der russischen Bevölkerung einschärfen, auch hier wären ethnische Russen vom Westen bedroht.

Infolgedessen sähe sich die Nato gezwungen, einer möglichen Eskalation zuvorzukommen, etwa im Mai 2025. Bis zu 300.000 Soldaten der Nato würden dann an die Ostflanke verlegt, darunter 30.000 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland. Das Übungsszenario endet mit diesem Fall der Verlegung der deutschen Einheiten in die baltischen Staaten. (kat)