Einsatz von Nordkorea-Soldaten offenbart Russlands Verzweiflung – und Pjöngjangs Geltungssucht
Nordkorea schickt Soldaten nach Russland, ein Einsatz im Ukraine-Krieg ist nicht ausgeschlossen. Kims Unterstützung könnte für Putin teuer werden. Eine Analyse.
Moskau – Mit seinen Sanktionen gegen Russland versucht der Westen seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs, Wladimir Putin unter Druck zu setzen, den Kreml zu isolieren und von den globalen Strukturen abzuschneiden. Kurz vor dem dritten Kriegswinter zeigt sich einmal mehr: Der Plan ging nur bedingt auf. Zwar ist der russische Präsident in seinen Reise- und Handelsmöglichkeiten stark eingeschränkt, allerdings bieten sich Russland immer wieder Schlupflöcher – und Partnerschaften mit anderen Staaten.
Seit einigen Tagen steht Russlands Verhältnis zu Nordkorea im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit: Soldaten aus Pjöngjang befinden sich laut diverser Berichte in Russland und Geheimdienstinformationen legen nahe, dass die Kämpfer unter anderem in Kursk eingesetzt werden sollen. Auch eine Teilnahme an Kämpfen im Ukraine-Krieg wird nicht mehr ausgeschlossen. Schon länger lobt Putin das Verhältnis zu Kim Jong-un – doch am Ende könnten die neuen Soldaten aus Nordkorea auch auf eine Schwäche Putins im Ukraine-Krieg hindeuten.
Nordkorea schickt Soldaten nach Russland: Einsatz im Ukraine-Krieg möglich
Soldaten aus Nordkorea im Ukraine-Krieg: Was noch vor einigen Monaten sehr unwahrscheinlich klang, scheint inzwischen zur neuen Realität geworden zu sein. Für Machthaber Kim sind die Berichte über seine Kämpfer in Russland mutmaßlich bereits ein großer Triumph und ein enormer Prestigegewinn. Doch Wladimir Putin, der zuletzt auch beim gut besuchten Brics-Gipfel in Kasan um weitere Rückendeckung für seinen Angriffskrieg buhlte, muss sich die Unterstützung seines Freundes teuer erkaufen und legt damit mutmaßlich offen, wie es um Russland Situation im Ukraine-Krieg bestellt ist.
Zwar sprach sich Putin zuletzt immer wieder für seine eigene Vorstellung eines alternativen Hegemons in der Geopolitik aus, der einen Gegenpol zur „amerikanischen Dominanz“ bilden soll, allerdings scheint dies kein Prozess zu sein, den der russische Präsident zu seinen Gunsten beeinflussen kann. Wie die britische Times schreibt, stellt die Ankunft der Soldaten aus Nordkorea in Russland eine deutliche Verstärkung der Bindung Pjöngjangs an Moskau dar. Allerdings ist weiterhin unklar, ob die Kampftruppen, die mitunter als Elitekorps bezeichnet werden, überhaupt an die Front im Ukraine-Krieg geschickt werden oder nur das Hinterland gegen ukrainische Vorstöße schützen sollen.
Nordkorea-Soldaten schon in Kursk: Experten befürchten Probleme für Russland im Ukraine-Krieg
Aufgrund von Berichten über nordkoreanische Soldaten in der russischen Region Kursk scheint die letztere Möglichkeit eine realistische Option zu sein. Wie es aus zahlreichen Geheimdienstinformationen hervorgeht, soll es sich bei Pjöngjangs Soldaten in Wahrheit nicht um Elitekämpfer, sondern vielmehr um einfache Truppenangehörige handeln. Sie verfügen zudem über keinerlei Kampferfahrung und der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie wichtig diese ist. Sollte Putin dennoch die Nordkorea-Soldaten an die Front im Ukraine-Krieg schicken, lauern zahlreiche weitere Probleme.
Neben der fehlenden Kampferfahrung gibt es auch eine Sprachbarriere, die sich in hitzigen Situationen als fatal erweisen könnte: Das Risiko von Missverständnissen und Friendly-Fire-Vorfällen könnte beträchtlich steigen und Putins Verluste im Ukraine-Krieg in die Höhe treiben. Erste Einheiten aus Russlands Armee sollen sich bereits über die Nordkorea-Soldaten beklagt haben.
Auswirkungen auf Ukraine-Krieg? Putin erhält Unterstützung von Nordkorea-Soldaten
Zur Wahrheit gehört auch: Sollten sich tatsächlich etwa 12.000 Soldaten aus Nordkorea in Russland befinden und auf den Ukraine-Krieg vorbereitet werden, würde ihre Zahl angesichts der russischen Verluste im Ukraine-Krieg kaum einen Unterschied machen. Wie aus westlichen Angaben hervorgeht, verliert Putin in einer durchschnittlichen Kriegswoche etwa 10.000 Einheiten. Dennoch würde ein Kampfeintritt Nordkoreas Gefüge im Ukraine-Krieg maßgeblich verschieben. Bisher gibt es nur Spekulationen, wie die internationale Gemeinschaft auf den Eintritt einer dritten Partei in die Kampfhandlungen reagieren könnte. Doch die EU-Staaten haben Pjöngjang bereits eindringlich gewarnt.
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Dass die Soldaten aus Nordkorea den Ukraine-Krieg in einen Dritten Weltkrieg verwandeln könnten, bezweifeln Experten bislang. Zwar befürchtete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ebendies, doch eine Nato-Entscheidung zur Entsendung von Kampftruppen zur Verteidigung der Ukraine als Reaktion auf die nordkoreanischen Soldaten gilt derzeit als ausgeschlossen. Wie Newsweek derweil berichtet, geht der ukrainische Geheimdienst davon aus, dass die ersten Kampftruppen aus Nordkorea noch im Oktober eingesetzt werden könnten.
Nordkorea unterstützt Russland: Kim profitiert von Freundschaft mit Putin
Abgesehen von diplomatischen Folgen: In ihrer möglichen Zahl haben die Soldaten aus Nordkorea vor allem eine symbolische Wirkung. Die Entsendung nach Russland gibt Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un die Möglichkeit, vom Putin eine Menge Gegenleistungen zu verlangen – nicht nur die Lieferung von Kampfjets. Nicht ausgeschlossen ist, dass Russland künftig die Regierung in Pjöngjang unterstützt, tödlichere Raketen und Nuklearwaffen zu entwickeln. Wie die New York Times schreibt, sagen Analysten der nordkoreanischen Politik, dass Kim künftig in zweierlei Hinsicht die Nähe zu Russland sucht: zum einen kurzfristige Unterstützung seiner militärischen Fähigkeiten und zum anderen längerfristigen strategischen Zusicherungen.
Russland könnte auch dabei unterstützen, Nordkoreas konventionelle Streitkräfte zu modernisieren. Auch andere Hilfe ist nicht undenkbar. „Jetzt hat er einen Weg zum Überleben“, sagt Sydney Seiler, ein leitender Berater des Center for Strategic and International Studies, und gibt zu bedenken, dass Kim künftig die Unterstützung seiner Freunde hat, „die ihm den Rücken freihalten, und den Druck und die Drohungen der Vereinigten Staaten und der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf sein Atomprogramm kann er jetzt alle abschütteln“.
Putin erkauft sich Nordkoreas Freundschaft: Kim sitzt erstmals „am Steuer“
Schon länger soll Russland für den Kampf im Ukraine-Krieg Waffen aus Nordkorea beziehen. Dass nun Soldaten folgen, zeigt einmal mehr den wachsenden Zusammenhalt zwischen den beiden Staaten. „Es gibt kein stärkeres Signal, das ein Land einem anderen senden kann, als Truppen in die Schlacht zu schicken“, sagte Victor D. Cha, Professor für Regierungs- und internationale Angelegenheiten an der Georgetown University und Korea-Lehrstuhlinhaber am Center for Strategic and International Studies in Washington, laut New York Times.
Abgesehen von der künftigen Hilfe aus Russland: Kim gewinnt international durch die Unterstützung für Putin viel mehr Aufmerksamkeit und wird künftig noch mehr vom russischen Präsidenten verlangen können, wenn dieser sicherstellen will, auch in Zukunft weitere Soldaten aus Nordkorea zu erhalten. „Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Beziehung sitzt er am Steuer“, so Cha über Kim. Und für Putin ist klar: Er hat zwar noch Freunde – aber ihre Freundschaft muss er sich teuer erkaufen. (fbu)