„Unerträgliche Lust“ - Sexualberaterin wagt sich an den Ein-Stunden-Orgasmus - und berichtet

 

Heutzutage weiß fast jeder, dass die Klitoris 8000 Nervenenden hat. Schon deshalb ist absolutes Fingerspitzengefühl ein Muss, damit die süße Qual nicht wegen eines Millimeters daneben zur unerträglichen Folter wird. Beim One Taste Center übten deshalb die Männer am Druckknopf von Kugelschreibern vor, um den hauchzarten Druck und die Geschwindigkeit zu perfektionieren.

Unbedingt nötig war eine spezielle Sitzposition für ungestörte rhythmische Minimalbewegungen des Zeigefingers. Wer hätte gedacht, dass Sex-Forschung so technisch sein kann?

Genauso wie man bei jeder OMing-Verabredung sofort mit der Tür ins Haus fällt (kein mühsames Vorspiel erforderlich!), genauso abrupt wird es exakt nach 15 Minuten mit einem kurzen Austausch über das Erlebte beendet. Mein Tantra-Herz rebellierte wie wild und war fassungslos. Dennoch übten wir das Prozedere zehn Tage lang täglich und beendeten das Ganze mit einer Abschlussbesprechung.

Ich übte fleißig, um dahinterzukommen, welchen Nutzen dieses sexuelle Abenteuer brachte. Vielleicht käme ja noch der große Durchbruch?

Manche Frauen bekommen beim OMing Orgasmen. Das sei nicht verboten, aber nicht unbedingt das Ziel, wurden wir belehrt. Es gehe eher darum, in hoher Erregung zu entspannen und sich miteinander verbunden zu fühlen. Zudem sei so ein OMing im prallen Alltag leichter unterzubringen als ein ausgedehntes Liebesspiel. Für mich selbst war das Ganze nicht der Hit. Vielleicht war ich dazu einfach zu sehr tantrisch verwöhnt. Immerhin hatte ich schon Jahrzehnte lang die Lust der Frau erforscht und war zu anderen Ergebnissen gekommen.

Hier begegnete ich dem absoluten Gegenprogramm. Nun ja, ich sollte mich - so die Ansage meines Coaches - ja erweitern.

Die Suche nach dem einstündigen Orgasmus

Täglich fünfzehn Minuten unerträgliche Lust hatte ich ausgiebig ausgekostet. Jetzt war ich bereit, mir den Ein-Stunden-Orgasmus vorzuknöpfen. Dr. Steve und Dr. Vera Bodansky erforschten seit 35 Jahren gemeinsam den intensiv verlängerten Orgasmus. Dabei spezialisierten sie sich besonders auf den weiblichen Orgasmus und promovierten sogar über dieses Thema.

Wir begegnen ihnen in ihrem Feriendomizil in Calistoga, Indian Springs circa eine Autostunde nördlich von San Francisco. Nach einem Gespräch am Vorabend werden wir im ersten Coaching auf sehr private Art angeleitet. Dr. Bodansky demonstriert an seiner Frau Vera die Technik „How to do a woman“. Wir sitzen zu viert im Boxspringbett, denn wir sollen ganz nah heranrücken, um ja alles richtig mitverfolgen zu können. Denn auch hier geht es um den inzwischen schon berühmten 13-Uhr-Punkt.

Hatte ich nicht schon öfter gehört, wie prüde die Amis seien? Musste ich nicht in der Sauna meinen Badeanzug anhaben, weil das bei den Amerikanern so gang und gäbe ist? Klar, in Kalifornien ist alles anders, wie sonst wäre das hier möglich?

Die Berührungen, die wir hier lernen sollen, sind absolut identisch mit denen von One Taste, bis hin zu den Start- und Schluss-Berührungen. Der einzige Unterschied: Es gibt keine Zeitbegrenzung von 15 Minuten. Man spricht dagegen vom „Ein-Stunden-Orgasmus der Frau“. Der Atem, die Kommunikation und immer wieder Entspannung statt Anspannung sind die Liebesschlüssel. Eine Stunde dauert lange, wenn man so daneben sitzt und den vibrierenden Schmetterlingsflügel-Bewegungen von Steve Bodansky konzentriert zuschaut.

In der nächsten Lehrstunde muss mein Mann ran. Die 15-Minuten-Folter wird nun auf eine ganze Stunde erhöht. Man atmet dabei ganz freiwillig öfter tief durch. Ich hatte mir vorgestellt, ein echtes Orgasmusgefühl über eine ganze Stunde lang zu erleben. So war es nicht. Es war nur dieser Grenzgang zwischen extremer Lust und schierer Folter, der sich eine ganze Stunde lang hinzog. Die erhoffte Orgasmus-Ausbeute entpuppte sich für mich als Flop. Ich träumte ein bisschen von einem ganz normalen 20-bis-40-Sekunden-Orgasmus.

Rund um San Francisco gab es jede Menge weitere Angebote zum Ein-Stunden-Orgasmus. Im One Taste Center hatten sie wohl eine alltagstauglichere abgespeckte Version entwickelt. Das Gleiche nochmal in einem anderen Institut zu wiederholen, reizte mich nicht. Mich interessierte, wer diese ganze Bewegung in Gang gesetzt hatte. Wo kam das her? Und wenn ich den Ursprung herausfinden könnte, dann wäre vielleicht doch noch ein echter Ein-Stunden-Orgasmus möglich?

Morehouse - die Wiege der Lustforschung

Im Internet stoße ich auf den Namen „Vic Baranco“ Wir nehmen Kontakt mit dem von ihm gegründeten Zentrum Lafayette Morehouse in Walnut Creek, Nähe San Francisco auf. Vic Baranco lebt nicht mehr. Seine Schüler lehren jedoch weiterhin und geben Kurse. Extra für uns beide wird ein Tagesseminar veranstaltet. Wir erfahren die Hintergründe und Entstehungsgeschichte der Forschungsarbeit von Vic Baranco, der eine erfolgreiche Karriere als Geschäftsmann aufgab, um als Pionier nicht nur die weibliche Lust- und Orgasmusfähigkeit zu verbreiten, sondern auch soziale Werte durch das Leben in Gemeinschaft umzusetzen.

Hier also ist die Brutstätte all der Bücher, Filme und Seminare, die es wie in einem Nest in und um San Francisco zum Thema Orgasmus und Lust der Frau zu geben scheint.

Wir werden noch freundlicher als es in Amerika üblich ist empfangen. In Morehouse leben viele Menschen zusammen, die tagtäglich diesen besonderen und sehr wertschätzenden Umgang miteinander pflegen. Vielleicht ist der liebevolle Umgang der Menschen miteinander, den ich hier tief beeindruckt erlebe, das, worum es wirklich geht. Mögen die Techniken von One Taste, den Bodanskys und auch in Morehouse exakt gleich sein, der dahinter wehende Geist mit seiner Quelle hier in Morehouse entspricht meiner Tantrawelt.