Zwei-Prozent-Ziel erreicht: Deutschland meldet Nato Verteidigungsausgaben von 90,6 Milliarden Euro

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Deutschland erreicht erstmals seit langem wieder das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Für Investitionen ins Heer reicht das Geld allerdings nicht.

Berlin – Deutschland hat der Nato für das laufende Jahr geschätzte Verteidigungsausgaben von 90,6 Milliarden Euro gemeldet und würde damit derzeit klar das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses erreichen. Wie aus einer neuen Übersicht der Nato hervorgeht, entspricht die Rekordsumme einem Anteil am prognostizierten deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,12 Prozent. Die Quote würde damit höher liegen als noch zu Jahresbeginn erwartet.

Deutschland hat sich vor dem Hintergrund von Russlands Ukraine-Krieg vorgenommen, in diesem Jahr erstmals die 2014 vereinbarte Nato-Zielmarke für Verteidigungsausgaben zu erreichen. Sie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten jährlich mindestens zwei Prozent ihres BIP dafür einplanen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius verabschiedete Anfang April das Vorkommando der Brigade Litauen auf dem militärischen Teil des Flughafens Berlin-Brandenburg.
Verteidigungsminister Boris Pistorius verabschiedete Anfang April das Vorkommando der Brigade Litauen auf dem militärischen Teil des Flughafens Berlin-Brandenburg. © dpa

Verteidigungsausgaben in Deutschland: Finanzierungs-Loch ab 2025

Die höheren Verteidigungsausgaben erhalten in Deutschland augenscheinlich auch Zuspruch aus der Bevölkerung: Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für die Zeitschrift Internationale Politik von April zeigt, dass ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger (68 Prozent) dafür ist, dass die Bundesrepublik und die anderen europäischen Nato-Staaten in der veränderten Sicherheitslage ihre Verteidigungsausgaben deutlich erhöhen.

Obwohl Deutschland zum ersten Mal seit langem das Zwei-Prozent-Ziel der Nato wieder erreicht, wird das für die Bundeswehr eingeplante Geld Prognosen des Ifo-Instituts zufolge aber nicht mit den steigenden Kosten mithalten können. Demnach klafft ab 2025 ein Loch im Haushalt von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Auch gegenwärtig würden die Ausgaben fürs Heer nur dessen Fixkosten decken, Investitionen seien nicht möglich. Gleichzeitig ist das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro schon jetzt fast vollständig verplant.

Zwei-Prozent-Ziel der Nato: Polen und Estland noch vor den USA

Außer Deutschland werden in diesem Jahr nach den neuen Zahlen voraussichtlich 23 Bündnisstaaten die Zwei-Prozent-Zielmarke der Nato erreichen oder sogar überschreiten. Spitzenreiter bei der Quote sind derzeit Polen mit Verteidigungsausgaben in Höhe von 4,12 Prozent des BIP und Estland mit 3,43 Prozent. Beide Länder liegen damit noch vor den USA, die 2024 nach den jüngsten Schätzungen auf 3,38 Prozent kommen dürften.

Schlusslichter im Ranking sind Länder wie Spanien und Slowenien, Luxemburg, die derzeit bei unter 1,3 Prozent liegen. Auch Belgien (1,30 Prozent), Kanada (1,37 Prozent), Italien (1,49 Prozent) und Portugal (1,55 Prozent) werden die Nato-Zielmarke aber deutlich verfehlen.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg lobt Steigerung der Verteidigungsausgaben

Insgesamt werden die derzeit 32 Nato-Staaten nach jüngsten Schätzungen im Jahr 2024 rund 1,5 Billionen US-Dollar (etwa 1,4 Billionen Euro) für Verteidigung ausgeben. Die Inflation und Wechselkursschwankungen herausgerechnet würde dies im Vergleich zum Vorjahr insgesamt einem Anstieg um 10,9 Prozent entsprechen. Die europäischen Alliierten und Kanada allein würden den Angaben zufolge sogar auf ein Plus von 17,9 Prozent kommen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der sich zur Vorbereitung des Nato-Gipfels derzeit in Washington aufhält, lobte bei einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden am Montag die Entwicklung als „größte Steigerung seit Jahrzehnten“. Die Zahlen zeigten, dass die europäischen Bündnispartner und Kanada ihren Teil der Verantwortung für den Schutz aller Mitglieder des Nato-Bündnisses übernähmen. Biden sprach von einer „Rekordzahl“ an Verbündeten, die die Zielmarke für Verteidigungsausgaben nun erreichten. 

Höhere Verteidigungsausgaben vieler Staaten – Sicherheit auch ohne US-Schutz

Mit der drastischen Steigerung der Verteidigungsausgaben reagieren die Alliierten vor allem auf Russlands Einmarsch in die Ukraine. Durch eine deutliche Stärkung von Abschreckung und Verteidigung soll Kremlchef Wladimir Putin deutlich gemacht werden, dass ein Angriff auf ein europäisches Nato-Land keinerlei Erfolgschancen hätte. Beim Nato-Gipfel in Washington vom 9. bis 11. Juli würden sich die Verbündeten bereiterklären, sagte Stoltenberg, die finanzielle Unterstützung für die Ukraine weiter zu verstärken. 

Hilfreich könnten die Zahlen zudem auch mit Blick auf eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im November sein. Der Republikaner hat im Wahlkampf bereits deutlich gemacht, dass er Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde. Trump hatte bereits in seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 immer wieder über die seiner Ansicht nach zu niedrigen Verteidigungsausgaben von europäischen Alliierten gewettert und zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis gedroht.

USA sind Nato-Spitzenreiter – Auch mehr Ausgaben als Russland und China

Stoltenberg sagte in einem Interview von Welt und US-Medien am Montag, Trump habe nicht in erster Linie die Nato kritisiert. „Seine Kritik richtete sich gegen Nato-Mitglieder, die nicht genug in die Nato investieren.“ Der Nato-Generalsekretär lobte erneut das in Wiesbaden geplante Hauptquartier für den geplanten Nato-Einsatz zur Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte. Die Einrichtung des neuen Hauptquartiers sei wichtig, „unabhängig davon, wer der nächste US-Präsident ist“. 

Trotz der deutlichen Steigerungen der Europäer werden die USA den Zahlen zufolge aber dennoch mit schätzungsweise rund 968 Milliarden Dollar erneut mehr als doppelt so viel Geld in Verteidigung stecken wie alle anderen 31 Nato-Partner zusammen und bleiben damit auch international die absolute Nummer eins.

Zum Vergleich: Die Militärausgaben Russlands wurden vom Internationalen Institut für Strategische Studien für 2023 auf lediglich rund 109 Milliarden Dollar geschätzt, was unter Berücksichtigung von Kaufkraftunterschieden im Westen schätzungsweise rund 295 Milliarden Dollar entsprechen würde. China lag demnach bei 220 Milliarden Dollar beziehungsweise kaufkraftbereinigt bei 408 Milliarden Dollar. (dpa/ses)

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