Wie drastisch ADHS die Lebenserwartung beeinflusst

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Die Lebenserwartung von Menschen mit ADHS ist bis zu neun Jahre niedriger, zeigt eine Studie. Was „unweigerlich an den Lebensjahren zehrt“, weiß ein Experte.

„Meine ADHS-Diagnose hat meine gesamte Identität auf den Kopf gestellt“, schreibt die Atlantic-Journalistin Yasmin Tayag Anfang Februar 2024. Es sei befreiend gewesen, weil sie auf einmal wusste, dass ihre Macken einfach nur Krankheitssymptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind. „Offenbar besteht für mich aber auch die Gefahr eines frühen Todes“, schreibt sie und nennt Ergebnis einer im Januar 2025 veröffentlichten Studie „ernüchternd“.

Für die Studie haben Forschende die Todesfälle von über 30.000 britischen Erwachsenen analysiert und bei den Männern mit ADHS eine um fast sieben Jahre kürzere Lebenserwartung, bei den Frauen mit ADHS eine neun Jahre kürzere Lebenserwartung festgestellt. Die Ergebnisse würden nahelegen, dass die Lebenserwartung von Menschen mit ADHS fast gleichauf mit der von Rauchern (minus sieben Jahre bei Frauen und minus neun bei Männern) und um etwa fünf Jahre kürzer sei als die von starken Trinkern.

Frau prokrastiniert Blick aus Fenster am Schreibtisch
ADHS-Betroffene befinden sich in einem „unentwegte Bemühen, die Kontrolle über das eigene Leben zu behalten. Das zehrt an den Kräften und unweigerlich auch an den Lebensjahren“, sagt ein Experte. © IMAGO/Zoonar

ADHS: Internationale Studien zeigen „klare Tendenz“ bei der Lebenserwartung

„Die Befunde bestätigen meine Erfahrung“, sagt der Psychologe Johannes Streif BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. über die Studie. Er ist Vorstandsmitglied im Selbsthilfeverband ADHS Deutschland und war einer der ersten, die in Deutschland als Erwachsene mit ADHS diagnostiziert wurden. Die Ergebnisse der britischen Studie seien „nachvollziehbar und belastbar“, würden den Befunden anderer Studien aus den USA, Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden und Taiwan entsprechen.

Internationale Studien zeigten „eine klare Tendenz“ bei der Lebenserwartung von ADHS-Betroffenen. Sie seien häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt, zeigten signifikant häufiger Suchtverhalten und achteten weniger auf frühe Symptome schwerwiegender Erkrankungen. Sie ernährten und verhielten sich ungesünder, belasteten sich körperlich mehr und seien im Mittel psychisch stärker belastet, begingen häufiger Suizid.

„All diese Aspekte sind als Faktoren für ein früheres Versterben auch unabhängig von der ADHS wissenschaftlich gut belegt. Und wir wissen, dass die genannten Verhaltensweisen durch eine hohe Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität begünstigt werden“, sagt Streif. ADHS-Betroffene befänden sich in einem „unentwegte Bemühen, die Kontrolle über das eigene Leben zu behalten. Das zehrt an den Kräften und unweigerlich auch an den Lebensjahren“.

ADHS Medikamente
Eine langfristige Kombination aus medikamentöser und nicht-medikamentöser Therapie, die „möglichst frühzeitig im Kindesalter“ beginnt, kann dabei helfen, dass ADHS-Betroffene keine Lebensjahre einbüßen müssen. (Symbolbild) © IMAGO/NurPhoto

Niedrigere Lebenserwartung bei ADHS: Was Eltern bei ihren Kindern tun können

Allerdings müsse man bei der ADHS-Studie, die Daten des staatlichen britischen Gesundheitssystems nutze, aufpassen, denn die in der Studie berücksichtigten Personen seien auffallend jung gewesen. „Welche jungen Menschen suchten jedoch initial die öffentlichen Gesundheitszentren auf?“, fragt Streif. Vor allem körperlich kranke Menschen, mutmaßlich mit gehäuften ernsthaften Erkrankungen.

Es sei denkbar, dass diese Gruppe „nicht repräsentativ für alle ADHS-Betroffene“ sei, sagt Streif BuzzFeed News Deutschland. Das „größte Manko der Studie“ sei, dass die Daten des Gesundheitssystems nur den Zeitpunkt des Todes, nicht aber die Todesursache enthalten. So bleibe unklar, ob die Todesursache in einem kausalen Zusammenhang mit der ADHS stehe, was man für Unfälle, Suizide oder die Folgen von Suchtverhalten zumindest annehmen könne.

Wie lässt sich vermeiden, dass ADHS-Betroffene Lebensjahre einbüßen müssen? Alles, was die ADHS-Symptomatik reduziere, wirke sich positiv auf die Lebenserwartung aus, sagt der Psychologe. Zum Beispiel eine langfristige Kombination aus medikamentöser und nicht-medikamentöser Therapie, die „möglichst frühzeitig im Kindesalter“ beginnt.

Ebenso wichtig sei es für Eltern, früh „prosoziales Verhalten, soziale Integration“ sowie „Problembewusstsein und Selbstaufmerksamkeit einschließlich Rücksicht auf die eigenen physischen und psychischen Belange“ bei ihren Kindern zu fördern. „Dann besteht für ADHS-Betroffene eine gute Aussicht auf eine mit Nichtbetroffenen vergleichbare Lebenserwartung.“

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