Europawahlen in Frankreich - Wie der Rassemblement National die Europawahl dominiert und Macron unter Druck setzt
Dass der Rassemblement National die Europawahl haushoch gewinnt, gilt als ausgemacht. Wie ist das zu erklären?
Der Rassemblement National ist sehr geschickt. Neben den Themen, die er sehr früh platzieren und somit für sich vereinnahmen konnte (Zukunft der Landwirtschaft, Migration), setzt er vor allem auf eine Strategie der direkten Kommunikation, die den Eindruck vermittelt, er sei omnipräsent. Das stimmt auch zum Teil: Mit seinem prominenten „Doppelticket“ – Le Pen, Bardella – kann der Rassemblement National doppelt so oft auftreten wie die anderen Parteien.
Die Medien – nicht zuletzt der Journal du dimanche und BFMTV – und sozialen Netzwerke verstärken dann das Phänomen. Bardella profitiert zwar von der in einigen Kreisen stark ausgeprägten Abneigung gegen den Präsidenten. Tatsache ist aber auch: Er hat im Zuge des Wahlkampfes an Statur gewonnen und wirkt nun staatstragend, als könnte er auf Augenhöhe mit dem Präsidenten sprechen. Sein Auftritt, wenige Stunden nach Macrons Sorbonne-Rede, steht beispielhaft dafür.
Apropos 25. April: Was kann man zur Vorstellung des Europawahlprogramms von Jordan Bardellas Partei festhalten?
Für Bardella ist klar: Die EU ist keine Kompromissmaschine, sondern ein Instrument der Domination. Und hier ist die Botschaft unmissverständlich: Nachdem Deutschland dem Rest Europas seine Politik aufzwingen konnte, sei nun Frankreich an der Reihe. Es soll ein „französisches Europa“ entstehen, das auf der Grundlage von Projekten à la carte dem Kontinent „einen neuen Weg zur Großmacht“ – im französischen Original „puissance“ – ebnen soll.
Wenige Tage später legte Marine Le Pen eine Schippe darauf, ohne allerdings konkreter zu werden: „Frankreich blickt und wartet auf uns“. Solche Forderungen sind nicht neu. Schon Ende der 1970er Jahre hatte Georges Marchais, der Vorsitzende der kommunistischen Partei, eine lautstarke Kampagne „gegen ein deutsches Europa“ angezettelt. In der Griechenlandkrise hatte dann Jean-Luc Mélenchon an diese „Tradition“ angeknüpft, und in einem Pamphlet mit dem Titel „Le Hareng de Bismarck. Das deutsche Gift“ Deutschlands Europapolitik aufs Schärfste kritisiert. Le Pen und Bardella wissen: Solche Kritiken fallen auf fruchtbaren Boden und können auch helfen, Stimmen aus dem linken Lager zu holen.
Jüngste Umfragen sehen Renaissance, die Partei von Staatspräsident Macron, bei 17 Prozent, 15 Punkte hinter dem Rassemblement National? Warum?
Es hat nicht nur mit der Abneigung gegen Macron – als Person – zu tun, sondern ist auch gegen den Amtsinhaber gerichtet. Das Phänomen erinnert in vielerlei Hinsicht an das Ende der Ära Chirac und der Amtszeit von Nicolas Sarkozy und Francois Hollande. Dass Renaissance in den Umfragen so schlecht abschneidet, liegt aber auch an der schwachen Leistung von Valéry Hayer, der „Spitzenkandidatin“ der Partei. Die Entscheidung zu ihren Gunsten fiel mitten in den Bauernprotesten. Als Kind eines Bauern schien Hayer geeignet, dem Rassemblement National, der das Thema zu seinen Prioritäten erklärt hatte, die Stirn zu bieten.
Das Kalkül ging aber nicht auf: Hayer vermochte es nicht, sich Gehör zu verschaffen. Dass der ehemalige Außenminister Jean-Yves Le Drian (der zu Beginn des Jahres als Spitzenkandidat in der Diskussion stand) ihr nun zur Hilfe eilen soll, dürfte wenig an der Situation ändern. Die Umfragewerte sind schlecht und die Perspektiven nicht gut. Die Dynamik liegt eindeutig beim Rassemblement National.
Wie hat die Opposition auf die zweite Sorbonne-Rede von Emmanuel Macron reagiert?
Äußerst verhalten, wie sich am Beispiel der von Macron wieder einmal geforderten Debatte über die Rolle von Atomwaffen in Europa zeigen lässt. Die Opposition, von links nach rechts, nahm ihn sofort unter Beschuss: Macron sei zu einer Gefahr für Europa geworden, er wolle „das französische Volk (…) von allem, was es schützt, (…) enteignen“ (Le Pen) und werde „die strategische Autonomie Frankreichs liquidieren“ (La France insoumise).
Ähnlich die Konservativen, dass Macron mitten im Europawahlkampf in die Offensive geht, zeigt: Er ist weiterhin bereit, für seine Überzeugen zu kämpfen, koste es, was es wolle. Das unterscheidet ihn stark von Bundeskanzler Scholz, der alles unterlässt, was den Wählern missfallen könnte.
„Europa kann sterben“, sagte Macron vor sieben Jahren. was ist zu erwarten?
Wenig. „Deine Rede enthält gute Impulse, wie uns das gelingen kann. Frankreich und Deutschland wollen gemeinsam, dass Europa stark bleibt“, schrieb Olaf Scholz am selben Tag auf X. Diese Reaktion erinnert an den Satz, den der Bundeskanzler sprach, als Emmanuel Macron die Gründung der Europäischen Politischen Gemeinschaft (Mai 2022) vorschlug: Die Idee finde er „interessant“, sagte damals Scholz. Das war der Todesstoß. Beim Gründungstreffen in Prag (6. Oktober 2022) stellte er sich dann demonstrativ in die dritte Reihe.
Die Reaktion von Scholz auf Macrons Rede zeigt auch: Deutschland ist im Hier und Jetzt gefangen. Frankreich denkt seinerseits in großen Zeitkategorien. „La force qui va“, schrieb einmal der französische Sicherheitsexperte Francois Heisbourg, um die strategische Kultur Frankreichs zu charakterisieren. In diesen vier Worten steckt viel, vielleicht alles, was Deutschland und Frankreich voneinander trennt.
Macron macht sicherlich nicht immer alles richtig; Er stellt aber oft die richtigen Fragen. Höchste Zeit, dass sich Deutschland darauf einlässt!
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Landry Charrier
Experte für deutsch-französischen Beziehungen sowie Frankreichs Außen- und Sicherheitspolitik
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