Der große Vergleich - Härtere Regeln beim Bürgergeld! Wo der Rückfall in Hartz-IV-Zeiten droht
„Das Bürgergeld hat die Erwartungen nicht erfüllt, und muss deshalb weiter reformiert werden“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner im ARD-„Sommerinterview“ . CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht sich in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe dafür aus, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen.
Die Bundesregierung plant massive Einschnitte für Bürgergeld-Empfänger. Doch ist das eine Rückkehr zu Hartz IV? FOCUS online macht den Check.
Pendelzeit
Was plant die Bundesregierung ab 2025? Die zumutbare Pendelzeit und die Pendeldistanz werden erhöht. Künftig müssen Leistungsempfänger bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden eine Arbeit annehmen, bei der der tägliche Arbeitsweg nicht mehr als drei Stunden (Hin- und Rückweg) beträgt. Bei weniger Stunden müssen sie mindestens 2,5 Stunden Pendelzeit in Kauf nehmen. Dazu sollen die Jobcenter den Einzugsbereich erweitern. Wer Bürgergeld bezieht, soll Jobs angeboten bekommen, die bis zu 50 Kilometer von seinem Wohnort entfernt sind.
Was gilt seit Einführung des Bürgergelds? Bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden gilt eine maximale Pendelzeit von 2,5 Stunden pro Tag. Kürzere Arbeitszeiten bedeuten auch kürzere Pendelzeiten - konkret zwei Stunden. Die Umkreissuche ist automatisch auf eine Entfernung von 50 km vom Wohnort voreingestellt.
Was galt mit Hartz IV? Als Obergrenze wurde häufig ein täglicher Arbeitsweg von bis zu 50 Kilometern pro Strecke (also insgesamt 100 km Hin- und Rückweg) angesehen. Das konnte jedoch in Abhängigkeit von der regionalen Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und der jeweiligen Infrastruktur variieren. Grundsätzlich wurde eine Pendelzeit von drei Stunden als „zumutbar“ angesehen.
Fazit: Für die Pendelzeit gelten nun die gleichen Regelungen wie beim Arbeitslosengeld II (bzw. Hartz IV).
Sanktionen
Was plant die Bundesregierung? Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, wird mit verschärften Kürzungen des Bürgergeldes rechnen müssen. Das Jobcenter soll somit bei Pflichtverletzungen des Bürgergeldempfängers direkt Sanktionen in Höhe von 30 Prozent für drei Monate verhängen. Damit sollen deutliche Anreize zur Arbeitsaufnahme gesetzt werden.
Was gilt jetzt beim Bürgergeld? Jobcenter können Personen, die eine zumutbare Arbeit dauerhaft ablehnen, das gesamte Bürgergeld für bis zu zwei Monate streichen. Aber Sanktionen sind im ersten halben Jahr ausgeschlossen. Ausnahmen gelten für harte Terminversäumnisse.
Was galt mit Hartz IV? Die Sanktionspraxis der Jobcenter hatte das Bundesverfassungsgericht im November 2019 nach jahrelanger Kritik stark eingeschränkt. Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger diszipliniert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das Verfassungsgericht entschied am 5. November 2019, das monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die Jobcenter dürften somit die monatlichen Leistungen um bis zu 30 Prozent kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen.
Fazit: Das Bürgergeld erinnert bei den Sanktionen stark an die alten Hartz-IV-Regelungen.
Karenzzeiten
Was plant die Bundesregierung? Die Karenzzeit wird auf sechs Monate halbiert. Das Schonvermögen liegt ab 2025 für Empfänger bei maximal 15.000 Euro.
Was gilt aktuell beim Bürgergeld? Leistungsempfänger dürfen in der Karenzzeit (ein Jahr) das Ersparte behalten. So darf Vermögen erst ab 40.000 Euro angetastet werden, für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft ab 15.000 Euro.
Was galt bei Hartz IV? Es war wesentlich komplizierter und strenger. Geld floss nur, wenn das Vermögen aufgebraucht war. Das Vermögen wurde dabei ab dem Zeitpunkt der Antragstellung im Detail geprüft und angerechnet. Außerdem wurde geprüft, um welches Vermögen es sich handelte. Eine Ausnahme gab es allerdings: In der Regel durften die Empfänger je nach Alter und Lebensumständen maximal 10.050 Euro an Vermögen für „notwendige Anschaffungen“ anhäufen.
Fazit: Kein Vergleich. Hartz IV war wesentlich komplexer und strenger in Bezug auf Karenzzeit und Schonvermögen.
Meldefristen
Was plant die Bundesregierung? Es sollen neue Meldefristen für Bürgergeldbezieher gelten, die kurzfristig einen Job annehmen könnten. Das sind beispielsweise Empfänger, die keine Kinder zu betreuen haben oder keine Fortbildungsmaßnahme absolvieren. Sie müssen sich einmal im Monat beim Arbeitsamt melden.
Was gilt aktuell beim Bürgergeld? Empfänger sind verpflichtet, sich regelmäßig beim Jobcenter zu melden und zu Terminen zu kommen. Sind Leistungsbezieher nicht erreichbar oder fahren sie in den Urlaub, müssen sie dies der Behörde mitteilen.
Was galt bei Hartz IV? Im Regelwerk galt eine allgemeine Meldepflicht. War ein Job verfügbar oder wurde ein Attest verlangt, musste sich der Empfänger beim Jobcenter melden.
Fazit: Bürgergeldempfänger müssen sich häufiger beim Arbeitsamt melden. In Einzelfällen galt dies in der Vergangenheit auch für Hartz-IV-Empfänger.
1-Euro-Job
Was plant die Bundesregierung? Totalverweigerer sollen beim Jobcenter verstärkt 1-Euro-Jobs angeboten bekommen.
Was gilt aktuell beim Bürgergeld? Für Langzeitarbeitslose werden sozialversicherungsfreie Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (AGH-MAE) angeboten. Damit soll ihnen der Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtert werden.
Was galt bei Hartz IV? Auch damals mussten schwer vermittelbare Hartz-Empfänger einen 1-Euro-Job ausüben.
Fazit: Die Maßnahme war schon immer Teil von Hartz IV und Bürgergeld.
Kommt das Hartz IV jetzt zurück?
Nein. Aber ...
Erste Politiker wittern zwar bereits eine Rückkehr zu alten Strukturen. Die SPD-Sozialexpertin Annika Klose spricht sogar von einem Rückfall „in das alte Hartz-IV-System". Doch tatsächlich handelt es sich bei den geplanten Reformen nur um punktuelle Anpassungen. Zumindest was die Meldepflicht und die Sanktionen betrifft.
Hartz IV war wesentlich komplexer, strenger und auch unstrukturierter. Das System bestand aus einer Vielzahl von Regelungen und Ausnahmen, die es vielen Leistungsempfängern schwer machten, ihre Rechte und Pflichten zu verstehen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Bundesregierung in einigen Punkten eine Annäherung an das alte System vornimmt. Zumindest was die Meldepflicht und die Sanktionen betrifft. Allerdings sind die Regelungen deutlich verständlicher und übersichtlicher.
Die größten Unterschiede gibt es bei der Höhe der Leistungen. Zum Jahresbeginn war der Regelsatz für Alleinstehende um durchschnittlich rund zwölf Prozent auf 563 Euro im Monat gestiegen. Zum Start des Bürgergeldes in 2023 lag diese Summe bei 502 Euro. Im Jahr 2022 erhielten Hartz-IV-Empfänger einen Regelsatz von 449 Euro im Monat. Im Jahr 2021 waren es 446 Euro.
Die Jobcenter müssen zudem mit Einführung für ein Jahr die tatsächliche Warmmiete in voller Höhe übernehmen. Beim Arbeitslosengeld II galt das nicht. Zwar übernahm das Jobcenter auch bei Hartz IV die Miete, sie musste aber sogar bei Beginn der Leistungszahlung „angemessen“ sein.
Warum will die Bundesregierung beim Bürgergeld nachschärfen?
Die Kosten laufen aus der Ruder. Zudem steigt auch die Zahl der Empfänger und die deutsche Wirtschaft leidet unter einem Arbeitskräftemangel.
Die Zahlen sprechen Bände: Im Jahr 2023 hatte Deutschland rund 42,6 Milliarden Euro für das Bürgergeld ausgeben. Das waren 5,6 Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer hervorgeht.
Die Zahl der Leistungsbezieher erhöhte sich von 3,7 Millionen (in 2022, Hartz IV) auf rund vier Millionen (in 2024, Bürgergeld).
Für 2024 könnten zudem die Kosten weiter steigen. Zum Jahresbeginn war der Regelsatz um durchschnittlich rund zwölf Prozent gestiegen.