Reaktionen auf Partei-Rücktritt - Nach Grünen-Beben zerfällt Ampel weiter: "Noch ein Jahr verkraftet unser Land nicht"

Der Rücktritt des Bundesvorstands der Grünen am Mittwoch hat die Diskussion um den Zustand und die Zukunft der Ampelkoalition weiter angeheizt.

„Die Fliehkräfte in der Ampel nehmen weiter zu“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei zu Reuters. „Mit dem Rücktritt des gesamten Parteivorstands der Grünen zerbröselt die Koalition vor laufenden Kameras“, sagte der CDU-Politiker.

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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann brachte am Mittwoch gar vorgezogene Bundestagswahlen ins Spiel. „Noch ein Jahr Ampel wird unser Land nicht verkraften“, sagte Linnemann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Ich bleibe dabei: An Neuwahlen führt kein Weg vorbei“, so der 47-Jährige.

Dieser Forderung schloss sich auch Sahra Wagenknecht an. Zwar lobte BSW-Vorsitzende die Grünen-Spitze dafür politische Verantwortung übernommen zu haben. „Viel zu oft erleben wir heute eine Unkultur der politischen Verantwortungslosigkeit und das Kleben an Ämtern, egal, wie mies die Performance ist“, sagte Wagenknecht der „Rheinischen Post“. Gleichzeitig ermunterte die BSW-Politikerin die Minister:innen der Grünen dazu, dem Beispiel Langs und Nouripours zu folgen und den Weg für Neuwahlen freizumachen.

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In ähnlicher Weise äußerte sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Nachmittag. Aus Sicht des CSU-Chefs sind Ricarda Lang und Omid Nouripour „nichts anderes als Bauernopfer“, sagte er in Berlin. In der Verantwortung für die sinkende Akzeptanz der Grünen sei viel mehr Wirtschaftsminister Robert Habeck. Dessen Rücktritt sei „fällig und Neuwahl bei der Ampel auch – Punkt“, sagte Söder.

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Scholz sieht keine Konsequenzen für die Zukunft der Ampel

Bundeskanzler Olaf Scholz geht hingegen nicht davon aus, dass der Personalwechsel an der Grünen-Spitze Folgen für die Arbeit der Ampel-Koalition haben würde. Der Kanzler habe eng und vertrauensvoll mit den Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour zusammengearbeitet daher bedaure er diesen Schritt, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Namen von Scholz mit. Gleichzeitig stellte Hebestreit klar: „Das hat keinerlei Auswirkung auf die Koalition.“

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Das sieht man in der SPD-Spitze nicht anders. „Wir sind hier im Arbeitsmodus, nach wie vor“, sagte Katja Mast, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Partei. Sie gehe davon aus, dass auch die Grünen noch ihre Themen durchbringen wollten. „Deshalb gehe ich davon aus, dass dies eine Neusortierung innerhalb der Grünen-Partei bedeutet und nicht innerhalb der Regierung und der Grünen-Fraktion“, betonte Mast. Auch sie sehe keine Auswirkungen auf die SPD und die Arbeit der Ampel-Koalition.

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Die SPD-Parteivorsitzenden wollte am Mittwochvormittag keine Aussagen zu möglichen Auswirkungen auf die Ampel-Koalition treffen. Saskia Esken und Lars Klingbeil bedankten sich beim Grünen-Vorstand „von Herzen“ für die bisherige Zusammenarbeit.

„Wir haben gemeinsam an der Spitze unserer beiden Parteien stets verlässlich und vertrauensvoll Dinge besprochen und geklärt“, heißt es in einem gemeinsamen Statement. „Trotz mancher inhaltlicher Unterschiede war diese Partnerschaft sehr angenehm, weil sie auch menschlich belastbar war.“ 

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Vom dritten Koalitionspartner reagierte zuerst die EU-Parlamentarierin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf den Rücktritt der Grünen-Spitze. „Ich habe Respekt vor der Entscheidung“, schrieb die FDP-Politikerin auf X. Die Düsseldorferin appellierte auch an andere Parteien über Folgen aus den Wahlergebnissen im Osten nachzudenken. „Jeder Akteur muss sich genau überlegen, welche Konsequenzen er aus der aktuellen Situation zieht“, so Strack-Zimmermann. 

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Parteichef Christian Lindner ließ etwaige Folgen später offen. „Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat“, schrieb der FDP-Politiker auf X. Lindner forderte nun wieder zur Sacharbeit zurückzukehren.

Habeck sieht Weg für „kraftvollen Neuanfang“

Innerhalb der Grünen sollen nach Tagesspiegel-Informationen selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock von der Ankündigung Langs und Nouripours überrascht worden sein. Deren Rücktritt bezeichnete Habeck gegenüber der Deutschen-Presseagentur als „großen Dienst an der Partei“. „Sie machen den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang“, sagte Habeck. Das sei nicht selbstverständlich und ein Zeichen großer Stärke und Weitsicht.

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Für die schlechten Wahlergebnisse seiner Partei nahm Habeck auch sich selbst nicht aus der Schusslinie. „Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen“, sagte Habeck.

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Auch Baerbock sieht Verbesserungspotenzial – sowohl bei ihrer Partei als auch der Regierungskoalition insgesamt. „Wir alle, die wir für die Grünen und dieses Land Verantwortung tragen, müssen uns fragen, was wir anders machen können und müssen“, erklärte Baerbock am Rande der UN-Generalversammlung in New York.

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Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, hält die Entscheidung von Lang und Nouripour für richtig. Zwar hätten beide „die Partei in nicht einfachen Zeiten mit hoher Loyalität zur Bundesregierung geführt“, teilte Kretschmann mit. Das verdiene Respekt. „Es ist aber auch richtig, die Konsequenzen aus den Wahlergebnissen zu ziehen und den Weg für einen personellen Neuanfang freizumachen“, so der 76-Jährige.

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Die Grünen-Spitze hat nach den Misserfolgen der Partei bei den Europawahlen sowie den Landtagswahlen im Osten als erste Partei personelle Konsequenzen gezogen. Die Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour gaben in Berlin den geschlossenen Rücktritt des Grünen-Parteivorstandes im November bekannt. Auf dem Bundesparteitag Mitte November solle ein neuer Vorstand gewählt werden. (mit Reuters)

Von Felix Kiefer

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