Nach 4 Tagen am Gardasee ahne ich: Es wird nie wieder so sein wie früher
- Im Video oben: Viel weniger Deutsche, Hotels am Gardasee leer: "Ein bitterer Sommer"
Das vorletzte Mal, dass ich am Gardasee war, ist einige Jahre her. Ich fuhr im Wagen auf dem Weg von Süditalien nach Norden auf der A22 fast direkt an ihm vorbei. Es war um die Mittagszeit im September, ein warmer Spätsommertag.
Ich hatte Zeit und Hunger und dachte: 'Jetzt in einem Fischrestaurant in Lazise eine Dorade mit Rosmarinkartoffeln - das wäre der perfekte Abschluss, bevor es dann gemütlich über die Alpen zurück nach Deutschland geht.' Gesagt, getan.
Ich muss zugeben, ich erinnere mich nicht mehr an den Preis, den ich damals zahlte. Aber was ich weiß, ist, dass ich überraschend teure Preise nicht vergesse. Dafür esse ich zu oft Doraden in Restaurants.
Preise ziehen an: Warum immer mehr Deutsche den Gardasee meiden
Jetzt bin ich ans Südostufer des Gardasees als Reporter zurückgekehrt, um herauszufinden, warum immer weniger Deutsche dorthin fahren und offenbar immer weniger Geld ausgeben.
Und noch bevor ich die Speisekarten in Lazise studieren kann, deren Preise mancherorts ziemlich gepfeffert sind, klagte mir eine Hotelbesitzerin der Region ihr Leid: "Ich habe kürzlich für eine Pizza Calzone und ein Glas Wasser 20 Euro bezahlt. Eine absolute Unverschämtheit."
Lazise und Bardolino schlagen Alarm: Tourismus rutscht in die Krise
Wer in diesen Tagen an den größten italienischen Binnensee fährt, der vor etwa 70 Jahren zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Deutschen im Bel Paese wurde, kann schnell verwirrt sein.
Es waren Tourismusexperten der Regionen aus Lazise und Bardolino, die vor zwei Wochen im "Corriere della Sera" Alarm schlugen. Sie erzählten von happigen Teuerungsraten in Gastronomie und Hotellerie – und Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent.
In Bardolino geht es in diesen Tagen gemächlich zu. So gemächlich, dass Einzelhändler wie Donadio Russo lange Zeit allein in ihrem Geschäft stehen und mir erzählen: "Wenn das so weitergeht, werde ich Personal entlassen müssen und Ware in China bestellen."

Gästezahlen am Gardasee in 10 Jahren um 40 Prozent gestiegen
Die Preisniveaus sind vor dem Hintergrund diverser globaler Krisen angestiegen, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger, auch in Deutschland. Wer jedoch einen Blick auf die Top 20 aller italienischer Kommunen mit den meisten Übernachtungen für das Jahr 2024 wirft, wird staunen.
Lazise rangiert mit rund 4,1 Millionen Übernachtungen auf dem 10. Platz – mit mehr als zehn Prozent der Übernachtungszahlen von Rom (37,25 Millionen, Platz 1). Bardolino schafft es immerhin mit 2,38 Millionen Übernachtungen auf Platz 22, davor Peschiera del Garda mit 2,44 Millionen auf Platz 21.
Der regionale Hoteldachverband "Federalberghi" für die Gardesee-Kommunen, die im Südosten des Sees zur Region Venetien gehören, konstatiert einen Zuwachs der Tourismuszahlen von sage und schreibe 40 Prozent in den vergangenen zehn Jahren.
Allein 2024 hat Angaben von Federalberghi zufolge der Tourismus-Sektor in den betroffenen Gemeinden einen "Reichtum" von 2,7 Milliarden Euro generiert. Wer sich umschaut, sieht: Die Gassen der kleinen Altstadt von Lazise sind mitunter so voll von Menschen, dass es weder vor noch zurück geht.

Am Südostufer des Gardasees wurden kurz nach dem Bericht des "Corriere della Sera" auch kritische Stimmen laut, dass diese Zahlen überhaupt in Umlauf gebracht worden seien. "Ich glaube das zwar nicht, dass sich das negativ auswirkt, aber es gibt doch so manchen, der jetzt sagt, dies sei schlechter für unsere Region", sagte der Lederjackenschneider Donadio Russo mir in seinem Geschäft.
Werden Hoteliers mit "Qualitätsoffensive" Billigtouristen ausbremsen?
Insgesamt sind die Tourismuszahlen jedoch bis einschließlich 2024 stark gestiegen. Und zwar so sehr, dass selbst in Lazise, wo die Übernachtungszahlen trotz Besucherrekorden im Vorjahr wie in Bardolino inzwischen spürbar schrumpfen, nun sogar vor einer drohenden Gefahr des "Übertourismus" gewarnt wird.
Ivan De Beni, Präsident der "Federalberghi Garda Veneto", erklärte Ende voriger Woche, die hohen Tourismuseinnahmen von 2,7 Milliarden Euro im vorigen Jahr seien ein Beweis dafür, dass es den Gardaseegemeinden so schlecht, wie einige "Kritiker" jetzt behaupteten, gar nicht gehen könne.
Und dann spricht der Federalberghi-Chef auf der Website seines Verbandes plötzlich von "neuen Herausforderungen für die Zukunft". Man solle sich fragen, ob nun nicht der Moment gekommen sei, dieses "exponentielle Wachstum" des Tourismus, von dem das gesamte Territorium profitiert habe, zu stoppen.
"In diesem Augenblick haben wir einen Tourismus auf einem nachhaltigen Niveau erreicht. Wir sollten uns aber fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, diese Zahlen mit einer Qualitätsoffensive auf dem jetzigen Niveau zu halten."
Liebe Leser, Sie sind selbst in diesem Sommer am Gardasee gewesen und verärgert über Abzocke mit zu teuren Hotels, Restaurants und Gebühren oder finden vielleicht, dass alles gar nicht so schlimm ist? Dann schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen auf und schicken den Bericht mit dem Stichwort "Gardasee" an: Mein-Bericht@focus.de
Hotels in Lazise trotz Rekordbesucherzahlen zu 20 Prozent leer
Das ist aber nur die halbe Wahrheit – und der Tag, an dem ich in Lazise war, war Markttag, da ist in dem Ort im Sommer immer viel los.
Der Verband der Hotelunternehmer aus Lazise präsentierte zuletzt ernüchternde Details. "70 bis 80 Prozent sind ausgebucht, aber 20 Prozent der Unterkünfte bleiben leer", sagte Verbandspräsidentin Virginia Torre Anfang August dem "Corriere della Sera".
Vor allem Last-Minute-Buchungen fehlten. "Überall sind Kosten und Preise gestiegen. Zahlte eine vierköpfige Familie für ein Pizzaessen früher 50 Euro, muss sie heute das Doppelte ausgeben", lamentierte Torre.
Noch deutlicher wird Fabio Pasqualini, Präsident der Handelskammer von Bardolino. "Es fehlen Deutsche und Italiener, die nur zu einem Teil von einer höheren Zahl von Gästen aus dem Norden Europas ausgeglichen werden." Die aber würden bevorzugt auf Campingplätzen statt in Hotels wohnen und seien weder als kaufkräftige Einkäufer noch als Aperitif-Konsumenten bekannt.
Teuerungsraten von "30 bis 50 Prozent"
Pasqualini, der in Bardolino selbst Hotels, Einzelhandelsläden und Restaurants wie das bekannte "Cristallo" an der Seepromenade betreibt, wo die Preise noch moderat sind, berichtet, dass die Straßen und Plätze von Bardolino im Juli oft nur spärlich besucht waren. Selbst die berüchtigten Autokolonnen auf der "Gardasana", der Uferstraße des Gardasees, mit Fahrzeugen ausländischer Kennzeichen, vor allem deutscher, habe es in diesem Jahr kaum gegeben.
Der Handelskammerchef spricht sogar von Teuerungsraten bei Reisen "von 30 bis 50 Prozent". Und selbst ein zweiwöchiger Urlaub auf einem Campingplatz in Lazise kann eine vierköpfige Familie schnell 3300 Euro kosten – Fahrtkosten und Mautgebühren noch nicht mal inbegriffen, wie eine Augsburger Familie FOCUS online vor Ort bei einem Kassensturz vorrechnete.

Ob bei diesem Vorschlag auch die anderen Verbände und Kommunen mitziehen werden, bleibt abzuwarten. Sollte sich diese Strategie durchsetzen, könnte einem weiteren Anstieg der Besucherzahlen damit vermutlich tatsächlich Einhalt geboten werden.
Die Gardaseekommunen sind aber sicher gut beraten, ebenso darüber nachdenken, wie viele Preiserhöhungen sie den Urlaubern noch zumuten wollen. Je weniger am Ende kommen, desto teurer würde das Angebot zwangsläufig werden.
Das könnte die Ära des Gardasees zumindest zu einem Teil als Urlaubsparadies für Normalverdiener nach mehr als 70 Jahren beenden. Und mich, falls ich mal wieder auf der A22 vom Süden Richtung Deutschland fahre, vielleicht bis Bozen weiterdüsen lassen, um dort Südtiroler Schlutzkrapfen statt Dorade am Gardasee zu essen.
Mit diesem Text zieht FOCUS-online-Reporter Ulf Lüdeke eine schonungslose Bilanz seiner Reise an den Gardasee, wo er vier Tage lang mit Urlaubern und Einheimischen über die Krise sprach.
Hier finden Sie die einzelnen Reportagen noch einmal im Überblick: