Parteienforscher im Interview - Das Phänomen Alice Weidel: „Führungsfigur, aber keine charismatische Patriarchin“

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IMAGO/Panama Pictures Ein Wahlplakat der AfD. Es zeigt Kanzlerkandidatin Alice Weidel.
Freitag, 21.02.2025, 10:06

Benjamin Höhne forscht zur AfD und Frauen in Rechtsaußen-Parteien. In Alice Weidel erkennt er keine besonders charismatische Politikerin. Sie wirkt unnahbar. verliert schnell die Contenance. Doch die AfD-Frontfrau hat auch eine große Stärke.

FOCUS online: Herr Höhne, Sie forschen seit Jahren zur AfD. Wie haben Sie Kanzlerkandidatin Alice Weidel bei ihren jüngsten TV-Auftritten wahrgenommen?

Benjamin Höhne: Ich habe nicht alle gesehen. Aber die Ausschnitte, die ich kenne, waren bezeichnend.

Inwiefern?

Höhne: Weidel verkauft sich bürgerlich. Als Gast in der „Wahlarena“ schüttelte sie den Moderatoren und dem Bundeskanzler die Hände, als wäre sie in der politischen Mitte akzeptiert. Aber sie wirkte auch unterkühlt und unnahbar, was im Gegensatz zum Anspruch des Populismus steht, nah am Bürger oder sogar aus deren Mitte zu sein.

Die Kanzlerkandidatin soll hauptsächlich in der Schweiz leben. Auch das könnte dem „bürgernahen“ Bild der AfD schaden.

Höhne: Unsere Parteien sind so aufgebaut, dass die Politiker einen starken Bezug zu ihrem Wahlkreis und den Menschen dort haben. Weidel tritt für den Bodenseekreis an, wo sie nach eigenen Angaben ihren Hauptwohnsitz hat. Allerdings gibt es viele Hinweise darauf, dass sie sich dort kaum blicken lässt. Sie haben schon Recht: Ob so eine enge Verbindung zur lokalen Bevölkerung entstehen kann, ist fraglich.

„Weidel hat immer wieder versucht, das Thema zu umschiffen“

Weidel sagte zuletzt, sie sehe sich als Anwältin der Menschen, nicht als Politikerin.

Höhne: Solche Aussagen verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn man im eigenen Wahlkreis so gut wie nie zu sehen ist. Das kann den Eindruck der Abgehobenheit befördern.

Die „Tagesschau“ bezeichnete Weidel im vergangenen Jahr als „Frau der Widersprüche“. Das liegt unter anderem an ihrem Lebensmodell: Sie ist lesbisch und zieht zwei Kinder mit einer in Sri Lanka geborenen Partnerin groß. Ihre Partei propagiert „die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern“. Wie passt das zusammen?

Höhne: Nicht besonders gut, zumindest von außen betrachtet. Weidel hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, dieses Thema zu umschiffen. In der „Wahlarena“ wurde sie dann überraschend deutlich und sagte, Lebenspartnerschaften wie ihre eigene sollten der Ehe gleichgestellt sein. Ein bemerkenswert progressives Statement, das in der Programmatik ihrer Partei aber wohl ein Lippenbekenntnis bleiben wird.

Scheint so.

Höhne: Weidel steckt in einem Spannungsverhältnis. Die AfD vertritt, wie Sie sagen, ein sehr traditionelles Familienbild: eine Ehe aus Mutter und Vater und mit mehreren Kindern. Die Partei sperrt sich gegen alles, was dieses Bild auflockern könnte. Weidels eigenes Lebensmodell wirkt da exotisch. Sie scheint diesen Gegensatz aber ganz gut auszuhalten.

Es sieht so aus, als sei die AfD-Kanzlerkandidatin an ihrem Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla vorbeigezogen. Zumindest, was den politischen Einfluss betrifft.

Höhne: Ja. Lange war offen, wer von beiden sich als Kanzlerkandidat durchsetzen würde, der ostdeutsche Chrupalla oder die westdeutsche Weidel. Weidel ist seit 2013 in Parteimitglied. Sie hat es nach ganz oben geschafft. Sie hat sich an die vorherrschenden Strömungen angepasst, ist mitgeschwommen. Und hat sich von den Scharfmachern der Partei mitreißen lassen, ohne die nicht ganz so weit rechts stehenden Mitglieder aus dem Blick zu verlieren.

„Mit einer anderen Person hätte die Normalisierungsstrategie besser aufgehen können“

Man könnte sagen: Sie ist inzwischen selbst eine Scharfmacherin.

Höhne: Das sehe ich anders. Weidel hat sich in ihren Reden zuletzt zwar radikalisiert. Das ist in meinen Augen aber mehr Mitgehen als eigener Impuls. Sie hat bisher eher versucht, mit ihrer vermeintlichen Wirtschaftskompetenz zu punkten, weniger mit extremen Parolen.

In Wahlsendungen wird immer wieder betont, dass die AfD eine in Teilen rechtsextreme Partei ist. Weidel versucht, dieses Bild abzuschwächen. Gelingt ihr das?

Höhne: Ganz ehrlich? Ich glaube, mit einer anderen Person an der Spitze hätte die Normalisierungsstrategie der AfD besser aufgehen können. Weidel erscheint oft unsympathisch und unnahbar.

Aber eine Frau an die Spitze einer Rechtsaußen-Partei zu stellen, ist nichts Ungewöhnliches.

Höhne: Das stimmt, zumindest nicht mehr. Es gibt mehrere internationale Beispiele: den Rassemblement National mit Marine Le Pen, die Fratelli D’Italia mit Giorgia Meloni. Frauen schreibt man stereotyp andere Eigenschaften als Männern zu: vielleicht ein sanfteres Gemüt, einen weicheren Umgangston oder mehr Moderation als Basta-Führung. Das soll positiv auf die jeweilige Partei ausstrahlen.

In Frankreich und Italien scheint die Strategie aufgegangen zu sein.

Höhne:  Ja. Mit der Mainstreaming-Strategie, wozu Frauen als Führungspersonen gehören, konnte in Frankreich der traditionelle Gender Gap der Rechtsaußen-Parteien weithin geschlossen werden.

Die AfD ist, wenn man auf die Umfragen schaut, sehr erfolgreich. Sie kommt derzeit auf um die 20 Prozent – obwohl sie in Teilen rechtsextrem ist. Wie erklären Sie sich das?

Höhne: Es wäre zu einfach, allein die schlechte Performance der Ampel für den Erfolg der Partei verantwortlich zu machen. Ich glaube, dass es sehr viele unterschiedliche Gründe dafür gibt. Sie hängen auch mit den großen gesellschaftlichen Umbrüchen zusammen, die uns bevorstehen. Der Klimawandel wird zum Beispiel tiefgreifende Wandlungsprozesse nach sich ziehen, die bisherige Gewissheiten infrage stellen.

Über den Interviewpartner

Benjamin Höhne ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Seit April 2024 vertritt er die W3-Professur für Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der TU Chemnitz. Höhne beschäftigt sich seit Jahren eingehend mit der AfD. 2022 hat er an der Johns Hopkins University zu weiblichen Führungskadern in Rechtsaußenparteien geforscht.

„Weidel ist keine charismatische Patriarchin“

Was denken Sie: Welche Strategie fährt Weidel innerparteilich?

Höhne: Die AfD ist im Vergleich zu anderen Parteien sehr basisdemokratisch ausgerichtet. Daher ist es in besonderem Maße wichtig, den Eindruck zu vermitteln, das zu tun, was sich die Mehrheit der Partei wünscht. Das ist dem Gründer Bernd Lucke damals zu wenig gelungen, auch weil er die Macht an sich reißen wollte. Weidel schätze ich diesbezüglich geschickter ein.

Wohin führt sie die Partei?

Höhne: Ihre Statements sind zuletzt radikaler geworden. Das sind Signale ins extreme Rechtsaußen-Lager - und auch Zeichen, dass man sich mit dem Höcke-Flügel arrangiert. Weidel ist als Co-Sprecherin zweifelsohne eine Führungsfigur in ihrer Partei.

Aber sie ist keine charismatische Patriarchin, mit der die Organisation steht und fällt wie Sahra Wagenknecht beim BSW. Weidel muss sich permanent um Zustimmung innerhalb ihrer Partei bemühen und dabei den richtigen Ton treffen.

Bemerkenswert ist jedenfalls, wie lange sich Weidel in der AfD halten konnte. Sie hatte immer wieder Spitzenämter inne.

Höhne: Das hat sie meiner Meinung nach ihrer politischen Anpassungsfähigkeit zu verdanken. Zugute kommt ihr auch ihre persönliche Robustheit. Parteien mit rechtsextremen Zügen sind vom Grunde her frauenfeindliche Umgebungen. Der Weg an die Spitze der Partei war sicherlich kein Selbstläufer. Wahrscheinlich hat sie auch einen starken persönlichen Antrieb.

Und was könnte das sein?

Höhne: Das ist schwer zu sagen. Sie wohnt in der Schweiz, zieht mit ihrer Frau Kinder groß. Ich kann kein Trauma erkennen, keine offene Rechnung, die andere Personen in der Politik persönlich motiviert haben mag. In der Forschung wird das Phänomen von Frauen in rechten Parteien als strategische deskriptive Repräsentation bezeichnet. Das heißt, es spielen Kalküle und weniger Geschlechtergerechtigkeits-Überzeugungen eine Rolle.

„In ihrer Anpassungsfähigkeit liegt Weidels größte Stärke“

Was war Ihr Eindruck: Saß Weidel bei ihren jüngsten Wahlkampf-TV-Auftritten fest im Sattel? Faktenchecks ergaben, dass einige ihrer Statements nicht stimmten, außerdem schien sie konkrete Antworten zu vermeiden – zum Beispiel, als es um eine sichere Energieversorgung in Deutschland ging.

Höhne: Nein, sie saß alles andere als fest im Sattel. Es gab einige Momente, in denen sie herumgedruckst oder das Thema gewechselt hat. Das muss der AfD aber nicht schaden. Es hat sich ein loyaler Stamm an Wählern herausgebildet, der zur Partei steht. Diesen Menschen ist fast egal, was passiert.

Was sind Weidels größte Schwächen?

Höhne: Sie verliert zu schnell die Contenance. Außerdem wirkt sie oft kalt und distanziert.

Und wo liegen ihre größten Stärken?

Höhne: In ihrer Anpassungsfähigkeit: Sie hat sich in der Partei durchgesetzt, viele wichtige Ämter belegt: Partei-Chefin, Kanzlerkandidatin. Weidel modernisiert das Image, das man von einer Rechtsaußen-Partei hat - als lesbische Frau mit internationaler Karriere. Dabei trägt sie diese Merkmale nicht wie eine Monstranz vor sich her, um die im Kern patriarchale Partei und ihre Wähler nicht zu irritieren.

Zu Björn Höcke hatte die AfD-Kanzlerkandidatin früher kein gutes Verhältnis, wollte ihn sogar aus der Partei werfen. Heute sind ihre Statements widerstrebend. Warum schwimmt Weidel so, wenn sie auf Höcke angesprochen wird? 

Höhne: An Höcke führt innerparteilich kein Weg vorbei. Er hat bei den jüngsten Landtagswahlen die bisher besten Wahlergebnisse für die AfD eingefahren. Er ist der Scharfmacher, der die Partei auf den Rechtsaußen-Kurs eingeschworen hat. Vor allem besitzt er eine innerparteiliche Machtbasis, längst nicht mehr nur in den Ostverbänden.

„Unterm Strich macht Weidel aus AfD-Sicht vieles richtig“

Und was bedeutet das für Weidel?

Höhne: Sie muss sich mit ihm arrangieren. Sie weiß, dass der Rechtsaußen-Kurs unter Höcke ein Problem ist, wenn sie an die Regierungsmacht kommen will. So macht man es der Union leicht, sich von ihr abzugrenzen. Gleichzeitig sieht Weidel Höckes Erfolge.

Was würden Sie sagen: Wie ist die Stimmung innerhalb der AfD gerade? Immerhin ist klar, dass die Partei nicht in Regierungsverantwortung kommen wird. Alle anderen größeren Parteien haben eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ausgeschlossen.

Höhne: Die Stimmung ist sicherlich gut. Die AfD profitiert vom Trend der Versicherheitlichung, der sich um die Migrationsfrage aufgebaut hat. Andere Parteien ziehen bei ihren Kernthemen mit. Dass die AfD wirklich Regierungsverantwortung übernehmen will, bezweifle ich aber.

Warum?

Höhne: Weil die Partei dann vielmehr Regeln einhalten, Kompromisse machen und politische Verantwortung übernehmen müsste – in einer Koalition auch für Dinge, bei denen sie gar kein Zutun hat.

Wäre die AfD an der Macht, würde sie an ihrer Problemlösungskompetenz gemessen werden. In der Opposition dagegen kann sie schon jetzt ihre Agenda verfolgen, Debatten vergiften, weiter das demokratische System unterminieren und zivilgesellschaftliche Kräfte einschüchtern, die ihrer braunen Ideologie entgegenstehen.

Würde eine AfD ohne Alice Weidel anders aussehen?

Höhne: Unterm Strich macht Weidel aus AfD-Sicht vieles richtig. Vor allem nach innen hält sie die Partei zusammen. Weidel moderiert zwischen den radikalen und den gemäßigteren Kräften, wenn man davon überhaupt in einer Partei sprechen kann, die in der Forschung unter dem Label „extreme Rechte“ firmiert. Sie könnte im Rahmen der Normalisierungsstrategie ein Scharnier zu neuen Wählergruppen bilden, wenn sie sich selbst weniger im Weg stehen würde.

sca/