Putin folgt Jules Verne: Gas-Handel unter dem Meer mit Atom-U-Booten
Keine 20.000 Meilen unter dem Meer, aber kaum weniger utopisch: Russland will flüssiges Gas unter dem Eis transportieren. In neuen Atom-U-Booten.
Moskau – „Kurz gesagt, das ist Unsinn von Kowaltschuk“, sagt Alexander Nikitin gegenüber dem Magazin The Barents Observer. Der Atomexperte spielt an auf Michail Kowaltschuk, den Präsidenten des in Russland ansässigen Kurchatov-Instituts, Russlands führender Kernforschungseinrichtung. Zusammen mit Wladimir Putin hat der bald 80-Jährige jetzt den Plan wiederbelebt, Russlands atomgetriebene U-Boote so umzurüsten, dass sie künftig verflüssigtes Erdgas (LNG) aus der Arktis nach Asien transportieren können. Der Atomexperte Alexander Nikitin, der bis 2022 dem in St. Petersburg ansässigen Zentrum für Umweltrechte vorstand, bezeichnet die Pläne als Fantasien, die keinerlei Grundlage in der Realität hätten, wie The Barents Observer schreibt.
Bisher müsse Russland nuklear betriebene Eisbrecher einsetzen, um auf der nördlichen Seeroute den Weg für Gas-Frachter freizumachen, schreibt die Bild. Der Kreml scheint aber über zu wenige Eisbrecher zu verfügen, so dass die Energieversorgung Russlands unter den Verzögerungen aufgrund der knappen Transportkapazitäten zu leiden hätte. Deshalb habe das Kurchatov-Institut in Kooperation mit dem russischen Energie-Monopolisten Gazprom den Bau von Unterwasser-Gastankern geplant beziehungsweise begonnen.
U-Boot-Idee utopisch: Russland fehlen Schiffbaukapazitäten
Wie das Magazin Interesting Engineering berichtet, sollen bereits Entwürfe vorliegen. „Der Präsentation zufolge wird erwartet, dass die Gastanker mit drei Rhythm-200-Atomreaktoren ausgestattet sein werden, die von drei Propeller-Elektromotoren mit einer Leistung von jeweils 30 Megawatt angetrieben werden. Da sie keinen Kontakt mit Eis haben, wird ihre Geschwindigkeit etwa 17 Knoten betragen, was die Reisezeit entlang der Nordseeroute von 20 auf zwölf Tage verkürzen wird“, schreibt Interesting Engineering-Autor Prabhat Ranjan Mishra.
„Die Nordsee-Route bietet eine nennenswerte Ersparnis an Zeit und Geld für Schiffstransporte zwischen Europa und Asien im Vergleich zur traditionellen Route durch den Suez Kanal.“
Der ukrainische Sender RBC berichtet in Bezug auf die Entwürfe, dass ein Unterwasser-Gastanker dann eine Länge von 360 Metern haben müsste bei einer Breite von maximal 70 Metern, einen Tiefgang von maximal 14 Metern sowie eine Ladekapazität von etwa 180.000 Tonnen. „Kommentatoren haben darauf hingewiesen, dass dieses Designkonzept bereits seit Jahren im Umlauf ist und regelmäßig wiederbelebt wird“, schreibt das Magazin Tradewinds News. Demnach scheinen vorliegende Pläne bisher an der Realisierbarkeit gescheitert zu sein.
„Es fehlen Berechnungen hinsichtlich Technologie, Wirtschaftlichkeit und industrieller Umsetzung“, behauptet Alexander Nikitin gegenüber dem Barents Observer. „,Russland verfügt nicht einmal über grundlegende Schiffbaukapazitäten‘, argumentiert er und weist darauf hin, dass es dem Land sogar an Fähigkeiten mangele, einfache Tanker und Trockenfrachtschiffe zu bauen“, führt das Medium fort.
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Ukraine-Krieg: Arktis wird zum Hotspot zwischen Russland und dem Westen
Abgesehen von den fehlenden technischen Möglichkeiten Russlands ist seit dem Ukraine-Krieg auch die Arktis zu einem Hotspot zwischen der Russischen Föderation und dem Westen angewachsen, wie das Magazin Newsweek Ende vergangenen Jahres berichtet hatte: Präsident Wladimir Putins groß angelegte Invasion der Ukraine habe die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen verschlechtert. Die Spannungen drohten auf die Arktisregion überzugreifen, wo die US-Nationalgarde im Februar 2023 Übungen unter Arktis-Bedingungen abhielt. In der Arktisstrategie der US-Regierung habe es im Oktober 2022 geheißen, der Krieg habe „die geopolitischen Spannungen in der Arktis“ zwischen Moskau und dem Westen „erhöht“, wie Newsweek wiedergibt.
Den Grund dafür beschreibt das Magazin in den arktischen Ressourcen an Rohstoffen. „Zu den nationalen Interessen Russlands gehörten ,die Entwicklung der russischen Arktiszone als strategische Rohstoffbasis und ihre rationale Nutzung, einschließlich der umfassenden Erschließung des Kontinentalschelfs außerhalb der 200-Meilen breiten ausschließlichen Wirtschaftszone‘“, wie Newsweek-Autor Brendan Cole schreibt. „Kein Land besitzt den geografischen Nordpol oder den ihn umgebenden Arktischen Ozean“, verdeutlicht das Magazin – und macht gleichzeitig klar, dass Russland immer wieder Ansprüche angemeldet habe, ausgreifendere Zonen zur Nutzung zugesprochen zu bekommen.
Der Schriftsteller Jules Verne habe bereits 1870 mit der Veröffentlichung seines Aufsehen erregenden Abenteuerromans „20.000 Meilen unter dem Meer“ den Handel unter dem arktischen Eis vorausgesehen, schreibt das Magazin Offshore: „In diesem klassischen Science-Fiction-Roman erzählte er, wie das mächtige U-Boot Nautilus unter dem Kommando des unbezwingbaren Kapitäns Nemo den Meeresboden abgrub und in einer Tiefe von 3.000 Fuß (914 Meter) unter mehr als 4.000 Fuß (1.219 Meter) Eis durch die eisigen Polargewässer fuhr.“
Handel mit Flüssig-Erdgas: Wladimir Putin muss auf die Nordseeroute setzen
Offshore hat diese Reminiszenz an den Romanautor der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 1996 publiziert bezüglich der Rohstoff-Förderung aus der eisigen Karasee Russlands nach Asien. Anlass war ein Geistesblitz, den Wladimir Putin jetzt für sich reklamiert – 30 Jahre später: „Vor kurzem hat das amerikanische Unternehmen Werner Offshore eine einzigartige Lösung für das Dilemma vorgeschlagen: die Produktion von U-Booten und eine Flotte von U-Boot-LNG-Tankern“, wie Offshore veröffentlicht hatte.
Offensichtlich war schon für Jules Verne denkbar, was für Ingenieure immer noch unlösbar ist – Rohstoffe unter Wasser zu transportieren. Die erste Fahrt mit flüssigem Erdgas unter dem arktischen Eis sollte laut dem Medium im Mai 2004 stattfinden. Werner Offshore prognostizierte damals, dass die U-Boot-Flotte in der Spitzenproduktion jährlich über 21 Millionen Tonnen Flüssig-Erdgas transportieren würden – seit dieser Ankündigung sind keine Informationen über dieses Vorhaben mehr verfügbar.
Fakt ist allerdings, dass der Verkehr auf Russlands nördlicher Seeroute zugenommen hat, seit Wladimir Putin die Ukraine hat überfallen lassen und die westlichen Länder mit wirtschaftlichen Sanktionen geantwortet hatten. Anfang vergangenen Jahres hatte die russische Regierung deutlich gemacht, dass sie weiterhin an der Entwicklung und Verbesserung der Nordseeroute arbeite als dem wichtigsten Transportkorridor von nationaler und globaler Bedeutung, weil er den kürzesten Wasserweg zwischen dem europäischen Teil Russlands und dem Fernen Osten darstelle.
Doppeltes Dilemma: Wladimir Putin kämpft gegen das Klima und gegen politische Turbulenzen
Die Länge der Strecke von der Karastraße bis zur Provideniya-Bucht beträgt etwa fünfeinhalb Tausend Kilometer. Darüber hinaus liege dieses vollständig in den Hoheitsgewässern und der ausschließlichen Wirtschaftszone Russlands, was angesichts des Drucks externer Sanktionen besonders wichtig sei, wenn die logistischen Lieferketten von Produkten unterbrochen seien. Im Juni hatte die Europäische Union ihre Maßnahmen gegen russische Energie-Importe nochmals verschärft. Insofern kämpft Wladimir Putin nicht nur gegen die klimatischen Bedingungen innerhalb der Förder-Regionen, sondern auch gegen politische Turbulenzen.
Der ursprüngliche Plan des ehemaligen deutschen U-Boot-Kommandanten Herbert Werner sah vor, Gas auf einer elftägigen Reise unter dem Polareis durch die Kara-, Laptew- und Ostsibirische See des gefrorenen Arktischen Ozeans nördlich von Russland zur St. Matthew Island in Alaska im Beringmeer des Pazifiks zu transportieren, wie das Magazin Offshore 1996 schrieb. Dann wäre der Transport auf konventionellen Tankern weiter gegangen nach Japan oder China.
Zeit ist Geld. Für Russland bleibt der Handel mit Energie nach Asien wichtig
Diese Möglichkeit war damals revolutionär, heute ist sie ob der russischen Invasionspolitik Illusion. Dennoch bleibt für Russland der Handel mit Energie nach Asien wichtig – Zeit ist immer noch Geld. „Die Nordsee-Route bietet eine nennenswerte Ersparnis an Zeit und Geld für Schiffstransporte zwischen Europa und Asien im Vergleich zur traditionellen Route durch den Suez Kanal“, schreibt aktuell Paolo Raimond, Analyst des italienischen Thinktank Istituto Affari Internazionali (IAI).
Das Magazin The Maritime Executive hatte Ende vergangenen Jahres berichtet, Wladimir Putin habe den Ausbau der Nordseeroute zu einer der wichtigsten Prioritäten Russlands erklärt. Russlands Ziel sei demnach, jährlich 220 Millionen Tonnen Fracht über die Nordseeroute zu transportieren. Welche Transportkapazitäten Russland dazu hat, bleibt fraglich. Die U-Boote würden Fahrten ganzjährig ermöglichen ohne Unterstützung von Eisbrechern.
Wie das Magazin Trade Winds News den russischen Atomexperten Michail Kowaltschuk wiedergibt, betont der die über Jahrzehnte gewachsene Kompetenz Russlands im Bau von U-Booten und Eisbrechern, während Beobachter laut dem Magazin verdeutlichen, „dass die internationalen Sanktionen Russlands Fähigkeit beeinträchtigt hätten, die für die geplanten Exporte aus arktischen Projekten benötigten Eis-Klasse-LNG-Tanker mit ausreichender Tonnage zu bauen und bereitzustellen“.