Kein Ende der „Schattenhaushalte“ - Dieses versteckten Sondervermögen kosten den Steuerzahlen viele Milliarden pro Jahr
Die Sondervermögen der Bundesregierung sind erst in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, weil sie mit immer höheren Summen ausgestattet werden. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, 50 Milliarden Euro für die Abwehr der Corona-Krise, sogar 200 Milliarden Euro für den „Doppel-Wumms“ der Energiekrise. Weil die Summen immer höher wurden und die Finanzierung immer trickreicher, klagte erst die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
Der Grund: Die Bundesregierung fing an, die Milliarden Euro aus den Sondervermögen auch noch zwischen selbigen zu verschieben und bekam vergangene Woche vor dem Bundesverfassungsgericht bekanntlich Recht. Die Richter setzten strenge Regeln für Sondervermögen an. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz feierte das als „das Ende aller Schattenhaushalte“. Als solche bezeichnete er die Sondervermögen der Bundesregierung.
Damit hat er jedoch Unrecht. Das Bundesverfassungsgericht verbietet Sondervermögen nicht, außerdem sind maximal zwei dieser Schattenhaushalte vom Urteil überhaupt betroffen: der Klima- und Transformationsfonds (KTF) und der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Daneben gibt es aber weitere Sondervermögen, für die wir teils noch jahrelang zahlen müssen.
Ausgaben aus der Zukunft werden vorgezogen
Die Natur eines Sondervermögens ist, dass die Bundesregierung damit keine neuen Schulden machen darf, sondern nur Ausgaben aus der Zukunft vorzieht. Technisch funktioniert das so, dass die Regierung ein Sondervermögen zwar mit einer bestimmten Geldsumme ausstatten kann, dieses Geld später aber zurückgezahlt werden muss. Sondervermögen sind also im Prinzip eine Art Kreditvertrag.
Dabei gibt es zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Die erste ist, dass ein Sondervermögen eine eigene Kreditermächtigung besitzt. Das bedeutet, dass dieses eigene Kredite aufnehmen darf. Der WSF ist etwa ein solcher Fonds. Die Mehrheit der Sondervermögen besitzt keine Kreditermächtigung. Sie werden deswegen mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt oder anderen Einnahmen gefüttert. Alle Kredite und Bundeszuschüsse muss der Fonds in späteren Jahren zurückzahlen. Der Bundeshaushalt wird also in den Jahren der Kreditaufnahme von diesem Sondervermögen durch Schulden belastet, die er in späteren Jahren bezahlen muss.
Für Sondervermögen ohne Kreditermächtigung gilt daher die Schuldenbremse des Bundeshaushaltes, da sie eben aus diesem bezahlt werden. Für Sondervermögen, die eigenen Kredite aufnehmen dürfen, gilt die Schuldenbremse nur, wenn diese nach 2011 ins Leben gerufen wurden. Das betrifft bisher einzig den Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Das ist der Grund, weswegen Experten schätzen, dass er durch das Karlsruher Urteil ebenfalls umgestaltet werden muss.
Das Sondervermögen der Bundeswehr ist eine Ausnahme. SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU änderten dafür das Grundgesetz so, dass dieser Fonds eine eigene Kreditermächtigung besitzt, diese aber außerhalb der Schuldenbremse operiert. Trotzdem muss auch dieses Sondervermögen die 100 Milliarden Euro wieder zurückzahlen. Neben den drei erwähnten Fonds gibt es noch weitere. Hier ist der aktuelle Stand:
1. Das ERP-Sondervermögen („Marshall-Plan“) – 1953
Das erste Sondervermögen der Bundesrepublik Deutschland wurde 1953 beschlossen und trivial unter dem Namen „Marshall-Plan“ bekannt, benannt nach dem damaligen US-Außenminister George C. Marshall. Der offizielle Name ist aber „European Recovery Program“ oder zu Deutsch: Europäisches Wiederaufbauprogramm. Die heute noch tätige Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wurde extra zur Verwaltung dieses Sondervermögens gegründet. Gegründet wurde das Sondervermögen mit 6 Milliarden D-Mark (rund 17 Milliarden Euro in heutiger Kaufkraft). Der Clou: Das Geld wurde in Form revolvierender Kredite an Unternehmen ausgegeben. Das heißt, die Rückzahlungen der Kredite, meist mit Zinsen, konnte die KfW dann wieder neu ausgeben. Bis 2008 wurden so Kredite im Wert von 125 Milliarden Euro vergeben. Weil die Mittel für das Sondervermögen aus den USA stammten und die wiederum den Großteil der Schulden erließen, besitzt das ERP seit 1966 keine Schulden mehr. Stattdessen können auch die heutigen KfW-Förderprogramme noch immer aus dem Sondervermögen vergeben werden.
2. Das Bundeseisenbahnvermögen – 1994
Als die Bundesbahn 1994 privatisiert und dadurch die Deutsche Bahn gegründet wurde, gab es ein Problem. Der neue Konzern sollte zwar alle bahn-relevanten Dinge künftig leiten, aber zur Bundesbahn gehörte mehr. So hatte die Bundesbahn einen eigenen medizinischen Dienst, eine eigene Krankenkasse, verschiedene Stiftungen, Wohnungsgesellschaften und Versicherungen wie etwa die DEVK für die Bundesbahnbeamten. Diese nicht-bahnnotwendigen Bestandteile der ehemaligen Bundesbahn werden seitdem durch das Bundeseisenbahnvermögen verwaltet. Bis heute betreut der Fonds 131.000 ehemalige Beamte. Die Pensionen dieser werden ebenfalls aus dem Sondervermögen bezahlt.
Das Bundeseisenbahnvermögen hat keine eigenen Kreditermächtigung, es wird also aus dem Bundeshaushalt bezahlt. In den vergangenen Jahren lagen die Ausgaben bei rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Kosten entstehen hauptsächlich durch die Pensionen und Hinterbliebenen-Renten. Dadurch ist aber auch vorgegeben, dass die Ausgaben jedes Jahr sinken werden, je weniger ehemalige Beamte und ihre Angehörigen noch Ansprüche haben. Die Rückzahlung dieser Schulden wird hier einst dadurch erfolgen, dass die Teile des Bundeseisenbahnvermögens an andere Bundesbehörden übertragen werden – darunter eben auch solche wie die DEVK und die Sparda-Banken, die Gewinne abwerfen können.
3. Bundesamt für offene Vermögensfragen – 1994
Das Sondervermögen für offene Vermögensfragen wurde geschaffen, um Enteignungen in der DDR und auf dem Gebiet der DDR während des Nationalsozialismus zu regeln. Angemeldete Ansprüche von enteigneten Privatpersonen und Unternehmen sollten entweder zurückgegeben werden oder wo das nicht möglich war, finanziell entschädigt werden. Die meisten Ansprüche wurden bereits bis zur Jahrtausendwende geregelt. Der Fonds speiste sich hauptsächlich aus Einnahmen der Treuhandanstalt, die diese an das Sondervermögen abgab. Es existiert heute noch, die jährlichen Verwaltungsausgaben liegen aber nur noch bei rund 50 Millionen Euro.
4. Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) – 1998
Die EdW ist eine Art Einlagensicherung für Kleinanleger und soll 90 Prozent der Ansprüche aus Wertpapiergeschäften entschädigen, wenn zum Beispiel eine Bank, die Aktien für Sie verwaltet, bankrott geht und Ihnen die Aktien nicht auszahlen kann. Das Sondervermögen wird ausschließlich durch zwangsweise Mitgliedschaft und Beiträge von Unternehmen gefüttert, die mit Wertpapieren handeln.
5. Deutscher Binnenschifffahrtsfonds – 1999
Der Binnenschifffahrtsfonds ist ein Sondervermögen zur Förderung der Binnenschifffahrt. Er wurde aufgrund einer EU-Verordnung gegründet, die jedes Mitgliedsland dazu verpflichtete. Der Fonds besitzt heute Rücklagen von rund 5 Milliarden Euro, die hauptsächlich aus Pflichtbeiträgen von Schifffahrtsunternehmen stammen.
6. Versorgungsfonds des Bundes – 1998
Schon 1982 wurde die Versorgungsrücklage geschaffen, der 1998 um den Versorgungsfonds des Bundes und 2008 um den Versorgungsfonds der Bundesagentur für Arbeit ergänzt wurde. Die beiden Sondervermögen soll mit Hilfe der Bundesbank Gelder für die Zahlung der Beamtenpensionen in der Zukunft ansparen, da die Kosten dafür aufgrund des demographischen Wandels immer höher werden. Seit 2017 werden die Mittel des Sondervermögens für Pensionszahlungen verwendet. Der Versorgungsfonds ist dabei für alle Beamten zuständig, die ab 2007 eingestellt wurden. Im Prinzip handelt es sich also um eine Art Aktienrente für Beamte. Der Bund zahlt dafür mehrere Milliarden Euro pro Jahr in den Fonds nach einem bestimmten Schlüssel ein. Die genaue Summe ist schwer zu ermitteln, weil jedes Ministerium die Mittel für seine eigenen Beamten selbst aufbringen muss. Die Rücklagen aller Fonds liegen mittlerweile aber bei mehr als 30 Milliarden Euro.