Erste Hinrichtung mit Stickstoff in den USA – Todeskandidat klagt über Panikattacken
In den USA soll erstmals ein Mensch mit Stickstoff hingerichtet werden. Der Fall beschäftigt Menschenrechtsexperten – die Rede ist von möglichen Pannen und Folter.
Washington, D.C. – Tausend US-Dollar: Dafür hat sich der damals 22-jährige Kenneth Eugene Smith im März 1988 auf einen Auftragsmord eingelassen. Wenig später war die Frau des Auftraggebers tot, ermordet in ihrem Haus an einer Landstraße im entlegenen Norden Alabamas.
Smith und zwei Mittäter wurden gefasst – einer bekam eine lebenslange Haftstrafe, der andere starb 2010 durch die Giftspritze. Auch Smith wurde zum Tode verurteilt. Nach einem gescheiterten Exekutionsversuch mittels Giftspritze drohen dem mittlerweile 58-Jährigem am 25. Januar die Hinrichtung mit Stickstoff – als erstem Menschen überhaupt.
Menschenrechtler alarmiert: „Hier wird an einem Mensch ein Experiment durchgeführt“
Nie zuvor wurde ein Mensch in den USA – vermutlich sogar weltweit – mittels sogenannter Stickstoffhypoxie hingerichtet. Bei der ungetesteten Prozedur bekommt eine Person über eine Gesichtsmaske Stickstoff zugeführt. Die Folge ist der Tod durch Sauerstoffmangel. Innerhalb einer 30-stündigen Zeitspanne von Donnerstag auf Freitag (25./26. Januar) soll der heute 58-jährige Smith so sterben. 2022 war seine Exekution mit der Giftspritze gescheitert.
Menschenrechtsexperten warnen, es könne sich um Folter handeln. Dafür, dass die Inhalation von reinem Stickstoff keine schwerwiegenden Leiden verursacht, fehlen nach UN-Angaben wissenschaftliche Beweise. „Hier wird an einem Menschen ein Experiment durchgeführt“, mahnt Amnesty International in einer Mitteilung.
Todeskandidat berichtet über Alpträume – „Ich bin einfach nicht bereit“
Smith habe die ihm erlaubten 15 Minuten für einen Telefonanruf beim Guardian genutzt, berichtete die britische Zeitung am Sonntag. Er sei von Alpträumen geplagt, die davon handelten, in die Hinrichtungskammer zurückkehren zu müssen. „Dafür bin ich nicht bereit“, sagte er demnach. „Auf keinen Fall. Ich bin einfach nicht bereit.“
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Der BBC teilte Smith aus dem Todestrakt schriftlich mit, ihm sei ständig übel. „Panikattacken treten regelmäßig auf. Das ist nur ein kleiner Teil dessen, womit ich täglich zu kämpfen habe. Folter im Grunde“, schrieb er.
Aus Gerichtsdokumenten geht hervor, dass Smith nach dem ersten Hinrichtungsversuch eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert wurde. Dem Gefängnispersonal gelang es damals nicht, die Kanüle in seinen Arm zu legen. Nach mehreren Stunden, in denen er angeschnallt auf einem Exekutionstisch lag, kam er wieder in seine Zelle.
Hinrichtung mit Stickstoff – es gibt viele ungekärte Fragen
„Ich weiß nicht, wie wir das, was ihm widerfahren ist, von einer Scheinhinrichtung unterscheiden können“, sagt auch Robin Maher, Juristin und Geschäftsführerin des Death Penalty Information Center laut der Nachrichtenagentur dpa. Die Organisation führt eine umfassende Datenbank zur Todesstrafe in den USA und nimmt explizit keinen politischen Standpunkt ein. Viele Stellen im Hinrichtungsprotokoll seien geschwärzt, sagt Maher.
„Was passiert, wenn das Gas aus der Maske austritt, weil sie nicht eng genug anliegt?“, listet sie einige der ungeklärten Fragen auf. „Wo kommt das Gas her? Was passiert in einem Notfall?“ Nicht nur in Alabama würden konkrete Details wie diese eher spärlich kommuniziert. „Das ist in einer Demokratie problematisch.“ Das genaue Prozedere ist unklar. Offen ist etwa auch, ob Smith vorab betäubt werden soll.
Hinrichtungen in den USA: Elektrischer Stuhl, Gaskammer, Erschießung, Giftspritze
Die Todesstrafe gibt es in den USA heute noch beim Militär, auf Bundesebene sowie in 27 Bundesstaaten, wobei sie etwa in Kalifornien de facto nicht mehr vollstreckt wird. Die zugelassenen Methoden variieren. Hypoxie ist auch in Oklahoma und Mississippi erlaubt. Unter anderem in Arizona gibt es eine Gaskammer. Idaho führte erst 2023 wieder Erschießungskommandos ein.
Diese Methoden kommen aber nur sehr selten zum Einsatz. Eher werden Menschen auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet, vorwiegend in South Carolina. Die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode in anderen Bundesstaaten – allen voran Texas – ist die Exekution mit der Giftspritze. Seit 1976 wurden von insgesamt 1582 Hinrichtungen 1402 auf diese Weise vollstreckt. Immer wieder scheitern Exekutionen oder ziehen sich über Stunden hin. Smiths Fall war 2022 einer von drei in Alabama.
Gouverneurin könnte die Hinrichtung mit Stickstoff noch aufhalten
Kenneth Smiths Anwälte versuchten bislang vergeblich, den zweiten Hinrichtungstermin zu stoppen. Neben einer laufenden Berufungsklage vor einem Bezirksgericht argumentieren sie zeitgleich vor dem Obersten US-Gerichtshof mit dem achten Verfassungszusatz. Dieser verbietet „grausame und ungewöhnliche Strafen“. Schon die gescheiterte Hinrichtung falle darunter, schreiben die Anwälte.
Ob sich der Supreme Court ihrem Gesuch annimmt, ist völlig unklar. Aufhalten könnte die Exekution noch per Erlass die republikanische Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey. Das halten Beobachterinnen und Beobachter aber für unwahrscheinlich.
Donald Trump, der auf gutem Weg ist, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden, will im Falle einer Wiederwahl Hinrichtungen ausweiten und brachte dabei auch bereits abgeschaffte Hinrichtungsmethoden ins Spiel – unter anderem Erschießungskommandos, Guillotinen und Erhängungen. (dpa/smu)