Enthüllt: USA lenkten Ukraine-Offensiven – von Deutschland aus

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Missverständnisse und Antipathien: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj inmitten seiner Militärs – links der ehemalige Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj. Ihre Kooperation mit der US-amerikanischen Generalität lief über die Clay-Kaserne in Wiesbaden – und endete in einer gescheiterten Gegenoffensive © IMAGO/ Pool /Ukrainian Presidentia

Die USA spionierten, die Ukraine startete ihre Offensiven – in Wiesbaden fielen die Beschlüsse über die ukrainischen Attacken. Eine erzwungene Allianz.

Wiesbaden – „In gewisser Weise war die Ukraine im weiteren Sinne eine Neuauflage einer langen Geschichte von Stellvertreterkriegen zwischen den USA und Russland“, schreibt Adam Entous. Der Autor der New York Times (NYT) sieht im Ukraine-Krieg die Fortsetzung von Vietnam in den 1960er-Jahren, Afghanistan in den 1980er-Jahren und Syrien heute – Entous soll aus mehr als 300 Interviews aufgedeckt haben, dass die US-Regierung unter dem 46. Präsidenten Joe Biden weit tiefer in den Krieg gegen Wladimir Putins Invasionsarmee verstrickt war als bisher angenommen. Die Fäden laufen zusammen im Hauptquartier der US Army Europe and Africa in der Lucius D. Clay Kaserne – in Wiesbaden, wie die New York Times berichtet.

Der Spiegel formuliert, dort soll eine Allianz geschmiedet worden sein – die Erfolge der Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg erklären sich demnach dadurch, „dass amerikanische Generäle mit ukrainischen Offizieren Zielkoordinaten auswählten, Drohnenangriffe planten und den Frontverlauf mitbestimmten“, wie Oliver Imhof und Fedir Petrov für das Nachichtenmagazin schreiben. Möglicherweise haben dann zwei Alpha-Männer im ukrainischen Generalstab dazu beigetragen, dass Russland im Ukraine-Krieg wieder Oberwasser bekommen habe.

Ukraine-Krieg: Offensichtlich bröckelte die Allianz, weil beide Seiten unterschiedliche Ziele verfolgten

In kritischen Momenten soll diese Partnerschaft das Rückgrat ukrainischer Militäroperationen bedeutet haben, urteilt NYT-Autor Entous. Wiesbaden wurde zur Zentrifuge, in das die Geheimdienstinformationen hineinflossen und als Handlungsanweisungen wieder heraus. Daraus ergeben hätten sich etliche militärische Überraschungserfolge der Ukraine, die immer wieder die Hoffnung nährten, die Ukraine könne doch als Sieger aus dem Krieg hervorgehen.

Die Ukrainer empfanden die Amerikaner manchmal als anmaßend und kontrollierend – als den typischen herablassenden Amerikaner. Die Amerikaner konnten manchmal nicht verstehen, warum die Ukrainer gute Ratschläge nicht einfach annahmen“

Das Ergebnis ist aber letztendlich ein anderes geworden, was, laut Entous, herrührte aus persönlichen Antipathien, falschen Lagebeurteilungen und Leistungen der russischen Armee, die vorher für unmöglich gehalten worden waren. „Die Ukrainer empfanden die Amerikaner manchmal als anmaßend und kontrollierend – als den typischen herablassenden Amerikaner. Die Amerikaner konnten manchmal nicht verstehen, warum die Ukrainer gute Ratschläge nicht einfach annahmen“, schreibt der NYT-Autor.

Offensichtlich bröckelte die Allianz aber vor allem nach und nach, weil beide Seiten unterschiedliche Ziele verfolgten – die USA unter Generalleutnant Christopher T. Donahue hätten erreichbare Ziele angestrebt, die Ukraine soll „ständig nach dem großen Sieg, dem strahlenden Preis“ habe greifen wollen, wie Entous darstellt. Die Partnerschaft unter dem Kommandeur des 18. Luftlandekorps, die die Kriegsführung unter dem Decknamen Task Force Dragon bestimmte, habe allerdings letztendlich auch unter den eigenen Erfolgen gelitten.

Desaster am Dnipro: Möglicherweise die beste Chance, Russland einen entscheidenden Schlag zu versetzen

Bereits im ersten Kriegsjahr sollen die Ukrainer die Chance gehabt haben, über den Dnipro zu setzen und einen Keil zu treiben zwischen den von Osten anrückenden Russen und den bereits auf der Krim stationierten Kräfte. Wie Entous berichtet, hatte der US-Geheimdienst Sergei Surowikin belauscht und dadurch erfahren, dass der damalige russische Oberbefehlshaber in der Ukraine aus der militärischen Notlage heraus den Einsatz taktischer Atomwaffen empfohlen beziehungsweise gefordert habe – Russland wollte den ukrainischen Durchbruch über den Dnipro verhindern.

Damit hätte sich die Lage dramatisch zugespitzt und die Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes von „fünf bis zehn Prozent“, wie die USA vermutet hatten, auf „50 Prozent“ erhöht. „Dieser Moment war möglicherweise die beste Chance für die Ukrainer, den Russen einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Und vielleicht auch die beste Gelegenheit, einen größeren Krieg zu entfachen“, wie die New York Times schreibt.

Letztendlich hätten die US-amerikanischen Stäbe anderen Zielen Bedeutung beigemessen als die ukrainische Generalität. Noch dazu habe Walerij Saluschnyj als ehemaliger Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte andere Prioritäten gesetzt als sein Nachfolger Oleksandr Syrskyj. Kampfverbände seien durch gleichzeitige Priorisierung verschiedener Ziele geschwächt und knappe Munitionsbestände noch weiter gedehnt worden. Aber letztendlich seien Offensiven auch daran gescheitert, dass die Beobachter in Wiesbaden russische Truppenbewegungen oder -konzentrationen anders einschätzten als die Kommandeure vor Ort.

Nach Trump-Eklat mit Selenskyj: Ist die Ukraine nun dem Untergang geweiht?

Beispielsweise seien die russischen Absetzbewegungen des dort stationierten Korps am Dnipro durch eine Nachhut aus verschiedenen Truppenteilen gedeckt worden – was sich im Feld anders dargestellt hätte als auf den Satellitenbildern, schreibt Entous: Der in Wiesbaden operierende General Donahue hätte dem ukrainischen Oberbefehlshaber geraten, diese Nachhut zu umgehen oder zu vernichten und dem fliehenden Großverband nachzusetzen, was dieser unterließ. „General Donahue teilte ihm mit, dass Satellitenbilder zeigten, dass die ukrainischen Streitkräfte nur von ein oder zwei russischen Panzern blockiert würden“, hat der NYT-Autor von einem Offiziellen erfahren. „Da der ukrainische Kommandant diese Satellitenbilder jedoch nicht sehen konnte, zögerte er, seine Truppen vorrücken zu lassen.“

Der Spiegel stellt die Frage, ob eine Summe von Unzulänglichkeiten die Gegenoffensive der Ukraine scheitern ließ, oder der Krieg von vornherein als verloren anzusehen gewesen war. Franz-Stefan Gady zufolge hätte selbst im Stab in Wiesbaden keiner das Ausmaß der Transparenz auf dem Schlachtfeld einkalkuliert – die dortige ständige Drohnenüberwachung, die Truppenkonzentrationen und deren Bewegungen erschwerte, wie der österreichische Analyst gegenüber dem Nachrichtenmagazin äußert. Desweiteren hätte die Ukraine bereits in Bachmut ihre besten Kämpfer verloren gehabt und sich seitdem mit unzureichend ausgebildeten und unerfahrenen Kräften den Russen widersetzt. „Die Folgen der gescheiterten Gegenoffensive spüren die Ukrainer bis heute“, so Gady gegenüber dem Spiegel.

Ist die Ukraine nun dem Untergang geweiht, haben Mark F. Cancian und Chris H. Park jüngst in einer Studie für den Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) gefragt. Der Grund: der Rücktritt von Präsident Donald Trump von jeglicher Unterstützung der USA für die Ukraine. Auch wenn noch Waffen aus vorherigen Zusagen nachgeliefert würden und Informationen wieder fließen beziehungsweise das US-amerikanische Starlink-System geschaltet bleiben sollten, sehen die Analysten zwar die Chance, Russland dadurch weiter in Schach zu halten; aber Russland zurückzudrängen halten sie für unwahrscheinlich.

Kooperation gegen Putin: „Es war eine vernünftige, kaltblütige Strategie der USA“

Insofern seien die Aussichten für die Ukraine düster, urteilen Cancian und Park. Fraglich ist, inwieweit die Militärhilfe aus Europa reichen wird, um die Frontlinien zu stabilisieren, beziehungsweise Russland so weit zu treiben, dass sich selbst Wladimir Putin genötigt sieht, aus Verhandlungen einen attraktiven Gewinn für sich herauszuziehen. Die Ukraine habe demnach lediglich die Möglichkeit, mit Waffengewalt Zeit für sich herauszuschlagen. Laut Cancian und Park brächte das Russland dann irgendwann zur Bereitschaft, sich auf eine Verhandlung einzulassen, weil die eigenen Opfer ins Unermessliche stiegen.

Dann hätten die Bemühungen in Wiesbaden letztendlich doch gefruchtet und die Ukraine den maximal möglichen Gewinn erzielt; wie von den USA offenbar von Anbeginn an anvisiert. Allerdings hat Russland diesen Krieg auch noch nicht gewonnen. Und dennoch scheint die Nachkriegsordnung ins Wanken geraten zu sein.

Adam Entous argumentiert in der New York Times, diese zu bewahren sei ein maßgeblicher Grund dafür gewesen, dass der demokratische Trump-Vorgänger Joe Biden sein Engagement in diesem Krieg gezeigt hatte. Insofern kann die USA als bisher sicherer Verlierer des Ukraine-Krieges gelten. Das widerspricht einem Kommentar von David Ignatius, den der Kolumnist der Washington Post Ende vergangenen Jahres, publiziert hat:

„Es war eine vernünftige, kaltblütige Strategie der USA – einen Gegner zu geringen Kosten zu zermürben, während die Ukraine die Schlachterrechnung bezahlte.“

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